Schwarz-skelettierte Bäume, farblose Grünflächen, dunkles Grau trifft auf dunkleres Grau, der Blick folgt tristen Wohnblocks zum blassen Himmel hinauf—das neue Video von Nazar gibt sich von der ersten Sekunde an zutiefst deprimiert. Passt zum Songtitel „La Haine Kids“, passt zum zitierten Film La Haine, der 1995 mit denselben Stilmitteln die Pariser Banlieues so schonungslos wie nie zuvor ins angemessene Licht rückte. Bis heute wurde dem Ghetto-Film unzählige Male in Rapvideos gehuldigt. Doch der Österreicher will mehr, als nur provozieren. Er will dem Zuschauer nachhaltig etwas antun.
Dafür bedient sich Nazar bei Justices gefeiertem Schocker-Video „Stress“, indem er eine Vierer-Gang durch die Straßen Wiens laufen lässt. Sie alle tragen bedrohliche Masken und uniforme Hoodies mit entsprechendem Backprint. Und sie alle haben richtig Bock auf Stress. So weit, so bekannt. Klar, Nazars Gang ist noch asozialer als Justices, setzen sie doch mit Feuerzeug und Spraydose erbarmungslos einen Obdachlosen in Flammen oder rammen einem Passanten, der es gewagt hat, ob des martialischen Anblicks der Vier zu lächeln, immer wieder ein Messer in den Bauch. Das alles wird jedoch noch sehr viel bedrückender, weil Nazar ihr Handeln durch seine Lines entschuldigt: „Vaterland zerbombt, Heimat im Schatten / Asylantenheim, Freiheit mit Macken“. Soll heißen, dass das Immigranten-Kids sind, deren Kindheit durch den Krieg zerstört wurde und sie jetzt eben nicht anders können. Eine Hymne für die Außenseiter, eine Legitimation für jegliche Gewalt: „Wir sind die Generation mit Hass in der Brust.“
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Wer es nicht mehr erträgt und das Video spätestens bei der Messerstecherei ausschaltet, hat nur eine Botschaft verstanden: Die ganzen Flüchtlinge, die aus den Kriegsgebieten zu uns kommen, und über Jahrzehnte Parallelgesellschaften aufbauen, säen hier Hass und Gewalt—die sind gefährlich.
Schaut man das Video bis zum Ende, zeigt sich, dass es sich zumindest bei einem Gangmitglied um eine Frau handelt. So einen Twist haben The Prodigy auch schon gebracht, aber hier wirkt das noch viel „schlimmer“: Sie ist weiß und aus gutbürgerlichem Haus. Seelenruhig sitzt sie da und löffelt nach dem Straßenzug Cornflakes, während im TV von dem im Lebensgefahr schwebenden Obdachlosen, dem Erstochenen, einer Gruppe maskierter Männer und einen möglichen politischen oder religiösen Hintergrund spekuliert wird. Das Mädchen grinst am Ende direkt in die Kamera, direkt in unser Gesicht. Weil sie weiß, wie sie und Nazar uns verarscht haben. Denn am Ende kennt Gewalt nunmal weder Geschlecht, Nationalität, noch Hautfarbe. Gewalt kennt aber viele Vorurteile.
Julius ist auch bei Twitter: @BackToSchoolius
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