Der geplante NPD-Umzug durch Kreuzberg wurde am Samstag durch Tausende Menschen gründlich verhindert. Die Partei hatte angekündigt, mit einem Umzug durch das Viertel ein Zeichen gegen die „multiasozialen Zustände“ und die „Überfremdung, Multikulturalität, Kriminalität“ setzen zu wollen. Das eigentliche Ziel war natürlich, durch die größtmögliche Provokation die größtmögliche Aufmerksamkeit zu erreichen, und das hat geklappt. Allerdings war die Antwort der Kreuzberger auf diese Herausforderung so entschlossen und effektiv, dass die Rechten es schwer haben werden, die Expedition als Erfolg zu verbuchen. Unter anderem auch, weil sie sich als einzige den ganzen Tag brutal gelangweilt haben.
„Erstmal die gute Nachricht: Wir sind in Kreuzberg!“, rief der NPD-Chef Sebastian Schmidtke seinen Kameraden gegen halb drei auf der Kreuzung zwischen Runge- und Brückenstraße zu. Laut Stadtplan stimmte das zwar nicht, aber die ungefähr hundert NPD-Anhänger hatten die Ermunterung da schon bitter nötig.
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Nachdem sie um zwölf mit einem Sonderzug der S-Bahn Berlin zur Jannowitzbrücke gefahren worden waren, parkte die Polizei die Rechten auf der Brücke, während die Beamten sich mit der stetig wachsenden Anzahl von Gegendemonstranten beschäftigten. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits an die zweitausend Menschen alleine an der Station Heinrich-Heine-Straße versammelt, um die geplante Route der Rechten zu blockieren. Auch an allen anderen Zugängen zur Jannowitzbrücke sammelten sich immer mehr Menschen—am meisten direkt nördlich der Brücke, wo es anfangs auch zu kleineren Zusammenstößen zwischen Polizei und Gegendemonstranten kam.
Die Polizei hatte alle Hände voll zu tun, die Menschenmassen unter Kontrolle zu bringen. Zeitweise kam sogar ein Hubschrauber zum Einsatz, um „Übersichtsaufnahmen“ der „unübersichtlichen Lage“ zu machen, wie die Polizei in einem Tweet bekannt gab. Obwohl es im Köllnischen Park später noch einmal zu teilweise heftigen Zusammenstößen und zahlreichen Verhaftungen kam, konnte die Polizei dafür sorgen, dass der kleine Haufen NPDler sich stets in einer Oase der Ruhe befand, in die keiner ihrer Gegner vordringen konnte.
Während um sie herum also alles in Bewegung war, standen die Rechten gut zwei Stunden in der prallen Mittagssonne auf der Brücke und warteten auf die Erlaubnis der Polizei, sich in Bewegung zu setzen. Manchmal kam eine Bootstour unter der Brücke durch, der ein paar der Jungs dann zuwinkten. Den Großteil der Zeit verbrachten sie eigentlich damit, sich missmutige Starrwettbewerbe mit den Journalisten um sie herum zu liefern, bis es unter der S-Bahn-Brücke mal wieder zwischen Polizei und Antifa krachte und die Journalisten alle dorthin liefen—die NPDler konnten ihnen nur wehmütig hinterherschauen.
Irgendwann wurde es ihnen dann doch zu langweilig, so dass sie ihre Demo gleich auf der Brücke anfingen. Sie rollten ihre Flaggen aus, spielten ein bisschen weinerliche Musik („Was kommt danach? / Wohin wird die Zeit uns führen? / In einem Land, / in dem ich mich so alleine fühl.“) und begannen dann mit den Reden. Zuerst erzählte Schmidtke den versammelten Journalisten und Polizisten, wo er heute eigentlich überall vorbeilaufen wollte: zum Beispiel auch an der „widerrechtlich besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule“. „Gestern haben sich gegenseitig Asylanten da niedergestochen“, erzählte Schmidtke und erntete Applaus und Gejohle von den Kameraden, die sich für die Reden wieder etwas ordentlicher hingestellt hatten.
Schmidtke empörte sich, dass es der Berliner Polizei anscheinend nicht möglich sei, „unser Leben in diesem Stadtteil zu schützen“ ,und fing an, Statistiken über kriminelle Ausländer und „Asylschmarotzer“ zu referieren.
Christoph aus Dortmund hat Angst, dass deutsche Kinder im Schulsport zu kurz kommen.
Nach ihm durfte ein muskulöser Blonder namens Christoph aus Dortmund sprechen, der sich an die „Bürgerinnen und Bürger der Stadt Berlin“ wandte, obwohl in dem Moment nicht mal ein Touristenboot in Hörweite war. Er legte trotzdem gleich eine Gangart zu: „Im Jahre 2040 ist es soweit, das deutsche Volk ist ausgestorben!“ Dann lieferte er gleich noch ein paar Beispiele: „Unsere Kinder werden ausgegrenzt, weil sie Deutsche sind! Beim Schulsport werden sie als Letzte in die Mannschaft gewählt!“ Die umstehenden Journalisten lachten, bis er seine Rede mit „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ beendete—wofür ihn der ebenfalls zuhörende Berliner Pirat Oliver Höfinghoff prompt wegen Volksverhetzung anzeigte.
Direkt nach der Rede wollten die Jungs aber endlich etwas Action haben. Sehr schnell kam plötzlich eine kleine Gruppe quer über die Brücke und stieß einen Journalisten, der sich vorher besonders laut über die Reden lustig gemacht hatte, zu Boden und umzingelten ihn. Bevor die umstehenden Polizisten verstanden hatten, was passiert war, hatte der Journalist bereits einen Tritt abbekommen, was den Kameraden das erste richtige (und einzige) Lächeln des Tages auf die Lippen zauberte.
Durch die Anzeige gegen Christoph verzögerte sich der Aufbruch der Demo schon wieder. Erst kurz nach zwei Uhr setzten sie sich endlich in Bewegung, schafften aber gerade mal zwei „Kreuzberg, Kreuzberg, wir sind da!“ und zwei „Nationaler Sozialismus—jetzt!“, dann mussten sie nach ungefähr hundert Metern an der Kreuzung zur Rungestraße bereits wieder anhalten. Also schwangen sie zwischen den leeren Bürogebäuden auf der Brückenstraße noch ein paar Reden, aber mittlerweile hatte die Sonne ihnen geschlagene zwei Stunden auf die Glatzen gebrannt, so dass die Ersten anfingen, sich in auf der Seite in die Hauseingänge zurückzuziehen.
Ein bisschen spannender wurde es, als Maria Fank das Mikrofon bekam und jemand laut „Schlampe“ rief—aber Sekunden später ließen die Journalisten sie wieder stehen und rannten in den Köllnischen Park, wo eine große Gruppe Gegendemonstranten mit Pflastersteinen und Bengalos gegen die Polizei und ihr Pfefferspray kämpfte.
Kurz danach erklärte die Polizei den NPDlern, dass es heute nicht mehr weitergehen würde, und dass sie jetzt wieder umdrehen und die 100 Meter zu ihrer Brücke zurückgehen müssten. Wieder dort angekommen, saßen sie noch ein bisschen in der Sonne herum, während die Gegendemonstranten in den Kreuzberger Straßen Lautsprecherwagen auffuhren und die Musik aufdrehten. Für die Kreuzberger endete der Samstag in einem Straßenfest, Schmidtke und seine Jungs trollten sich nach Köpenick. Nach Kreuzberg hatten sie es zwar nicht geschafft, aber immerhin haben sie eine ganze menge Menschen auf die Straße gebracht. Nur schade, dass an dem Tag fast jeder mehr Spaß hatte als sie.