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Neonazis machen sich unter Polizeischutz über Anne Frank lustig

In Dortmund konnten Anhänger der Partei „Die Rechte" ungehindert Witze über Holocaust- und NSU-Opfer machen, während die Polizei Hunde auf die Gegendemonstranten hetzte.

Eigentlich hatte die Partei „Die Rechte" am Sonntag vorgehabt, vor drei Privatadressen in Dortmund „Weihnachtskundgebungen" abzuhalten. Als ihnen das aber verboten worden war und dann auch noch die Ausweichroute von Gegendemonstranten blockiert wurde, ließen sie ihren Ärger an denen ab, die sich nicht mehr wehren können: von NSU-Opfer Mehmet Kubaşik bis zur im Konzentrationslager ermordeten Anne Frank. Konsequenzen hatte das erstmal nicht, da sich die Polizei vor Ort auf Scharmützel mit den linken Gegendemonstranten konzentrierte.

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Ihre „Weihnachtskundgebungen" gegen unliebsame Politiker machen die Dortmunder Rechten schon seit mehreren Jahren. Bislang waren das allerdings relativ langweilige Veranstaltungen: Sie standen rum, hielten kuriose Reden und wurden teilweise von der Bevölkerung und angereisten Antifas ausgebuht. Auch der Sonntag fing so an. Knapp 40 Anhänger der Rechten hatten sich auf den Marktplatz eines Dortmunder Vorortes gestellt, ein bisschen Unsinn erzählt und das Verbot der SPD gefordert. Hören konnte das fast niemand, weil sie von den örtlichen Jusos ausgepfiffen wurden.

Nach nicht einmal einer Stunde wurden die Reichsfahnen und Transparente dann auch schon wieder eingerollt, um zur nächsten Kundgebung zu fahren. In der Nordstadt, einem von Dortmunds migrantischen Innenstadtvierteln, wollten sie nicht nur gegen Politiker hetzen, sondern sich auch mit einer Lokalpolitikerin der CDU solidarisieren. Die hatte vor ein paar Monaten öffentlich ihre Abneigung gegen die ganzen Kopftücher im Kiez deutlich gemacht.

Anders als im Vorort hatten hier aber nicht nur SPD und Jusos zum Protest aufgerufen. Das Anti-Neonazi-Bündnis „Blockado" wollte den Kundgebungsplatz der Neonazis schon einige Zeit vor deren Ankunft blockieren. So ganz wollte das erst nicht klappen, weil die Polizei den Platz bereits selbst dicht gemacht hatte. Auch der Versuch, die Rechten bei der Anreise mit der U-Bahn zu stoppen, ging daneben. Die Polizei führte die Rechten einfach ein paar Meter neben den Gegendemonstranten aus dem Zug. Als die dann aber versuchten, sich Parolen rufend auf den Weg zu ihrer Kundgebung zu machen, war auf einmal alles dicht.

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Spätestens jetzt war der Tanz zwischen den antifaschistischen Gegendemonstranten, die zu den Rechten vordringen wollten, und der Polizei, die sie daran hindern wollte, zum interessantesten Element des Abends geworden. Antifa-Gruppen rannten aus mehreren Seitenstraßen auf die Straße und besetzten die Kreuzung vor dem eigentlichen Kundgebungsort. Die völlig überforderte Polizei verdrängte sie mit Pfefferspray, trotzdem gab es immer wieder Durchbruchversuche.

Währenddessen standen die Neonazis sichtlich sauer ein paar hundert Meter vor ihrem Ziel auf dem Bürgersteig. Von der Polizei eingekesselt und von Anwohnern aus den gegenüberliegenden Fenstern mit Eiern beworfen, fingen sie fleißig an, am Verbot ihrer Partei „Die Rechte" zu arbeiten. Sie skandierten nicht nur Parolen wie „Deutschland den Deutschen — Ausländer raus", die ihnen von der Polizei vorher verboten worden waren. Als sie merkten, dass sich trotzdem niemand um sie kümmerte, fingen sie erst richtig an.

Um die Antifas auf der anderen Straßenseite zu provozieren, riefen die Rechtsextremen immer wieder „Thomas Schulz, das war geil!" und „Thomas Schulz, das war Sport!" Der Punk Thomas Schulz wurde 2005 von dem Dortmunder Neonazi Sven Kahlin erstochen. Kahlin, der zur verbotenen „Skinheadfront Dortmund-Dorstfeld" gehört, wurde danach noch mehrfach wegen schwerer Gewalttaten verurteilt. Am zehnjährigen Jahrestag der Tötung planen nicht nur Antifa-Gruppen eine Gedenkdemo. Die Dortmunder Neonazis haben für den Tag auch bereits ein „Rock für Deutschland"-Festival in der Stadt angekündigt.

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Die Rechten hetzten auch gegen die anderen vier Menschen, die in den letzten Jahren von ihren Kameraden in Dortmund ermordet wurden. Sie skandierten Lobgesänge auf Michael Berger, der im Juni 2000 drei Polizisten und sich selbst erschossen hatte, und riefen immer wieder „Mehmet hat's erwischt". 400 Meter von dem grölenden Mob entfernt hatte der NSU 2006 den türkischen Kioskbesitzer Mehmet Kubaşik erschossen.

Als wäre das nicht genug Futter für das nächste Verbotsverfahren, ging die Volksverhetzung danach munter weiter. Auf einmal ging es um Anne Frank, die 1945 im Konzentrationslage Bergen-Belsen starb. Die Rechten grölten „Anne Frank war essgestört!" und „Wer sitzt im Schrank? Anne Frank!"

Der Polizei schien das vor Ort erstmal egal zu sein. Die Beamten gingen allerdings immer wieder gegen Gegendemonstranten vor, die von allen Seiten versuchten, an die Neonazis heranzukommen. Dabei sollen laut Polizeiangaben auch Pyrotechnik und Steine geflogen sein. Verletzte gab es aber vor allem auf Antifa-Seite. Ein Gegendemonstrant musste mit einer blutenden Wunde ins Krankenhaus gebracht werden, nachdem ein Polizeihund sich minutenlang in seinen Unterarm verbissen hatte.

Als die Neonazis nach stundenlangem Rumstehen von der Polizei zum Bahnhof begleitet wurden, riefen sie immer wieder: „Antisemiten kann man nicht verbieten!" Wie sicher sie sich da sein können, wird sich wohl in Zukunft zeigen. Die Behörden in Nordrhein-Westfalen suchen schon lange nach Gründen, „Die Rechte" zu verbieten.

Durch die Antifa-Blockaden ist übrigens nicht nur die Kundgebung in der migrantischen Nordstadt verhindert worden. Auch die dritte Kundgebung, die im Dortmunder Stadtteil Hörde stattfinden sollte, ist geplatzt. Hier wollten die selbsternannten Antisemiten nur wenige Hundert Meter von der Chanukka-Feier der jüdischen Gemeinde entfernt demonstrieren.