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'Wolfenstein II' ist genau das Spiel über Nazis, das wir jetzt brauchen

Robo-Nazis kontrollieren die USA und Hitler lebt auf der Venus – die Handlung klingt weit hergeholt und trotzdem hat 'The New Colossus' genauso viel mit Lasern wie mit dem Aufstieg der AfD zu tun.
Bild: Bethesda

Vielleicht ist Wolfenstein II: The New Colossus das wichtigste Spiel des Jahres. Das politisch Brisanteste ist es auf jeden Fall. In einem Jahr, in dem US-Präsident Trump die fackelschwingenden Rechtsextremisten der Charlottesville-Proteste zu "very fine people" erklärt und in dem zum ersten Mal seit Bestehen des Bundestags mit der AfD eine Partei rechts der CDU einzieht, stellt Wolfenstein II eine große Frage in den Raum: Wie gehen wir als Gesellschaft mit dem Vormarsch von Rechtspopulisten um, wie reagieren wir auf die zunehmende faschistische Gewalt?

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Dass das Spiel dieses Thema so zentral in den Raum stellt, wirft eine andere Frage auf, die so alt ist, wie die Debatten um Videospiele selbst: Sind Videospiele überhaupt politisch? Und wenn ja, wie gut kann sich ein Game mit solchen politischen Fragen befassen? Sollte es das überhaupt? Auf den ersten Blick liefert Wolfenstein jedenfalls nur die banalste aller Antworten auf die große Frage nach dem Umgang mit Rechtsextremismus: Nazis abknallen. Doch wer sich The New Colossus genauer anschaut, entdeckt, dass ausgerechnet dieser legendäre Shooter eine andere, sehr viel komplexere Antwort liefert.

"Make America Nazi Free Again": Marketing vs Alt-Right

Nazis Abballern ist der Markenkern von Wolfenstein. Seit 1981 mit Castle Wolfenstein die erste Version auf den Markt kam, hat Wolfenstein das Prinzip des Nazi-Shooters wie kaum ein anderes Spiel auf die Spitze getrieben. Ironie der Videospielgeschichte: Wann immer ein Wolfenstein Hakenkreuze auf abzuschießenden Nazis darstellte, landete es in Deutschland auf dem Index.

Doch spätestens seit der Ankündigung des neuen Wolfensteins kritisierten plötzlich einige Gamer das bewährte Spielprinzip: Immer wieder stießen sich rechte Spieler an der Marketing-Kampagne, mit der Wolfenstein-Entwickler Bethesda Werbung für sein neues Spiel machte. Mit Slogans wie "Make America Nazi Free Again" war nämlich allen klar, dass es hier nicht nur um die Nazis des Dritten Reichs geht, sondern um Trump und seine fragwürdigen Unterstützer, von Alt-Right bis Ku Klux Klan. "Rassismus gegen Weiße!" und "kann man auch mal gegen Antifa schießen?" hieß es dann in YouTube-Kommentaren und auf Twitter.

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Eine Frage muss erlaubt sein: Was zur Hölle ist passiert, dass Gamer ein Problem damit haben, in einem Spiel wie Wolfenstein Nazis umzuballern!? Seit dem Anfang der Spielegeschichte waren Nazis – neben Zombies und Aliens – der gemeinsame Nenner, auf den sich wirklich jeder als Feindbild einigen konnte.

Dass in einem Wolfenstein Game Nazis abgeschossen werden, ist Tradition. Nur waren die Faschisten der alten Serienteile bloß überzeichnete Abziehbilder – brutale Generäle, nymphomanische Nazi-Bräute, irre Wissenschaftler – doch damit war Schluss als die schwedischen Entwickler von Machine Head die Reihe 2014 übernahmen: Sie thematisierten inmitten von brutalstem Geballer Themen wie Holocaust und Antisemitismus. Genau das scheinen Gamer, die Sympathien für Nazis hegen, nicht gerne zu hören.

Es ist 2017 und rechte Gamer nehmen die Nazis im neuen 'Wolfenstein' in Schutz

"Nazis: GTFO" hieß es beispielsweise in einem kurzen Teaser auf Twitter, in dem der Hauptheld einen Nazisoldaten umboxt. Der Tweet geht viral. Denn viele Zuschauer erinnerte das an die Prügelattacke eines antifaschistischen Aktivisten gegen Richard Spencer, den bekanntesten Sprecher der ultrarechten Alt-Right-Bewegung. Alle Wolfenstein-Fans seien "geisteskranke Weiße", die ihr eigenes Volk verraten würden und dass das Spiel mit solchen Botschaften "die nächste Massenschießerei" inspirieren würde, schallte es daraufhin von einigen rechten Gamern zurück.

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"Fuck those guys" – Scheiß doch auf die – sagt Pete Hines, Vice President für PR und Marketing bei Bethesda im Interview mit VICE News. Solange man Nazis provozieren kann, sollte man es auch, heißt es unüblich kämpferisch vom Marketing-Chef. Statt vor den rechten Gamern zu kuschen, wird Wolfenstein noch härter – und zeigt, wie Nazis in den USA mit dem Ku Klux Klan zusammenarbeiten.

Das alles könnte man bloß als gut funktionierendes Marketing für den wichtigen US-Markt deuten, in dem Trump und seine Verstrickungen in rechte Kreise das Thema schlechthin sind. Doch Wolfenstein ist nicht nur für die USA interessant, es ist größer. Wolfenstein II: The New Colossus stellt sich der Frage, wie Faschismus und rechtsextreme Ideologien überhaupt wieder so groß werden konnten – ein Thema, das angesichts von brennenden Asylunterkünften, neuen rechtsextremen Gewaltgruppen und dem Einzug der rechtspopulistischen AfD in den Bundestag auch in Deutschland aktuell ist.

The New Colossus ist anders: Hochpolitischer Trash

Bild: Bethesda

Um zu verstehen, wie genau der Shooter den Kampf gegen Nazis versteht und einordnet, müssen wir seine Story betrachten. The New Colossus wirkt auf den ersten Blick wie generischer Quatsch aus den 80ern, irgendwo im Niemandsland zwischen Inglorious Basterds und Iron Sky: Nazis haben mit geheimen Superwaffen den Krieg gewonnen, den Mond und die USA besetzt und eine Terrorherrschaft aufgebaut. Es ist 1961 und eine tapfere Widerstandstruppe um den legendären Supersoldaten William "B.J." Blazkowicz nimmt den Kampf gegen die Supernazis auf.

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Geschichten wie diese gibt es massenweise: In Die rote Flut von 1984 sind es Kommunisten, die die USA besetzen, im Will Smith-Klassiker Independence Day von 1996 sprengen Tentakel-Aliens das Weiße Haus, in den Homefront-Ballerspielen von 2011 und 2016 sind es Nordkoreaner, die eine Militärdiktatur errichten. Diese Stories gehen immer so aus: Die bösen Invasoren unterjochen die Bevölkerung bis unsere Helden mit Freundschaft, dem Glauben an Freiheit und jeder Menge Waffengewalt die Demokratie wiederherstellen.

The New Colossus ist anders.

Das neue Wolfenstein liefert bittere Wahrheiten über Nazis

Straßenszenen aus dem besetzen Roswell im neuen 'Wolfenstein' | Bild: Bethesda

The New Colossus stellt eine große These in den Raum: Rassismus, Nationalismus, Gewalt und Antisemitismus waren schon immer da. Vielleicht sind gar nicht alle gegen die Nazis, vielleicht – so die schwedischen Entwickler – sind Nazis einfach nur die extremste Form einer Ideologie, die immer Anhänger und Sympathisanten hatte, die nie weg war, egal ob Hakenkreuze, Springerstiefel und lustige Bärtchen dran sind oder nicht.

Zentral dafür ist eine Szene vom Anfang des Spiels: In Zwischensequenzen erleben wir Momente aus der Kindheit von B.J. Blazkowicz, den man sonst vor allem als unbesiegbaren Nazischlächter kennt: Sein Vater, ein gescheiterter Ladenbesitzer wird handgreiflich gegenüber seiner Mutter, einer Jüdin, denn B.J. spielt mit der Tochter der schwarzen Nachbarsfamilie. Der Vater benutzt das N-Wort, B.J. und seine Mutter werden von ihm misshandelt, der Familienhund wird erschossen. Die Szene spielt viele Jahre vor der Eroberung der USA durch die Nazis. Sie ist fies und unangenehm anzuschauen – und sie zeigt: Die Nazis haben ihr Gedankengut nicht mit einem Eroberungskrieg in die USA importieren müssen. Es war schon längst da.

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Bei all der Monstrosität und Gewalt, die er zur Schau stellt: Der Vater des Helden wird bei all dem nicht wie ein Monster aus einer anderen Welt dargestellt – sondern wie die Norm.

Das zeigt ein späterer Besuch in der Kleinstadt Roswell: Hier herrscht kein Ausnahmezustand, sondern Alltag. Bürger gehen auf Paraden, schreiben Briefe über nette Nazis und neue Jobs und dass die abtransportierten Juden wirklich nichts zu befürchten hätten, wenn sie sich nur benehmen würden.

Es gibt in The New Colossus keinen großen Widerstand gegen das Nazi-Regime, denn für die meisten Menschen scheint hier das Leben einfach weiterzugehen. Es gibt Schauspieler und Talk Shows, es gibt Gerichte, Läden, Milkshakes. "Wenn man mitspielt, kann man hier ein gutes Leben führen", sagt im späteren Spielverlauf jemand B.J. ins Gesicht.

Widerstandskämpferin Grace sorgt bei Held B.J. für viele notwendige Reality Checks | Bild: Bethesda

B.J. ist davon schockiert – und wird dann von einem Widerstandskämpfer brutal in die Realität zurückgeholt: "Wo warst du, als wir für Bürgerrechte gekämpft haben!?" Der Alltag unter den Nazis in

Wolfenstein

ist nur die extremste Ausprägung des Status Quo. Es ist eine erschreckende Erinnerung daran, dass es eine ganze Menge Menschen gibt, deren Leben auch im Dritten Reich weiterging wie bisher, die zu stillen Komplizen der Nationalsozialisten wurden, die vielleicht sogar davon profitierten, wenn ihre Nachbarn in Lager gebracht wurden.

Keine Monster, Menschen: Wer überhaupt Widerstand leistet

Der Widerstand ist eine Sammlung aus den Feindbildern von Nazis | Bild: Bethesda

Der Widerstand in The New Colossus kommt nicht wie in Homefront, Die rote Flut oder Independence Day von tapferen Superbürgern, sondern von all den Menschen, die nicht mehr in die neue Weltordnung passen, von "Ausgestoßenen", wie sie sich selbst bezeichnen: Juden wie Blazkowicz, Menschen mit Behinderung wie die Rebellenanführerin Caroline, Hippies und Bürgerrechtlern, der revolutionären Black Panther-Bewegung, Jazz-Musikern und Wissenschaftlern.

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Wer Popkultur folgt, dem wird das vertraut vorkommen: Auch Quentin Tarantinos brutaler Film Inglorious Basterds, lässt die Opfer der Nazis blutige Rache üben. Doch während mit dem Tod von Hitler am Ende von Inglorious Basterds ein Happy End steht und das Nazi-Regime in Flammen aufgeht, verweigert sich Wolfenstein einfachen Antworten. Und zwar genau dann, wenn Zweifel durchscheinen in den Rebellen um B.J. Blazkowicz: Wie erfolgreich wird ihre blutige Revolution, von der sie schwärmen? Werden sie es wirklich schaffen, das Böse zu besiegen und eine bessere Welt zu erschaffen, wenn sie reihenweise Nazis abknallen?

An jeder Stelle des Spiels merkt man, wie aussichtslos ihr Unterfangen eigentlich ist. Wie utopisch der Gedanke, dass nur weil ein bis an die Zähne bewaffneter jüdischer Supersoldat Hitlers gesamten Generalstab in die Luft sprengt, zahllosen Nazi-Soldaten per dieselbetriebener Schrotflinte die Beine abschießt und mit Hackebeilen auf Offiziere losgeht, sich irgendetwas an der Einstellung der Bevölkerung ändern sollte.

Fühlt sich toll an, Konsequenz fürs Aufhalten von Nazi-Ideologie aber fragwürdig: Roboter zum Explodieren bringen | Bild: Bethesda

Und so unterhaltsam es auch ist, mit zwei Sturmgewehren Nazi-Roboter in Stücke zu schießen, so unangenehm ist es auch. An keiner Stelle lässt Wolfenstein Spieler vergessen, dass die Nazis, die sie hier reihenweise erschießen, auch Menschen sind. Es gibt Szenen, in denen eine Mutter B.J. Mord an ihrem Sohn vorwirft, es gibt Briefe, in denen Nazisoldaten nach Hause schreiben, eine Tochter, die die Nazi-Ideologie ihrer Mutter ablehnt und Offiziere, die über Erdbeermilch schwärmen. "Es sind keine Monster, es sind Menschen", erinnert die schwarze Widerstandskämpferin Grace den Helden des Spiels. Und sie müssen trotzdem alle sterben. Denn eine andere Lösung gibt es in dieser Spielwelt nicht.

Wolfenstein: The New Colossus ist kein hoffnungsvolles Spiel. Es ist ein Shooter, der entstanden ist aus einer tiefen Verzweiflung über eine Welt, in der sich selbst der Kampf für ein besseres Morgen aussichtslos anfühlt – weil gar nicht die Nazis mit ihren Robotern, Lasern, Stiefeln und Schnurrbärten das wahre Problem sind, sondern die Ideale, die sie verkörpern. Sie lassen sich nicht mit Dieselschrotflinten beseitigen, aber es ist das einzige Mittel, was es hier gibt. Dass gerade Wolfenstein, eigentlich der Prototyp eines dumpfen Ballerspiels, so differenziert und vielschichtig daherkommt, ist eine perfekte Pointe gegenüber den rechten Motz-Gamern auf Twitter und zeigt, welche – auch und vor allem – gesellschaftliche Sprengkraft in Videospielen steckt.

So deprimierend das auch ist: The New Colossus ist vielleicht das ehrlichste Spiel über den andauernden Rechtsruck, das es gibt.