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Drogen

13.000 Kiffer müssen weniger Angst vor Verkehrspolizisten haben

Seitdem du Cannabis auch auf Rezept bekommen kannst, ist es für Polizisten schwieriger geworden, dir den Führerschein zu entziehen. Jetzt wollen Experten klären, ob das so bleiben soll.
Symbolbild: imago | IPA Photo

Auf praktisch jedem deutschen Beipackzettel steht der Unterpunkt "Verkehrstüchtigkeit und das Bedienen von Maschinen". Er hilft, wichtige Fragen zu klären: Kannst du noch Gabelstapler durchs Lager fahren, wenn du die Kopfschmerztablette geschluckt hast? Ist das mit der Fräse im Hobbyraum wirklich so eine gute Idee, wenn du gerade auf Antiallergika bist? Und darfst du noch Auto fahren, wenn du beim Hustensaft etwas zu tief in den kleinen Plastikbecher geschaut hast? Und seit Cannabis auch als Medikament auf Rezept gilt, ist die Lage nochmal komplizierter.

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Das Ganze ist so kompliziert, dass sich am Donnerstag der Deutsche Verkehrsgerichtstag mit "Cannabis-Konsum und Fahreignung" befasst, eine Konferenz, bei der sich seit Mittwoch Juristen, Forensiker und Verkehrspolizisten treffen und Ratschläge für die Politik erarbeiten.

Nachdem die Bundesregierung vor einem Jahr den Zugang zu medizinischem Cannabis erleichtert hat, haben mindestens 13.000 Deutsche im Jahr 2017 einen Antrag auf Kostenerstattung bei den drei größten gesetzlichen Krankenkassen gestellt. Tausenden Menschen kann Cannabis seitdem Schmerzen lindern oder helfen, besser mit Krankheiten wie ADHS umzugehen. Die Gesetzesänderung hat aber noch einen Vorteil: Sie gewährt Kiffern einen gewissen Schutz vor Verkehrspolizisten, die in der Nähe von Discos und an Landstraßen lauern.

Was dir normalerweise droht, wenn du bekifft Auto fährst

Die deutschen Regeln sind eigentlich streng. Stellen die Beamten bei einem Bluttest mindestens ein Nanogramm THC pro pro Milliliter Blutserum fest, kann ein Bußgeld von 500 Euro fällig werden, inklusive eines einmonatigen Fahrverbots und zweier Punkte in Flensburg. In Bayern verhängt die Polizei solche Strafen manchmal sogar bei noch niedrigeren Werten. Ob allerdings selbst die drei- oder fünffache THC-Menge, die in anderen Ländern wie der Schweiz oder im US-Bundesstaat Colorado als Grenze gilt, überhaupt irgendwelche Auswirkungen auf das Fahrverhalten hat, ist umstritten. Der letzte Joint liegt da so oder so schon mehrere Stunden, wenn nicht sogar Tage zurück. Strafrechtsexperten und Toxikologen wie Volker Auwärter von der Universität Freiburg fordern seit Jahren eine Anpassung des Bußgeldkatalogs.

Wer ein Cannabis-Rezept hat, für den gelten die Grenzwerte aus dem deutschen Fahrerlaubnisrecht nicht. Das ging vor einem Jahr aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervor. Bekifft Auto fahren dürfen die Patienten dennoch nicht wirklich. Sie machen sich als Verkehrsteilnehmer strafbar, wenn sie sich beim Konsum nicht an die Vorgaben ihres Arztes und der Verpackungsbeilagen halten, und wenn sie sich auffällig verhalten, sprich: den Verkehr gefährden. Ob sie das tun, entscheiden sie bei Fahrtantritt wie andere Menschen auf konventionellen Medikamenten selbst. In Deutschland regelt kein Gesetz den Umgang mit Medikamenten im Straßenverkehr.

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Fraglich ist allerdings, ob die Konsumenten mit Rezeptzugang überhaupt Auto fahren können und wollen. Zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung war mehr als die Hälfte der Cannabis-Rezepteinhaber Schmerzpatienten, geht aus einer Anfrage der Linken an die Bundesregierung aus dem März 2017 hervor. Damals besaßen allerdings lediglich rund tausend Patienten eine Ausnahmeerlaubnis für medizinisches Gras. Im Auto dürften Schmerzpatienten aufgrund ihrer körperlichen Verfassung eher auf der Rückbank sitzen als im Fahrersitz.

Das gilt auch für die meisten Menschen, die Sativex benutzen, ein 2011 zugelassenes Mundspray, das THC und CBD enthält. Auch sie dürften theoretisch Auto fahren und die THC-Grenzwerte in einer Kontrolle straffrei überschreiten. Ein Informationsdienstleister für das Gesundheitswesen zählte vor zwei Jahren über 26.000 Menschen, die Sativex bekommen hatten. Ärzte verschreiben das Medikament allerdings Multiple-Sklerose-Patienten, die mit mittelschweren bis schweren Spastiken leben müssen. Die meisten von ihnen können kein Auto steuern.

Verkehrsexperten rauchen die Köpfe

Ein Blick in das vorab veröffentlichte Presse-Material des nun beratenden Verkehrsgerichtstag mit Kurzfassungen der zu haltenden Referate dämpft dann allerdings die Erwartungen all jener, die sich bereits einen Autokorso von Golf-Fahrern mit geröteten Augen ausgemalt hatten.

"Für die Feststellung der Verkehrssicherheit macht es aus toxikologischer Sicht keinen Unterschied, ob vor Antritt der Fahrt Cannabisblüten aus der Apotheke oder Cannabisblüten aus dem Coffeeshop geraucht wurden", lässt sich etwa Thomas Daldrup zitieren, der emeritierte Rechtsmediziner war über Jahre Präsident der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie.

Das Interesse an Cannabis ist jedenfalls nicht nur unter Deutschlands Schmerzpatienten, in der VICE-Redaktion und an Oldenburger Schulen groß, sondern auch unter den Verkehrsexperten: Der Arbeitskreis auf der Konferenz ist bereits vollends ausgebucht, heißt es auf der Webseite der Veranstaltung.

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