Menschen

Der Fall Metzelder zeigt, wie sehr die 'Bild' auf den Rechtsstaat scheißt

Staatsanwälte möchten sich gerne profilieren – Bild und der Volkszorn regeln den Rest.
Ein Mann mit verschränkten Armen vor Bild-Überschriften
Collage bestehend aus Screenshots von Bild.de und: imago images / eu-images

Man könnte meinen, im Jahr 2019 sei es komplett überflüssig, einen weiteren kritischen Text über die Bild zu schreiben. Eulen nach Athen. Wir alle kennen die Blogs und Twitter-User, die jeden Tag die kleinen Fehler und Unwahrheiten aufdecken, die das Springer-Blatt unter die Leute bringt. Wer liest denn noch die Bild? Nun ja. In Deutschland liegt die verkaufte Auflage bei 1,5 Millionen Exemplaren. Klar, die Kurve sinkt dramatisch. Aber die Relevanz, Skrupellosigkeit und Macht der Bild sind bisher ungebrochen. Jüngstes Beispiel: der Fall Christoph Metzelder.

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Was bisher bekannt ist: Vor Wochen berichtete die Bild offenbar der Polizei von Fotos, die Metzelder angeblich per WhatsApp verschickt haben soll. Die Bilder sollen den dokumentierten Missbrauch von Kindern zeigen. (An dieser Stelle vielleicht auch mal ein Hinweis darauf, wie unglaublich falsch und verharmlosend der Ausdruck "Kinderpornografie" ist). Der Hinweis führte am Dienstag zu einer Durchsuchung, bei der ein Bild-Team anwesend war.

Es sollte alle, denen etwas am Rechtsstaat liegt, beunruhigen, wenn sich normalisiert, dass die Bild-Zeitung bei polizeilichen Durchsuchungen dabei ist – und im Anschluss identifizierend über den Tatverdächtigen berichtet. Wie gelang es der Bild überhaupt, rechtzeitig vor Ort zu sein? Zufall? Bild-Fotografen hängen bestimmt an vielen Orten rum, um sich die Zeit zu vertreiben, eine Sportschule in Hennef gehört wahrscheinlich eher nicht dazu. Die Ermittlungsbehörden dementieren eine Kooperation mit der Bild. "Wir waren auch nicht glücklich über die Begleitung", so der Hamburger Polizeisprecher Timo Zill zum Berliner Tagesspiegel.

Es ist die Emotionalität des Falls, die der Bild die Sicherheit gibt, so zu berichten. Sollten die Vorwürfe sich als wahr herausstellen, ist die Abscheulichkeit des Verbrechens so enorm, dass sich niemand öffentlich gegen das Springer-Blatt stellen wird. "Wir hatten doch Recht" wird der Tenor sein. Doch so hart wie es angesichts solcher Anschuldigungen klingen mag: Euer Instagram-Post zu den Amazonas-Bränden in allen Ehren, aber es sind Momente wie diese, in denen sich die Zivilisation beweisen muss. Denn auch wenn die Bild selbst einen verhältnismäßig differenzierten Artikel veröffentlichte, in dem sie erklärt, wann es rechtens ist, über Strafverfahren zu berichten und wann nicht – ihr Handeln entspricht dem genauen Gegenteil. Die mediale Verurteilung dieser Vorgehensweise hält sich in Grenzen.

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Die Bild-Zeitung gibt sich oft als Verteidiger demokratischer Werte, ermittelt und verurteilt aber selbst. Aufgrund ihres Hintergrundwissens zu diesem Fall (die Zeitung hat ja offenbar schon seit Langem Kontakt zu der oder den HinweisgeberInnen) dürfen wir uns auf eine Fortsetzungsgeschichte freuen. Die Insider-Storys dürften bereits in der Schublade liegen.

Die Storys erscheinen in einer Zeitung, die Cindy Crawford und ihrer Tochter mal "das doppelte Hottchen" nannte. "Dunkle Walla-Walla-Mähne, mandelbraune Augen, sinnliche Lippen und Beine bis zum Himmel!", so beschrieb die Zeitung das 14-jährige Mädchen. Dieselbe Zeitung, die über die Enkelkinder von Elvis Presley zu berichten wusste, dass diese "mit typischem Presley-Schlafzimmerblick in die Kameras" blicken. Neunjährige mit Schlafzimmerblick, darauf muss man erst mal kommen.

Dass sich die Bild gerne als Richter aufspielt, ist keine Neuigkeit. Erinnern wir uns etwa an die Fotos der angeblichen G20-Randalierer auf der Titelseite. Hier wurden Menschen unverpixelt an den weltweiten Pranger gestellt, denen teilweise vorgeworfen wurde, zwei Sektflaschen gestohlen zu haben. Da die gezeigten Personen nicht mal offiziell zur Fahndung ausgeschrieben waren, hätte die eigenmächtige Bild-Fahndungsaktion sogar strafrechtliche Konsequenzen haben können. Hatte sie aber natürlich nicht. Wer legt sich schon mit der Bild an?

Christoph Metzelder sicherlich nicht. Sollte er tatsächlich schuldig sein, zählen die Nuancen rund um die Ermittlungen und die Berichte darüber nicht mehr. Dabei sind die Nuancen so wichtig. Metzelder hingegen wäre – vollkommen zu Recht – abgeschrieben. Von der Bild-Aktion wird nicht mehr viel übrig bleiben, außer ein weiterer medialer Coup, den sich Julian Reichelt und seine Reporterinnen an das Revers heften können. Es steht sogar zu befürchten, dass es so weitergehen wird. Denn Staatsanwälte möchten sich nun mal gerne profilieren und der Volkszorn regelt den Rest.

Bei all der gebotenen Zurückhaltung und aller Seriosität, die ein solches Thema erfordert, ist es dennoch wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, was diese Zeitung täglich anrichtet. Und nichts ist dafür passender als ein Zitat des Schriftstellers Max Goldt: "Diese Zeitung ist ein Organ der Niedertracht. Es ist falsch, sie zu lesen. Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muss so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz gerade noch zulässt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun."

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