Wir haben dokumentiert, wie oft sich Festival-Besucher waschen
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Popkultur

Wir haben dokumentiert, wie oft sich Festival-Besucher waschen

Ob Kacken, Duschen oder Menstruieren: Festivals sind hygienischer Ausnahmezustand. Eins vorweg: Ja, Sex auf dem Plumpsklo ist möglich.

Samstagnachmittag. Alle sind schmutzig und keinen scheint es zu stören. Ich bin seit zwei Tagen in einem Wald rund 100 Kilometer südlich von Berlin, in dem das Wilde Möhre Festival stattfindet. Der Matsch unter den Schuhen sinkt ein, in der Nacht zuvor hat es geschüttet. Getrockneter Schlamm klebt an nackten Füßen oder zentimeterdick auf den Schuhen. Unter meinen Nägeln hat sich inzwischen die vierte Dreckschicht angesammelt, mein Körper ist nicht nur von der Sonne braun, ich will gar nicht wissen, wie ich rieche. Mir juckt die ewige Festivalfrage auf der Haut:

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Soll ich duschen?

Eigentlich habe ich keine Lust. Ehrlich gesagt steige ich auf Festivals selten unter die Brause. Aber ist das schlimm? Auch heute zögere ich und frage mich lieber quer über das Festival, wie es die anderen Gäste mit der Reinheit halten. Da ahne ich allerdings noch nicht, dass die Körperwäsche am Ende mein kleinstes Problem sein wird.


Aus dem VICE-Videonetzwerk: Das Shambhala ist eines der legendärsten Festivals der Welt


Die Duschen befinden sich in der Nähe des Eingangs, davor eine lange Schlange, Frauen und Typen. Ich drängle mich vorbei, betrete den Vorraum einer Gemeinschaftsdusche, wie ich sie aus Turnhallen kenne, und stelle mich zu einer Gruppe Wartender. Etwa fünfzehn Minuten stehe sie schon hier, sagt eine Frau neben mir. "Bei mir waren es schon mal 45 Minuten", meint Jan, blonde Haare, Glitzer im Gesicht. Für sein persönliches Wohlbefinden stehe er morgens extra früh auf. Für andere ist das Wetter entscheidend: Wenn es nicht so warm ist, schwitze man nicht so schnell, dann sei auch das Duschen nicht so wichtig.

Draußen steht eine junge Frau und sträubt sich: "Die Duschen sind halt auch voll dreckig. Das ist danach voll der Krampf, sich die Füße sauber zu machen."

Waschen ist überflüssig – oder doch nicht?

Nicht Wenige gehen einfach gar nicht duschen, ganz wetterunabhängig. Dafür steht zu viel auf dem Programm, das man verpassen könnte. Und wieso sich putzen, wenn man kurz danach wieder voller Staub und Schweiß ist? "Ich hab einfach keinen Bock, mich ewig für 'ne kalte Dusche anzustellen", sagt Nina, sie trägt einen roten Body und Zebra-Leggins. Warmes Wasser ist auf Festivals mehr die Ausnahme denn die Regel. "Vielleicht zwischendrin mal den Kopf waschen", überlegt sie, "aber nee, ist auch überflüssig. Mir geht's hier ja nicht um Schönheit."

Nächste Grundsatzfrage: aufs Klo oder nicht aufs Klo? Und wenn ja, wie? Die Wilde Möhre verschreibt sich auch in ihrem vierten Jahr der Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit. Die Veranstalter nutzen faire und recycelte Materialien auf dem ganzen Gelände, für klimaneutrale Energie sorgen Solaranlagen und sie bemühen sich, die Zahl der PKW-Anreisenden gen Null zu bringen. Bei den Klos heißt das: Ökotoiletten statt Chemie-Dixies. Das sind Klos in Mini-Holzhütten-Form mit Toilettensitz und einer Ladung Sägespänen, die den Geruch neutralisieren und dafür sorgen sollen, dass der Kot zu Kompost wird. Nach jedem Gang streut man die Späne über das verrichtete Geschäft.

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"Ökotoiletten sind auf jeden Fall geiler als Dixies!", findet Leonard aus Aachen. Er muss allerdings gerade warten, obwohl eine Klotür offen steht. "Ich darf da nicht drauf, meine Freundin kann nicht neben mir kacken." Ich stapfe ein paar Stufen hoch in den dunklen, kleinen Raum. Erstes Problem: Die Tür geht nicht zu. Das bedeutet zuhalten. Man wird auf Festivals ja auch immer erstaunlich kreativ. Mit einer Hand pinkeln, sich an- und ausziehen und zwischendrin den Po abwischen? Funktioniert.

Allerdings auch nicht bei jedem, wie mir ein etwas frustrierter Besucher nach dem Klogang berichtet: "Dann sitzt du da drin und liest dir erstmal diese Regeln durch. Dass man etwa die Klobrillen vor Benutzung mit einem Handbesen abkehren soll. Blöd nur, wenn da kein Besen ist." Generell scheint man auf der Möhre dieses Jahr etwas überfordert mit der Toilettensituation zu sein. Desinfektionsmittel gibt es nicht, Toilettenpapier und Sägespäne fehlen oft, die Scheiße quillt aus manchen Klos nur so heraus und einige Toiletten sind sogar ganz abgesperrt. Da ist bei einigen die Freude groß, dass man ja gerade in einem Wald steht. Allerdings bedeutet das auch, dass bald fast jede mögliche Stelle vollgekackt ist.

Ein wichtiger Hygiene-Faktor ist und bleibt das Wetter

So oder so, ich hatte diesmal Glück: Ein großes Geschäft hätte die ganze Sache schon wesentlich komplizierter gemacht – ähnlich kompliziert wie die weibliche Periode.

Menstruationstasse drinnen? Akrobatisch und präpariert sein!

Die Regelblutung kann für Frau an so einem Wochenende ein hygienischer Albtraum werden. Mir ist das erst drei Wochen zuvor auf einem Festival in Kroatien passiert. Etwa seit einem halben Jahr benutze ich den umweltfreundlichen Menstruations-Cup: ein kleines Silikon-Gefäß, das eingeführt in die Vagina, das Blut auffängt, statt es wie Tampons aufzusaugen. Man muss das Ding also an einem herausstehenden Zipfel vorsichtig aus der Scheide herausführen, ausleeren, mit Wasser oder Toilettenpapier saubermachen und wieder einführen. Dass das Ganze eine blutige Angelegenheit werden kann, erklärt sich von selbst. "Immer Feuchttücher mitnehmen!", empfiehlt mir Nina, die in den Zebra-Leggins. Hatte ich damals aber nicht dabei. Glücklicherweise hing in Kroatien an jeder Festivaltoilette eine Tube mit Desinfektionsmittel und man konnte sich im naheliegenden Fluss die Hände waschen. Ich habe dennoch versucht, niemanden anzufassen.

Auf der Möhre sucht man Desinfektionsmittel vergeblich. Auch Waschbecken sind gut versteckt. Ich finde eine Wasserstelle, an der bereits der komplette Boden so unter Wasser steht, dass man nur mit vorgebeugtem Oberkörper und ausgestrecktem Arm mit trockenen Füßen aus der Sache herauskommt.

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Ich gehe weiter über feuchtes Heu, das den Schlamm bedeckt, und denke an meine Festivalbesuche der letzten Jahre: fast nie geduscht, selten die Hände gewaschen, ein nahegelegener See oder ein Fluss gab mir das nötige Gefühl von Wasser am Körper. Und dann eben die übliche Katzenwäsche, wenn man sich selbst doch riecht und die Kruste aufbricht.

"Hier kannst du tun, was du zuhause nie tun würdest", sagt ein Freund. Ein Festival ist ein Freifahrtschein, sich einmal so wie Sau zu benehmen. Ist das schlimm? Schadet uns das? Ich frage einen Sanitäter vor Ort: "Als Ursache von Krankheiten ist mangelnde Hygiene eher selten. Und wir bieten ja auch einige Hilfsmittel an, die Leute nutzen sie nur nicht." Auf anderen Festivals hingegen werde zwar danach geschrien, erzählt er. "Wenn ich aber manche hier sehe, frage ich mich, ob die Waschmittel überhaupt schon mal gerochen haben." Aber hey, das müsse natürlich jeder selber wissen.

Beim Sex hört der Hippie-Spaß auf

OK, jetzt aber mal richtig zur Sache. Was ist mit der vielleicht wichtigsten Grundsatzfrage, was ist mit Sex? Mira lacht: "Ich sehe vielleicht aus wie'n Hippie, aber was Liebe angeht, bin ich ganz die Romantische." Sie liegt auf einem Heuballen neben dem Infopoint. Wenn hier jemand sexuelle Gelüste bekäme, sei die Hygiene sicherlich zu vernachlässigen. Immerhin habe sie ein Deo in der Nähe versteckt, an das sie immer rankomme.

Na, Bock?

Für Leonard und seine Freundin kommt für Geschlechtsverkehr nur das Zelt infrage – wenn überhaupt. Zu unentspannt, findet er. Einige, mit denen ich an diesem Tage spreche, geben zu, keine Verhütungsmittel dabei zu haben. Die Bereitschaft, Sex auf einem Festival zu haben, hänge aber auch von der Situation ab, glaubt Mira. Wenn sie einen Freund hätte, wäre ihr egal, wo sie Sex hätten: "Zur Not auch auf'm Klo."

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Vor dem Essen Händewaschen? Gern, aber wo denn?

Ich habe allerdings langsam genug vom beißenden Scheißegeruch und dem steigenden Bewusstsein, was für eine Bakterienhölle ein Festival ist. Ich gehe zu den Essensbuden. Mein Blick ruht auf einem Jungen mit einer Pizza in der Hand, dessen Hände ziemlich verdreckt aussehen. "Warum guckst du so?", fragt er. Wie oft er die Hände gewaschen habe, frage ich zurück. Dreimal, einmal sogar mit Shampoo, meint er grinsend. Er sei seit Donnerstag da. Dreimal in zwei Tagen also. "Wo soll ich sie auch waschen?", erwidert er.

Später sitze ich bei einer Gruppe, die ihre Vöner genießt – vegane Döner. Wann sie wohl das letzte Mal ihre Hände gewaschen haben? "Davor. Mit Seife allerdings gestern Abend", erinnert sich Max, dem die Soße über die Hände fließt. "Ich am Freitagmorgen", sagt Celine neben ihm und blickt, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. "Aber du warst ja im See", erwidert Max. "Ja, stimmt. Na dann …"

Duschen und Händewaschen scheinen also eher überbewertet. Saubere Toiletten ließen Herzen höher schlagen, für Sex hingegen nähme man auch mal eine Geschlechtskrankheit in Kauf. Ganz allgemein ist jedenfalls festzustellen: Festivals sind ein hygienischer Ausnahmezustand. Oder anders: Auf Festivals erfahren wir, wie dankbar wir für unsere Hygieneartikel sein können. Plötzlich wird ein warmer Wasserstrahl zur schönsten Errungenschaft der Menschheit. Wir erkennen, dass er Luxus ist. Ich bin an der Bühne angelangt, an der ich die kommenden Stunden verbringen möchte: Es ist eine Halle, sehr viel Staub liegt auf dem Boden. Wenn wir tanzen wirbelt der Staub durch die Luft. Wie gut, dass ich nicht duschen war.

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