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Twitter-Posse

Der Dortmunder Kartoffelkompromiss ist das deutscheste Drama aller Zeiten

In den Hauptrollen: ein Fußballfan, die Polizei und Jan Böhmermann.
Jan Böhmermann und ein Polizist mit Kartoffeln
Collage bestehend aus: Böhmermann: imago | DeFodi || Polizist: imago | Future Image || Kartoffeln: Pixabay | Lyes Titi

Manche Geschichten machen klar, wie ein ganzes Land tickt. Zum Beispiel die eines eines verarmten Lords aus Schottland, der in seiner Burg eine 100.000 Euro teure Flasche Champagner entdeckte. Anstatt sie zu verkaufen, verschenkte er sie nach Frankreich. Dort gehörte sie seiner Ansicht nach hin. Nun hat Deutschland auch so eine Geschichte, eine, in der alles, wirklich alles, so deutsch ist, wie es nur geht. Es ist die Geschichte des Dortmunder Kartoffelkompromisses.

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Sie beginnt – wo sonst? – in einem Fußballstadion und zwar im Dortmunder Signal Iduna Park. Dort regt sich ein Fan über die hohe Polizeipräsenz beim Spiel gegen den 1. FC Nürnberg auf. Er ist empört. Also beschließt die Person mit dem Twitter-Pseudonym "Kartoffelotto", sich zu beschweren.

Zuvor hatte es in NRW zwei Neonazi-Demos gegeben (natürlich, Neonazis dürfen in keiner deutschen Geschichte fehlen). Bei diesen Demonstrationen, das sagt Kartoffelotto später den Ruhr-Nachrichten, wären deutlich weniger Polizeikräfte gewesen als beim BVB-Spiel. Deswegen sei er sauer gewesen.

Bei der Dortmunder Polizei kommt Kartoffelottos politische Kritik gar nicht so gut an. Sie sehen "lachhafter Haufen" als Beleidigung. Der Twitter-Nutzer zollt den deutschen Beamten und Beamtinnen offensichtlich nicht den gebührenden Respekt. Da hilft nur eines, nämlich mit Strafen drohen. Die Reaktion der Polizei fällt entsprechend humorlos aus: Sie behauptet, seinen Kommentar auf "strafrechtliche Relevanz" überprüfen zu wollen.

Aber diese Drohung bringt Kartoffelotto nicht zum Einlenken. Vor allem nicht, da er ordentlich Rückenwind bekommt. Eine ganze Reihe von Twitter-Nutzern und -Nutzerinnen regt sich über die Drohung der Polizei auf. Auftritt: das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Gestalt von Kartoffelkönig Jan Böhmermann.

Und jetzt passiert etwas wirklich Skurriles. Die Polizei twittert, Kartoffelotto solle doch einfach auf einen Kaffee vorbeikommen, um dort "auf menschlicher Ebene" die Sache zu klären. Nur kann Kartoffelotto gerade nicht, weil er "noch kein Auto bewegen darf". Deswegen bittet er um einen anderen Termin für das Kaffeekränzchen. Als daraufhin erst einmal Funkstille herrscht, fährt Kartoffelotto stattdessen für einen Städtetrip nach London. Von dort aus teilt er Bilder verschiedener Biersorten mit seiner neu gewonnen Twitter-Fancommunity. Als er zurückkommt, findet er in seinem Briefkasten eine Vorladung der Polizei.

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Das löst wenig überraschenderweise einen ordentlichen Shitstorm aus. Tenor: "An Lächerlichkeit nicht zu überbieten." Am Mittwoch hat die Polizei dann endlich ein Einsehen und erbarmt sich ihrer selbst, Böhmermanns, Kartoffelottos und aller unbeteiligter Zuschauer dieser Posse und beendet den Spaß. Kartoffelotto werde nicht angezeigt, verkündet sie, über ein Gespräch würde sie sich aber immer noch freuen. Kartoffelotto nimmt die Einladung dieses Mal auch an, allerdings nur wenn sowohl er als auch die Polizei und Böhmermann jeweils 100 Kilogramm Kartoffeln für einen guten Zweck spenden. Alle Parteien stimmen zu, der Quatsch hat tatsächlich endlich ein Ende.

Der deutscheste aller Handlungsstränge (Kartoffelotto - Fußball - Empörung - Respekt - Strafe - Beamte - ZDF - Kaffeekranz - Bier - Kartoffeln) findet sein Happy End. Bleibt nur noch eine Frage zu beantworten und das übernehmen wir natürlich gerne.

Die Antwort berechnet sich wie folgt: Der Pro-Kopf-Konsum von Kartoffeln liegt in Deutschland bei 57,9 Kilogramm im Jahr. Da wir hier von Dortmund reden, rechnen wir aber mit 60 Kilogramm, wegen des überdurchschnittlich hohen Pommes-Konsums. Dortmund hat 586.600 Einwohner, im Jahr verzehren die also 35.196.000 Kilogramm Kartoffeln. Wenn man, wie im vorliegenden Fall, von einem 300-Kilo-Ertrag pro Beamtenbeleidigung ausgeht, müsste man die Polizei 117.320 mal beleidigen. Damit wäre der Dortmunder Kartoffelbedarf für ein Jahr gedeckt.

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