Dieser "White Trash"-Südstaatler kämpft für Arbeiter und gegen Vorurteile
Porträt von Jared Soares

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The Restless Youth Issue

Dieser "White Trash"-Südstaatler kämpft für Arbeiter und gegen Vorurteile

Nic Smith ging viral, als er im breitesten Virginia-Dialekt erklärte, warum Fremdenfeindlichkeit so dumm ist. Der junge Sozialist setzt sich für einen vernünftigen Mindestlohn ein und zerstört jedes Redneck-Klischee.

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Kurz nach Donald Trumps Wahlsieg ging ein Video von einem jungen Mann in Tarnkleidung viral. Der 21-jährige Aktivist Nic Smith lebt in Appalachia, der größten Kohleabbauregion der USA. Menschen wie Smith und kleine Orte wie seine Südstaatenheimat Trammel in Dickenson County, Virginia, standen plötzlich im Fokus der Medien. Das Video mit dem Titel "Think This Coal Country Southerner Voted for Trump?" zeigt Smith im Interview und wie er auf einer Demo durch ein Megafon spricht. Als der Interviewer fragt, ob Smith glaube, dass Trump wie versprochen neue Kohlejobs schaffen werde, blickt er direkt in die Kamera und antwortet: "Oh, hell no."

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Smith ist nicht die Art Sozialist, die auf Partys von "Produktionsmitteln" schwafelt, sondern die Art Sozialist, die schon in einer Fabrik gearbeitet hat. Er entstammt einer langen Reihe von gewerkschaftlich organisierten Bergarbeitern. Diese galten einst als das Fundament der Demokratischen Partei der USA, und doch entspricht Smith so gar nicht dem heute typischen Bild eines Aktivisten. Er leistet neben seinem Studium Zehn-Stunden-Schichten in der Diner-Kette Waffle House und kämpft in seiner Freizeit für einen Mindestlohn von 15 Dollar. Er drückt seine Ansichten sehr direkt aus, bleibt dabei aber stets sympathisch. Die bodenständigen Südstaatenmanieren äußern sich in Antworten wie "Yes, Sir" und Bemerkungen wie: "Meine Mutter ist eine der besten gottverdammten Krankenschwestern, die ich je gesehen habe."

Als ich ihn zur Geschichte von Trammel befrage, empfiehlt mir Smith ein YouTube-Video namens "Trammel, a Town for Sale".


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Die Reportage eines Lokalsenders aus dem Jahr 1986 dokumentiert den Niedergang der Stadt, die letztendlich versteigert wurde. Trammel begann als Bergarbeiterlager und wurde zur Werksiedlung: Häuser und Geschäfte gehörten komplett dem Kohleunternehmen. Die Bergarbeiter zahlten also den Großteil ihres Lohns als Miete an ihre Arbeitgeber zurück. Als die Kohlejobs verschwanden, zerfiel die Stadt und 1986 fand eine große Auktion statt. Die Bewohner boten verzweifelt auf Häuser, in denen ihre Familien seit Generationen lebten. Im Video lächelt eine Mutter in die Kamera. Sie konnte ihr Haus retten, indem sie auswärtige Bieter überzeugte, es nicht zu kaufen. "Ich mag Trammel nicht mal sonderlich", sagt sie. "Aber es ist meine Heimat." Die Reportage endet optimistisch: Vielleicht könne Erdgas die Wirtschaft in Zukunft ankurbeln.

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Smith kam zehn Jahre nach der Auktion zur Welt und seither hat sich die Lage in der Region nur verschlimmert. "Ich will nicht über Trammel lästern", sagt er. "Ich liebe es, aber es ist inzwischen so was wie ein bewohntes Meth-Labor. Es gibt keine Jobs mehr." Auf die Frage, ob sein Vater Bergarbeiter gewesen sei, sagt er: "All meine Opas und Uropas waren in der Grube. Die Babyboomer waren auch Bergarbeiter, aber die Jobs verschwanden, bevor mein Vater alt genug zum Arbeiten war. Heute hat der Bergbau eher mit Kultur als mit Jobs zu tun." Smith meint, Appalachia habe eine Art Stockholm-Syndrom gegenüber der Kohleindustrie.

Die Industrie ermöglichte einst den Aufstieg in die Mittelschicht. Mit einem Highschool-Abschluss und einem 40-stündigen Kurs in Grubensicherheit konnte man als Bergarbeiter anheuern. Diese Jobs brachten 60.000 Dollar im Jahr, was reichte, um ein Kind auf die Uni zu schicken oder ein kleines Haus zu kaufen. Das Geld floss natürlich auch zurück in die regionale Wirtschaft. Damit ist es vorbei. "Heute gibt es statt Kohlejobs Sozialhilfe, Drogenhandel und Kupferdiebstahl", sagt Smith. Das Erdgas, einst die große Hoffnung der Region, hat zwar weiter Umweltschäden verursacht, doch genug Arbeit hat es nicht gebracht. Mitte der 2000er schloss Smiths Mutter ihre Ausbildung zur Krankenschwester ab und zog mit ihrem Sohn von Trammel nach Roanoke, eine Stadt mit 100.000 Einwohnern.

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Smith hatte sich schon immer für soziale Themen interessiert, und an den Schulen in Roanoke erkannte er echte Ungleichheit. Die besseren Schulen waren immer in den Einzugsgebieten weißer Einwohner. "Rassentrennung im 21. Jahrhundert", sagt Smith dazu. Ihm wurde klar, dass Trammel mehr mit den schwarzen als mit den weißen Vierteln von Roanoke gemeinsam hatte, obwohl in Trammel fast nur Weiße leben. Neben seinem Vollzeitjob blieb wenig Zeit für Aktivismus, doch dann las er über Bernie Sanders. Die Mindestlohn-Kampagne "Fight for $15", die Sanders unterstützte, hatte in manchen Gegenden tatsächlich Erfolg. Smith sah darin einen Weg, etwas Konkretes zu erreichen. Letzten August lud ein Ableger der Kampagne ihn zu einem Protestmarsch in der ehemaligen Südstaatenhauptstadt Richmond ein, an dem auch Mitglieder der afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisation NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) teilnahmen. Smith wurde bewusst, wie wichtig es ist, sich mit der schwarzen Arbeiterschicht zu solidarisieren. Seither besucht er die Demos der Kampagne regelmäßig.

"Wir brauchen Aktivisten, die für junge Leute aus der Arbeiterschicht Alternativen schaffen."

Smith machte seinen Highschool-Abschluss 2012, als er erst 17 war. Er hatte vor, dem Militär beizutreten, wurde aber aus medizinischen Gründen ausgemustert. Also arbeitete er in einem Supermarkt und bewarb sich um ein staatliches Stipendium, mit dem er am Community College Sozialwissenschaften studierte. Er brach das Studium bald wieder ab, um für 8 Dollar die Stunde in Vollzeit als Hilfspfleger in einer psychiatrischen Klinik zu arbeiten. "Dann hatte ich Glück und fand einen Job in einer Glasfabrik", erzählt er. "Es war harte körperliche Arbeit, aber ich war froh, 10 Dollar die Stunde zu verdienen."

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Für solche, die ein Gehalt beziehen, mag es schwer zu verstehen sein, wie viel ein vernünftiger Mindestlohn für Menschen aus der Arbeiterschicht ausmacht – gerade in den USA. Smith merkte nach seinem Jobwechsel rasch, dass auch 10 Dollar nicht besonders viel sind. Gesundheitliche Probleme hätte er finanziell nicht überlebt. Er hatte weder Kinder noch Vorstrafen, doch diese Faktoren hätten ebenfalls alles geändert. Die 10 Dollar reichten einfach nicht. Er schrieb sich in Roanoke am College ein und arbeitete als Barista im Campus-Café. "Ich dachte, es würde mir nicht gefallen", sagt er. "Aber ich kochte Espresso und bekam denselben Lohn wie als Pfleger fürs Ärsche abwischen: 8 Dollar." Dann fand er einen Job im Waffle House, wo er 2,35 Dollar die Stunde plus Trinkgeld bekam. Jetzt lässt er sich zum Koch ausbilden und liegt mit 10 Dollar am oberen Ende der Lohnskala des Fast-Food-Sektors. Die Entlohnung in der Branche ist generell erbärmlich: "Man sollte sein Einkommen niemals mit Trinkgeld verdienen müssen", sagt Smith.

Smith will, dass Aktivisten in New York, Portland und L.A. wissen, dass es auch in Appalachia Menschen wie sie gibt – auch wenn sie meinen, dort wären alle für Trump. "Ich bin hier nicht allein mit meiner Einstellung. Wir versuchen unsere Gemeinden zu mobilisieren genau wie die Großstädter." Wenn Trumps Wahlsieg für Smith etwas Gutes hat, dann wohl die Stärkung radikal-aktivistischer Bewegungen. Nachdem sein Video viral ging, sagten manche Journalisten Dinge wie: "Trotz deiner Herkunft bist du Sozialist geworden." Smith findet das Gegenteil richtig: Er kämpft nicht trotz seiner Herkunft, sondern wegen ihr. Appalachia ist besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels und leidet seit Jahrzehnten an drastischen Einkommensunterschieden. Smith meint, reiche weiße Konservative hätten viel Zeit und Geld investiert, um weiße Arbeiter davon abzuhalten, sich mit armen Gemeinden anderer Hautfarbe zu identifizieren. Smith würde es begrüßen, wenn Großtstadtlinke helfen, diese künstliche Trennung aufzubrechen. "Wir brauchen junge Aktivisten, die für junge Leute aus der Arbeiterschicht Alternativen schaffen."

Smith sagt, er hoffe, dass die Medien den Menschen im Kohlegebiet endlich ein Gesicht geben. Und dass Politiker anfangen, echte wirtschaftliche Alternativen zu Gas und Öl zu besprechen. "Wir brauchen Straßen und Infrastruktur, damit die Wirtschaft wachsen kann", sagt er.

Ein großes Problem ist, dass den Menschen, die hier leben, das Land meist nicht gehört. Smith wünscht sich, dass es in ihren Besitz übergeht, sodass sie es nutzen können. Er kann sich in Dickenson County eine Fabrik für legale Hanfprodukte vorstellen oder eine Wirtschaft, die auf Solar- und Windenergie basiert. Er hat viele Ideen, und alle beginnen auf der lokalen Ebene.

Smith hofft, dass die Demokraten zu ihren Wurzeln zurückkehren und die ländliche Armut in Angriff nehmen, um Trump zu schlagen. "So haben es JFK und Lyndon B. Johnson getan", sagt Smith. "Sie fuhren in die Bergbaustädte und sagten: 'Ihr seid uns nicht egal.'"

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