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Abstimmung

Die Schweiz könnte bald Nestlé ans Bein pinkeln

Mit der Abstimmung zur Fair-Food-Initiative entscheidet sich die Schweizer Bevölkerung für oder gegen Lebensmittel-Kapitalismus.

Dieser Artikel stammt aus unserer Redaktion in Zürich.

Falls du gerade das grösste Raclette-Festival der Schweiz planst, solltest du dich beim Berner Verein Gmüesgarte umsehen: Derzeit kannst du dich dort mit 6.000 Kilo Kartoffeln eindecken. Die gibt's sogar zum Schnäppchenpreis, denn die Bauernfamilie, von deren Hof die Kartoffeln stammen, bleibt sonst auf der Ware sitzen. Zu gross und zu unförmig seien sie für den Supermarkt, heisst es im dazugehörigen Facebook-Post. Egal ob beim Gmüesgarte in der Schweizer Hauptstadt, in Zürich beim Verein Grassrooted, bei Unverschwendet in Österreich oder Querfeld in Deutschland; immer häufiger können Konsumierende durch nachhaltig orientierte Organisationen an günstige und gesunde Lebensmittel kommen, die sonst im Müll landen würden.

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Dass die Schweiz diesen Luxusüberschuss produziert, liegt unter anderem daran, dass unsere Regale im Supermarkt oft mit Lebensmitteln aus dem Ausland befüllt werden. Erdbeeren aus Spanien, Tomaten aus Italien oder Geflügel aus Brasilien finden sich nicht nur beim Discounter, sondern auch in Supermärkten, die sich sonst für einen nachhaltigen Umgang mit Nahrung einsetzen. Allerdings haben diese Länder nicht die gleichen Anbau- oder Aufzuchtstandards wie die Schweiz, hierzulande sind allein schon die Auflagen für die Massentierhaltung deutlich höher als in EU-Ländern.


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Eine Initiative, über die am 23. September abgestimmt wird, will diese Standards nochmal verschärfen. Wer für die Fair-Food-Initiative stimmt, wünscht sich künftig nur noch unter fairen Arbeitsbedingungen produziertes und biologisch angebautes Essen auf dem Teller. Das beinhaltet nicht nur Lebensmittel aus Schweizer Herstellung, sondern auch solche, die aus dem Ausland importiert werden. So gut der Vorschlag auch klingt, Fair Food im Gesetz zu verankern – nicht jeder ist Fan der Idee. Schon gar nicht grosse Konzerne wie Nestlé, die sogar öffentlich davor warnen, am Sonntag ein "Ja" auf den Wahlzettel zu kritzeln.

Über die Rohmaterialien der in der Schweiz hergestellten Nestlé-Produkte sagte eine Konzernsprecherin in der Handelszeitung: "Beschaffung und Produktion in der Schweiz würden bedeutend erschwert oder gar verunmöglicht." Sie warnt vor "einer Verteuerung der einheimischen und importierten landwirtschaftlichen Rohstoffe" und weist darauf hin, dass davon auch die Schokoladenherstellung der Schweiz betroffen wäre. Belege für diese Warnung liefert das Unternehmen allerdings nicht. Auch die grössten Supermärkte der Schweiz, Coop und Migros, empfehlen ein "Nein" am Wahlsonntag. "Kein grosses Unternehmen im Ausland wird wegen neuer unilateraler Schweizer Vorgaben seine Produktionsmethoden ändern", sagt etwa ein Sprecher der Lobbyorganisation IG Detailhandel, die sich um die Interessen der Einzelhandelsketten kümmert, zur Handelszeitung.

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In der Fair-Food-Initiative scheint sich also nicht bloss der Wunsch nach besserem Essen auszudrücken, sondern auch ein Wunsch mancher Befürworter, sich zumindest ein Stück weit vom globalen Kapitalismus zu lösen. Ja, die Initiative würde die Schweiz bis zu einem gewissen Grad wirtschaftlich vom Rest der Welt abschotten, sollte sie angenommen werden. Und auch kleine Läden mit internationalem Angebot, oftmals von Migrantinnen und Migranten geführt, könnten schwerwiegende Importprobleme bekommen und so finanziell unter Druck geraten. Die Produktvielfalt könnte darunter leiden und ja, auch unser Essen könnte merklich teurer werden, glaubt man den Warnungen der Gegner.

Allerdings stellt sich auch die Frage, was dir lieber ist: italienischer Mozzarella von Galbani oder dass Schweizer Milchbauern genug Geld für ihre Ware erhalten? Willst du Erdbeeren im Februar, auch wenn diese von Feldern aus Spanien stammen, auf denen Arbeiterinnen und Arbeiter zum Teil ausgebeutet und sexuell belästigt werden? Oder kannst du dich bis Mai gedulden, wenn wieder Schweizer Erdbeeren in den Regalen landen? Willst du Konzernen wie Nestlé das Leben etwas schwerer machen, oder unterstützt du weiterhin Firmen, denen die lokale Wasserversorgung der Bewohner nicht ganz so wichtig ist, wie das Geld, das man damit verdienen kann?

Und davon abgesehen: Sollte faires, gesundes Essen nicht ohnehin normal sein?

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