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Menschen

Du bist kein schlechter Mensch, weil du mit deinem depressiven Partner Schluss machst

Die Trennung vom Partner wegen Depressionen: Ich versuchte alles, um für meinen Freund da zu sein. Aber manchmal musst du die Menschen, die du liebst, sich selbst helfen lassen.
A couple looking at river
Photo: courtesy of Leila Sam

Ich habe meinen Freund abserviert, als er depressiv war. Es war das Schwerste, das ich je getan habe. Die Worte kamen nur mit größter Anstrengung aus meinem Mund, während unsere Tränen in einer innigen Umarmung auf dem Bett des tristen Airbnbs ineinanderflossen. Ob ich das wirklich so gemeint habe, fragte er mich. Mein Kopf pochte, ich war höllisch verkatert. "Ja", antwortete ich. Wir gingen zum Frühstück in unser Lieblingscafé und tranken schweigend Orangensaft. Er flehte mich an, bei ihm zu bleiben, als wir beide zusammen auf einer Parkbank saßen und weinten. Wir umarmten und küssten uns, bevor ich in mein Auto stieg und drei Stunden zurück zu meinen Eltern fuhr.

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Mir selbst einzugestehen, dass ich ihn verlassen hatte, als es ihm am schlechtesten ging, plagt mich immer noch mit unglaublichen Schuldgefühlen. Manche Leute werden sagen, dass ich egoistisch war. Sie werden sagen, dass du, wenn du jemanden wirklich liebst, dieser Person auch in Krankheit und dunklen Zeiten beistehst. Ich habe das versucht, aber es hat nicht funktioniert. Seine psychischen Probleme infizierten mein eigenes Denken und ich war nicht stark genug, damit umzugehen. Ich bekam Panikattacken und drohte, selbst depressiv zu werden.


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Als am 7. September die Nachricht vom Tod des Rappers Mac Miller die Runde machte, der mit 26 Jahren an einer mutmaßlichen Drogenüberdosis gestorben war, zögerten Menschen in den sozialen Netzwerken nicht, mit dem Finger auf seine Ex-Freundin, Sängerin Ariana Grande, zu zeigen. "Das hast du ihm angetan … Dir sollte es richtig dreckig gehen!", schrieb ein Twitter-User an Grande, "Hast ihn wie Hundescheiße behandelt, in die Gosse geworfen, als wäre er Nichts." Ein anderer User schrieb: "Du hast Mac Miller umgebracht."

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Grande und Miller – der lange vor seiner Beziehung mit der Sängerin in einem Noisey-Interview zugegeben hatte, Drogen zu nehmen – kamen 2016 zusammen. Nach zwei Jahren trennte sich das Paar im Mai 2018. Kurz darauf erhielt Miller eine Anzeige für Fahren unter Drogen- und Alkoholeinfluss, nachdem er mit seinem Geländewagen gegen einen Strommast gedonnert war. Nach dem Vorfall ging ein Tweet viral: "Mac Miller, der seinen Geländewagen kaputtfährt und eine Anzeige bekommt, nachdem Ariana Grande ihn für einen anderen Typen abserviert hat, nachdem er ihr in einem Zehn-Song-Album, divine feminine, das Herz ausgeschüttet hat, ist das Herzzerreißendste, was gerade in Hollywood passiert." Die 25-jährige Sängerin wehrte sich: "Wie absurd ist es, weiblichen Selbstrespekt und Selbstwert kleinzureden, indem du sagst, dass jemand in einer toxischen Beziehung bleiben soll."

Wenn ich mir die Berichte zu Millers Tod durchlese und ansehe, wie Grande momentan angefeindet wird, kann ich nur sagen: Sie hat recht. Grande ist nicht schuld, dass sich Miller betrunken und unter Drogen hinters Steuer gesetzt hat. Grande ist genau so wenig schuld an seinem tragischen Tod. Egal, ob Drogenmissbrauch oder psychische Probleme dahinterstecken, meine Beziehung zu einem Menschen, dem es nicht gut geht, war eine der herausforderndsten Erfahrungen meines Lebens.

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Joe war mein erster richtiger Freund. Wir zogen in unsere erste gemeinsame Wohnung, als ich 19 war und er 22. Alle meine Freunde gingen zur Uni und wir lebten in einem Schuhkarton, den wir uns kaum leisten konnten. Wir hatten die Zeit unseres Lebens. Wir aßen Chicken-Nuggets an einem Tisch aus Pappkartons und schliefen auf einem Futon. Später zogen wir wegen meiner Arbeit um, das Leben wurde allmählich beschwerlicher. Ich hatte meine erste Stelle als Journalistin begonnen und wegen der langen Arbeitszeiten war ich oft müde und gestresst. Joe hasste seinen Job, aber fühlte sich hilflos, weil er nicht wusste, was er eigentlich machen will. Ich wusste immer schon, dass er Depressionen hatte. Als Jugendlicher musste er wegen eines Herzfehlers viel Zeit in Krankenhäusern verbringen, was ihn nachhaltig prägte. Die Depression war immer irgendwie dagewesen, aber bis dahin hatte er sie beherrschen können.

In diesen wenigen Monaten gerieten wir in einen kräftezehrenden Teufelskreis, aus dem wir keinen echten Ausweg fanden. Unsere eigene Zufriedenheit war vom jeweils anderen abhängig, gleichzeitig waren wir komplett aus dem Takt geraten. Eine winzige Bemerkung oder ein Stimmungswechsel ließen die Lage komplett entgleisen. Dann entschuldigte Joe sich, überzeugte mich davon, dass es seine Schuld gewesen sei. Ich beteuerte dann, dass er nichts falsch gemacht habe und er glaubte mir. Dann fühlte ich mich schlecht, weil ich so frustriert reagiert hatte. Ich ging spazieren, fuhr durch die Gegend, rauchte im Park, blieb extralange bei der Arbeit. Um wegzukommen. Ich hatte Panikattacken. Er nahm sich Tage frei. Ich arbeitete 12-Stunden-Schichten. Sobald ich nach Hause kam, forderte er meine volle Aufmerksamkeit ein. Manchmal fühlte ich mich wie eingepfercht.

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Wir hatten keinen Platz, um durchzuatmen oder Gefühle auszuleben, ohne uns gegenseitig zu verstimmen und eine Ereigniskette in Gang zu setzen, die Tage andauern konnte. Ich flehte ihn an, sich professionelle Hilfe zu suchen. Als er sich schließlich überwunden hatte, bekam er dort einfach einen Fragebogen zum Ankreuzen in die Hand. Wie wahrscheinlich es sei, dass er sich umbringen würde, sollte er darauf unter anderem angeben. Obwohl er den Ärzten von seinen suizidalen Gedanken erzählte, schien ihnen das Risiko offensichtlich nicht hoch genug. Er bekam Antidepressiva verschrieben und besuchte eine Gruppentherapie-Sitzung. Dort wurde ihm mittels einer PowerPoint-Folie empfohlen, mehr Sport zu machen. Joe ging bereits fünfmal die Woche ins Fitnessstudio und fuhr jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit. Da kein Therapieplatz frei war, setzten die Ärzte seine Medikamentendosis hoch. Es half nichts.

Unterbewusst distanzierte ich mich von ihm, bevor wir Schluss machten. Ich schlug vor, dass wir beide wieder zu unseren Eltern ziehen. Um Geld zu sparen, sagte ich. Dabei brauchte ich wahrscheinlich einfach einen Neustart. Wir besuchten uns alle zwei Wochen und nach ein paar Monaten entschieden wir uns, ein Wochenende zusammen wegzufahren. Ich hatte nicht geplant, mit ihm Schluss zu machen. Die Worte kamen mir während eines betrunkenen Streits einfach aus meinem Mund. Am nächsten Morgen fragte er mich, ob ich es tatsächlich so gemeint habe. Ja, hatte ich.

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In den Wochen danach ging es Joe furchtbar. Ich wusste, dass er suizidgefährdet war, und das ging mir nicht aus dem Kopf. Er hatte immer gesagt, dass ich das Beste sei, was ihm jemals passiert ist. Er habe sein Leben vor mir gehasst. Gleichzeitig war er fast immer schon überzeugt, dass es mir ohne ihn besser gehen würde. Zum ersten Mal musste ich ihm zustimmen. Und ich wusste auch, dass es ihm ohne mich besser gehen würde. Wir hingen zusammen in einem Negativkreislauf fest und nichts würde sich bessern, solange wir diesen Kreis nicht durchbrachen.

Ich weiß, dass ich damit nicht allein bin. Wenn du einen Partner oder eine Partnerin mit psychischen Problemen hast, dann weißt du oft nicht, wo du anfangen sollst. "Das vielleicht Wichtigste, was du tun kannst, ist deinen Partner dazu ermutigen, professionelle Hilfe zu suchen", erklärt Stephen Buckley von der englischen Wohltätigkeitsorganisation Mind, die sich für Menschen mit psychischen Problemen einsetzt. "Du kannst der Person Halt geben, indem du sie wissen lässt, dass es Hilfe gibt und du für sie da bist, um sie zu unterstützen." Allerdings ist es auch wichtig, auf das eigene Wohlergehen und die eigene Gesundheit achtzugeben. "Sei realistisch in dem, was du leisten kannst und was nicht", sag Buckley. "Deine eigene mentale Gesundheit ist auch wichtig und es kann sehr belastend sein, dich um andere zu kümmern."

Nachdem wir Schluss gemacht hatten, fühlte ich mich furchtbar. Ich hatte Angst, dass Joe sich vielleicht etwas antut. Alles, was ich wollte, war für ihn dazusein. Gleichzeitig wusste ich, dass das die Sache noch schlimmer machen würde. Ich schrieb also seiner Mutter, um zu hören, wie es ihm geht. Tief in mir drin hatte ich eine furchtbare Angst, dass ihm unsere Trennung das Leben kosten und meins für immer verändern könnte.

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Es war der absolute Tiefpunkt unserer beiden Leben, aber letztendlich auch einer der produktiv prägendsten. Joe verbrachte 18 Wochen ohne Hilfe auf Wartelisten, schließlich bekam er dank der Unterstützung seiner Familie einen Platz bei einem privaten Therapeuten. Ihm verdanke er, sein Leben in den Griff bekommen zu haben, sagt Joe heute. Die Therapie gab ihm die Werkzeuge, die negativen Gedanken in den Griff zu kriegen, die in seinem Hirn rumgeisterten. Die Therapie zeigte ihm, dass er nicht für meine Unzufriedenheit verantwortlich war, und sie gab ihm Selbstwert. Durch die Therapie erkannte er auch, dass er anderen in ähnlichen Situationen helfen wollte, und er begann Psychologie zu studieren. Er hat gerade seine ersten zwei Semester hinter sich, es geht ihm gut. Und Überraschung: Wir sind wieder zusammen.

Das ist vergangenes Jahr passiert. Wir haben viel geredet und sind die Dinge sehr langsam angegangen. Joe ging es besser, mir auch. Natürlich ist immer noch nicht alles perfekt, aber wir sind stärker und glücklicher, als wir es jemals waren.

Mac Millers Tod ist tragisch. Es spielt keine Rolle, ob er immer noch seiner Beziehung zu Grande hinterhertrauerte oder – wie einige sagen – schon darüber hinweg war. Unser Reflex, diese beiden Dinge miteinander zu verbinden, ist gefährlich. Es suggeriert, dass Miller vielleicht noch leben würde, hätte Grande ihn nicht verlassen. Das ist einfach nicht wahr: Miller hat über Drogenkonsum und Depressionen geredet, Jahre bevor er mit der Sängerin zusammenkam. Wir müssen aufhören, die Verantwortung für das Leben einer Person auf die Schultern ihrer Partner oder Partnerinnen zu legen. Dadurch forcieren wir nur den Mythos, dass Frauen – und Männer – an schädlichen Beziehungen festhalten sollen. Das sollten sie nicht – und alles andere zu behaupten, ist gefährlich.

Mein Beziehungsende mit Joe hätte in einer Tragödie enden können. Wenn das passiert wäre, hätte ich mich für den Rest meines Lebens dafür verantwortlich gefühlt. Jetzt weiß ich, dass es nicht meine Schuld gewesen wäre.

Notrufnummern für Suizidgefährdete bieten Hilfe für Personen, die an Suizid denken – oder sich Sorgen um einen nahestehenden Menschen machen. Die Nummer der Telefonseelsorge in Deutschland ist: 0800 111 0 111. Hier gibt es auch einen Chat. Trauernde Angehörige von Menschen, die Suizid begangen haben, finden bei Organisationen wie Agus Hilfe.