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rechte Gewalt

Neonazis bauen Sprengsätze aus "Polenböllern"

Mit Pyrotechnik gegen Ausländer: Die rechte Szene rüstet mit Sprengstoff aus illegalen Feuerwerkskörpern auf.

Foto: bfishadow | Flickr | CC BY 2.0

"10 Prozent bei Einkauf vor Ort bzw. Abholung" – den Sprengstoff, den rechte Gewalttäter für Anschläge nutzen, gibt es bei Selbstabholung sogar noch günstiger. Das verspricht ein fetter, roter Angebotsbutton in einem Onlineshop. Direkt hinter der polnischen Grenze gibt es Böller mit Blitzknall, die mit einem hellen Strahl und einer Lautstärke von mehr als 120 Dezibel explodieren. Feuerwerkskörper, die in Polen und Tschechien frei verkäuflich sind, in Deutschland dagegen verboten. Die Sprengkraft der "Polenböller" zerfetzt nämlich leicht Finger, Hände oder auch die Scheibe eines herumstehenden Autos. Die perfekte Basis zum Bombenbau also. Und so nutzen Rechte die illegale Pyrotechnik, um Sprengsätze herzustellen. Das erklärte nun die Bundesregierung auf eine Anfrage von der Bundestagsabgeordneten Martina Renner aus der Linksfraktion. Die Antwort liegt VICE vor.

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Jeweils 42 rechtsradikal motivierte Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz zählten die Behörden in den Jahren 2015 und 2016. Laut Bundesregierung waren im Jahr 2016 außerdem 16 Taten nach Paragraph 308 des Strafgesetzbuchs (Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion) gegen Asylunterkünfte gerichtet. Doch obwohl politisch motivierte Anschläge auf Flüchtlingsheime kaum aufgeklärt werden (so eine Recherche der Zeit im Dezember 2015), fand die Polizei dabei regelmäßig Rückstände von Böllersprengstoffen, so die Pressesprecherin des Landeskriminalamt Sachsen zu VICE.


Bei Motherboard: Aufstieg und Fall von Migrantenschreck: Unterwegs im rechten Waffensumpf


2015 und 2016 wurde in Sachsen Folgendes bei Durchsuchungen gefunden: 146 "Las Bombas", fünf "Viper 12", 109 "DumBums", zwölf Kugelbomben, elf "Flash Bangers", ein "Colour Salute", elf "Crazy Robots", eine Dose Schwarzpulver, eine Tüte "NC-Pulver", eine Rolle Zündschnur, Zündlunten und vier Metallrohre, die verwendet werden, um Rohrbomben zu bauen. Was lustig klingt, ist in der richtigen Kombination ziemlich explosiv und im schlimmsten Fall sogar tödlich.

Erst im Januar dieses Jahres wurden in Rheinland-Pfalz 155 Kilo Sprengstoff entdeckt, die vermutlich für die Neonazi-Gruppe Oldschool Society bestimmt waren. In Mecklenburg Vorpommern hatten sich Rechtsextreme zum Bau von Rohrbomben über einen Zentner Pyrotechnik bestellt. "Rechte Straf- und Gewalttaten unter Sprengstoffeinsatz haben sich seit 2013 fast verzehnfacht. Dieser rechte Alltagsterror bedroht Menschenleben unmittelbar und darf nicht wie zunächst im Fall der Gruppe Freital als 'Einsatz von Böllern' verharmlost werden", so Martina Renner in einem Statement.

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In der Neonazi-Szene kursieren seit Jahren Anleitungen, mit denen sich auch Sprengvorrichtungen aus Pyrotechnik basteln lassen. Die Polenböller kommen eigentlich aus Asien, vor allem aus China. Ihren Namen haben sie von den sogenannten "Polenmärkten", auf denen man sie kaufen kann. Mittlerweile lassen sich die Dinger aber natürlich auch im Internet bestellen. Das Gefährliche an den Knallern ist ihr Blitzknallsatz, ein Gemisch aus Kaliumperchlorat, Aluminium und Schwefel, der mit hellem Blitz und lautem Knall explodiert. Die dabei abgegebene Energie kann so stark sein, dass es zu einer Detonation kommt.

Wenn das Bombenbauen so einfach ist, steigt auch die Gefahr für die möglichen Opfer. Doch die Behörden sind zum Teil noch gar nicht darauf vorbereitet, dass sich Neonazis mit Sprengstoff und Bomben aufrüsten und diese auch einsetzen. "Es gilt, rechten Bombenterror und sich herausbildende rechtsterroristische Strukturen zu verhindern", argumentiert Martina Renner.

Das Bundeskriminalamt (BKA) schätzt, dass die Gefahr, die von modifizierten Polenböllern ausgeht, in diesem Sommer sogar noch weiter ansteigt. Denn im Bundestagswahlkampf befürchtet die Behörde weitere Anschläge gegen Flüchtlingsheime und stärkere Hetze gegen Asylbewerber, das berichtet der Spiegel unter Berufung auf eine Lageanalyse des BKA.

Ein erster Schritt, die Waffengewalt bei rassistischen Angriffen in den Griff zu bekommen, könnte in einem bundesweiten Sicherheitskonzept liegen. Bedenklich ist nämlich nicht nur der Bau von modifizierten Böllerbomben, sondern auch der rasante Anstieg des kleinen Waffenscheins und damit die zunehmende Bewaffnung der rechten Szene. Bundesweit besitzen 750 Neonazis einen Waffenschein (wie ebenfalls aus einer Anfrage der Linken an die Bundesregierung hervorgeht). Gleichzeitig sind die Gewalttaten mit Schreckschusspistolen gegen Migranten angestiegen. Doch nicht nur die Rechten rüsten auf. Im ersten Halbjahr 2016 besaßen 402.000 Deutsche einen Kleinen Waffenschein. Das sind 49 Prozent mehr als im Vorjahr.

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