Die Hooligans sind zurück: Sie drängen nicht nur in großen Gruppen in die Kurven deutscher Fußballstadien, sondern auch in deutsche Innenstädte. Robert Claus forscht seit Jahren über Rechtsextremismus und Gewalt im Fußball. In seinem aktuellen Buch beleuchtet er die internationalen Verbindungen der Hooligans in die Rockerszene, zu rechtsextremen Gruppen und Kampfsportevents.
Dies ist ein Auszug aus dem Kapitel “Hooligans professionalisieren ihre Gewalt” des Buchs Hooligans – Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik von Robert Claus.
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Denis Nikitin – Neonazi, Hooligan und Geschäftsmann
Samstag, 18. Januar 2014: Es ist ein kühler, aber kein winterlicher Samstag in Köln. Das Testspiel zwischen dem heimischen FC sowie dem FC Schalke 04 steht an, gleichzeitig findet an jenem Wochenende in Berlin ein Kongress von Fußballfans statt, um über die Rechte und Vielfalt der Anhänger zu sprechen. Doch gerät all das schnell in den Hintergrund: Denn in der Kölner Innenstadt kommt es zu schweren Randalen. Auf dem Rudolfplatz hatten sich über 200 Hooligans und gewaltaffine Ultras zu einem sogenannten Match verabredet. Die Polizei schreitet ein und beendet das Ganze vorzeitig. Eine Person wurde lebensgefährlich am Kopf verletzt. Auf Seiten der Kölner kämpften auch Hooligans aus Dortmund sowie eine Schlüsselfigur des europäischen Hooliganismus: Denis Nikitin, rechtsextremer Hooligan aus Moskau sowie Gründer der Neonazi- und Kampfsportmarke White Rex.
“Wir haben gewonnen. Leider wird die Sache vor Gericht ausgetragen, und ich gehöre zum Kreis der Verdächtigen. Aber es war ein geiler Tag. Die Schalker wollten selbst nicht auf den Acker, sondern wie früher in der Stadt kämpfen”, plaudert Nikitin redselig im Interview mit der ukrainischen Webseite troublemakers.com zu Beginn des Jahres 2017 aus. Er kennt die Hooligans aus der Domstadt nicht nur sporadisch. “Heute kämpfe ich für die Leute in Köln”, sagt er weiter.
Es sind gewachsene Netzwerke, denn seit Jahren pflegen die Kölner enge Kontakte in die russische Neonaziszene. Schon im Herbst 2013 nahmen Hooligans aus Köln an einem Fußballturnier in Moskau teil – nicht irgendein Turnier. Die Fahne der “Hooligans Köln” hängt am Zaun bei den Fahnen der rechtsextremen Hooligangruppen “N-Troops”, den “Warriors” von CSKA Moskau sowie der neofaschistischen “Einfach-Jugend”. Vor Runen, Totenköpfen und Keltenkreuzen wimmelt es nur so, auch gibt es Wein mit Hitlers Konterfei auf dem Etikett. Nach dem Turnier wurde noch ein “Match” durchgeführt. Acht Kölner traten gegen den sogenannten Kindergarten aus Moskau an und wurden übel verprügelt. Der Anführer der Kölner ging schnell k.o., ein anderer erlitt Brüche im Gesicht. Freizeitspaß für rechte Hooligans. Auf Seiten der Kölner kämpfte auch Nikitin.
Er besucht die Domstadt mehrmals jährlich, spricht fließend deutsch. In seiner Kontaktliste auf Facebook finden sich dementsprechend viele Personen, deren Namen und Profilbilder durch den Zusatz “Cologne” auf einen Kölner Hintergrund hinweisen. Sie posieren zum Teil in Kampfsportmontur vor Fahnen des FC sowie in T-Shirts der Ultragruppe “Boyz”. Ein anderer trägt ein Shirt, auf dem in drei Sprachen “Ultragewalt” steht. Auch dies ist mehr als ein gewaltbejahendes Shirt aus der Ultraszene. Es gehört zum Repertoire von White Rex.
So setzt sich die Marke White Rex im Internet in Szene
“Mit den Jungs aus Köln und Dortmund ist eine echte Männerfreundschaft entstanden. Uns verbinden die nationalistischen Ideen”, beschreibt Nikitin seine Verbindung nach Deutschland. Der Bezug zum Fußball schwinde jedoch Schritt für Schritt, so Nikitin weiter in besagtem Interview: “Die deutschen Gruppen haben sich längst von den Mannschaften abgenabelt und machen ihr eigenes Ding. Sogar in Köln ist das Verständnis so, dass wir nicht für den Verein, sondern für unsere und die Dortmunder Jungs kämpfen. Wir kämpfen für unsere Stadt, unsere Region.” Politisch stünden sie derweil weit rechts und unterstützten die AfD.
Rechter Kampfsport aus Russland
Nikitin gründete die Neonazi- und Kampfsportmarke White Rex 2008. Europaweit hat er seither Kampfsportturniere für die rechtsextreme Szene aufgebaut, erst in Russland, später auch in Italien, Ungarn oder Griechenland. Es begann 2011 mit den MMA-Qualifikationsturnieren namens “Kriegergeist”. Die ersten Veranstaltungen fanden u.a. in Woronesch und Noworossijsk statt, also fernab der russischen Großmetropolen, zum Teil noch in kleinen Räumen mit zehn Kämpfern und zwanzig Zuschauern. Dort konnten sich die Kämpfer für die finalen Turniere in Sankt Petersburg und Moskau qualifizieren. Es sind Turniere für rechtsextreme Schläger. In besagtem Interview plaudert Denis Nikitin offen über seine rassistische Gesinnung: “Ich gebe weißen Jungs (und jungen Frauen) die Möglichkeit, ihre Kräfte zu messen. Du musst selber gesünder und stärker werden”, sagt er. Nikitin ist ein asketischer “Gesundheitsnazi”. Weitere Turnierreihen Nikitins waren die Events “Birth of a Nation” – woran auch der Dortmunder Hooligan Timo “Fritz” K. im Oktober 2013 teilnahm – sowie die “JungSturm League”, in der sich Nachwuchskämpfer beweisen können. Die Events werden gut besucht, bis zu 1.500 Zuschauer füllen die Hallen.
Mittlerweile organisiert Nikitin solche riesigen Events
Dabei agiert White Rex äußerst professionell, bewirbt seine Veranstaltungen mit dramaturgisch gut gemachten Videos und modernen Designs. So ist Nikitin Neonazi und Geschäftsmann. Er will auch Menschen jenseits der eigenen Szenen erreichen und verfolgt einen Businessplan, der sich nicht auf Sportevents beschränkt. Denn zu White Rex gehören auch die “Vandals”, eine rechtsextreme Wandergruppe, die Outdoormaterial verkauft. “Meine Aufgabe ist global, ich muss alle Lebensbereiche eines modernen Menschen abdecken”, führt Nikitin aus. “White Rex ist eine alternative Lebenseinstellung, die ich zu 100% schaffen möchte. Mit Kleidung, Turnieren, Sportnahrung und Fitnessstudios.” Nikitin will den ganz großen Wurf, eine Art nationalsozialistischer Komplettausrüster werden.
Er kommt aus der Moskauer Hooliganszene, ist geschäftlich sehr umtriebig und international bestens vernetzt. Mit 22 Jahren kam er in die Szene und wurde vier Jahre später Mitglied bei der “Jaroslawka” im Umfeld von CSKA Moskau. “Das war reiner Zufall. Ich mag keinen Fußball, ich liebe den Faustkampf. Am Supporten, Mitfiebern liegt mir nicht viel. Mir gefallen das Adrenalin, die Verfolgungsjagden durch die Stadt, Ackermatches, die Action, die dahintersteckt. Das ist meins!”, beschreibt Nikitin seine Motivation. Er ist in der russischen Hooliganszene tief verankert. Gemeinsam fuhren sie nach Marseille zur Fußball-EM 2016 und begannen die Krawalle am dortigen Hafen. Er führte dabei eine Kleingruppe an.
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Nikitin bietet auch Kurse zu Selbstverteidigung und Messerkampf an – nicht nur in Russland. Laut des Blogs Ukrainianpolicy.com wurde er 2014 als Redner zu einem Treffen der “London New Right”-Bewegung eingeladen. Schon zuvor hatte Nikitin Fitnesskurse auf einem Trainingscamp britischer Neonazis in Wales geleitet. Zudem verfügt er durch seine Marke über Kontakte in die Fanszenen von Legia Warschau sowie Sparta Prag. Auch zu seinen ukrainischen Kameraden hält Nikitin engen Kontakt, veranstaltete bereits ein Turnier in Kiew. Dieses Verhältnis scheint vom russisch-ukrainischen Krieg im Donbass kaum belastet: “Ich finde den Gedanken einer russischen Welt klasse, aber zuerst sollte man diese Welt im eigenen Land aufbauen”, sagt Nikitin und ergeht sich in einem Monolog gegen innerrussischen Multikulti aus Tschetschenen und Tadschiken. “Deshalb finde ich es sehr schade, dass bei diesem Konflikt so viele gute russische und ukrainische Jungs draufgegangen sind”, beschreibt er seine Gedanken zum Krieg.
Kampf der Nibelungen
Mit seiner Mischung aus nationalsozialistischem Business, Angeboten an modernen Wehrsportübungen und internationalen Netzwerken zwischen Neonazis und Hooligans avanciert Nikitin zu einer zentralen Schlüsselfigur des rechtsextremen Hooliganismus in Europa. Dabei versucht, er Hooligans an die Naziszene zu binden – mit einer Eventkultur, die Gewalt, Zusammengehörigkeit und politischen Hass zu einem geschäftlich einträglichen Festival macht. Und ist damit auch auf dem deutschen Markt aktiv. Gemeinsam mit den oben erwähnten Partnern sponsert er das rechtsextreme und von den “Hammerskins” organisierte Kampfsportevent “Kampf der Nibelungen” (KdN) und trat dort auch als Kämpfer und Redner auf. Der Name des Turniers bezieht sich auf die germanische Heldensage, in der “Siegfried, der Drachentöter” im Blut des Drachen badet und dadurch unverwundbar wird. Nur bedeckt ein Laubblatt ein Stück seiner Schulter, wo er verletzbar bleibt. Das Logo des KDN ziert folgerichtig ein kleines Blatt. Man sieht sich in der Tradition des nationalen Epos.
Das Event findet seit 2013 an geheimen Orten statt – zuerst noch als “Ring der Nibelungen” – und wird wie ein geheimes Neonazikonzert organisiert: Über eine Mailadresse bestellt man Tickets, anschließend erhält man die Adresse eines Postfachs, zumeist in Dortmund. Dort schickt man Geld hin und bekommt das Ticket. Am Tag der Veranstaltung gibt es eine Telefonnummer, mittels derer die Zuschauer über eine Reihe an Treffpunkten und weiteren Nummern zum letztlichen Veranstaltungsort gelangen: In den ersten Jahren war dies in einem Kurort in der Eifel, dann im Raum Dortmund, 2016 im hessischen Gemünden.
Auf der Veranstaltung wird in der Mitte des Saales ein Ring mit Seilen aufgebaut, Kämpfe finden in den Disziplinen Boxen, K-1 – eine Art des Kickboxens – und MMA statt. Drum herum stehen Stühle, es gibt auch einen kleinen Stehplatzbereich. Die Musik schwankte über die Jahre zwischen gängigem Pop und Szene-Bands wie Stahlgewitter und Landser. Merchandise wird ebenso angeboten, Marken wie Ansgar Aryan, Pride France und White Rex verkaufen dort T-Shirts, Aufkleber und Sportartikel. Auch Tonträger indizierter Bands gibt es im Angebot. Wegen der russischen Gäste etablierte sich am Imbiss auch vegane Suppe, denn viele der russischen Neonazis sind Straight-Edge, berichten Szenekenner. Das habe zu Nasenrümpfen und hämischen Kommentaren bei den deutschen Biertrinkern geführt. Mittlerweile sind vegane Nazis und Nipster auch in Deutschland angekommen.
Ein aufwendig inszeniertes Video für das “Kampf der Nibelungen”-Event 2017
Kamen zum ersten Turnier noch 100 Zuschauer und Kämpfer mit kleinen Gruppen, ist es mittlerweile leicht gewachsen. 2016 waren es ca. 180 Zuschauer. Nicht nur Hooligans aus Dortmund sowie Sachsen und Thüringen – bekannten rechtsextremen Hochburgen – reisen an. 2016 kämpfte auch ein Bielefelder Hooligan beim “Kampf der Nibelungen” unter dem Kampfnamen “Adolf”. Er ist Mitglied bei der rechten und gewaltaffinen “Venomous Generation”, einer Mischform aus Ultras und Hooligans bei Arminia Bielefeld. Über den gesamten Nachmittag und Abend verteilt fanden mehr als 20 Kämpfe statt.
Im Zentrum der Veranstaltung und ihrer Kämpfer stehen derweil ein faschistisches Körperideal, Werte wie Härte und Selbstdisziplin sowie die Feindschaft zum demokratischen System. “Während bei den meisten ‘Fight Nights’ im bundesweiten Raum die Teilnahme des jeweiligen Sportlers allzu oft mit dem abverlangten Bekenntnis zur freien demokratischen Grundordnung steht oder fällt, will der Kampf der Nibelungen den Sport nicht als Teil eines faulenden politischen Systems verstehen, sondern diesen als fundamentales Element einer Alternative zu eben jenem etablieren und in die Breite tragen”, sagt man der Demokratie auf der Homepage den Kampf an.
Der “Kampf der Nibelungen” ist ein wichtiger Treffpunkt für rechte Hooligans, Neonazi-Kader und Teile der internationalen faschistischen Kampfsportprominenz. Das nächste Event ist für den 14. Oktober 2017 geplant – wieder geheim. Doch es ist gut möglich, dass sich die Kampfsportveranstaltung weiterentwickelt und größer wird. Zumal der KdN im Sommer 2017 beim Deutschen Patent- und Markenamt registriert worden ist. Man will wohl auf den freien Markt. Rechte Hooligans haben sich auch in Deutschland professionalisiert, veranstalten eigene Events, betreiben eigene Labels und sind international vernetzt. Das Vorbild aus Russland macht es vor. Nikitin wird im Oktober wohl nicht zum letzten Mal seine Kameraden aus Nordrhein-Westfalen besuchen.
Dieser Text erschien in ausführlicherer Fassung in dem von Robert Claus veröffentlichten Buch Hooligans – Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik (Verlag Die Werkstatt, September 2017).