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Nutzerinnen erzählen, warum das Sex-Verbot auf Tumblr eine Katastrophe für das Internet ist

Mit einem Handstreich beerdigen die neuen Besitzer Tumblr. Dabei war die Plattform mehr als Sex und Erotik – und stand für vieles, was die großen sozialen Netzwerke heute immer mehr vermissen lassen.
Ein Fanfiction-Artwork von Trisha alias Frau-Argh
Bild: Frau-Argh | Tumblr | Bearbeitung: Motherboard

Tumblr hat künftig ein Problem mit Sex und Erotik. Am 3. Dezember hat die Blog-Plattform angekündigt, keine NSFW-Inhalte mehr zuzulassen. "Ab dem 17. Dezember ist kein adult content mehr auf Tumblr erlaubt, egal, wie alt du bist", heißt es ab sofort streng in den AGB.

Eine entscheidende Rolle dürften die strengen Regeln des App Stores von Apple gespielt haben – als App dort verfügbar zu sein, wollte sich Tumblrs Mutterkonzern wohl nicht entgehen lassen. Seit 2013 gehört Tumblr zu Yahoo, und die wiederum sind seit 2017 ein Teil von Verizon; ein US-Mobilfunkbetreiber, der sich quer durch alle Medienprodukte Familienfreundlichkeit auf die Fahne geschrieben hat. Tumblr dagegen war eins der wenigen verbleibenden sozialen Netzwerke im Netz, in dem explizit kreative inhaltliche Experimente – auch sexueller Natur – erlaubt waren.

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Auf allen großen Sozialen Medien protestieren und beklagen Nutzer diesen Schritt als falschen Weg, um Tumblr zu einem sicheren Ort für ihre Nutzer zu machen, und befürchten das Ende der Plattform. Auch technisch sei die Aufräumaktion alles andere als elegant gelöst: Der bereits seit Sommer 2017 eingesetzte Zensur-Algorithmus funktioniert laut vielen Bloggerinnen nicht und deute beispielsweise völlig harmlose Bilder von Sanddünen zu expliziten Inhalten um.

Gerade LGTBQI-Menschen berichten, dass sie auf Tumblr mit weniger Hass und Diskriminierung konfrontiert werden als anderswo im Internet – und dass sie nun um einen Ort fürchten, an dem man sich ausprobieren und austauschen kann. Das gilt insbesondere für eher abseitige Interessen und Fan-Szenen, für die in den anderen sozialen Netzwerken kaum Raum ist oder die sogar konsequent gelöscht werden würden. Ob erotische Captain-America-Fanfiction, Meth-Selbsthilfegruppen, Vaporwave-Communities oder Tentakelporno: Jedes Interesse fand hier einen kreativen Ausdruck und eine Online-Heimat, die für viele Künstlerinnen auch zum Absatzmarkt für die eigene Arbeit wurde.

Wir haben vier deutsche Nutzerinnen gefragt, was die neuen Regeln für sie bedeuten.

Helene alias misspaperjoker: "Das ist Zensur, nichts weiter."

Bild von Helene alias misspaperjoker

Bild: Helene Boppert | misspaperjoker

Als Illustratorin findet man zwar ein paar Plattformen, wo man seine Bilder gut zur Schau stellen kann, aber keine ist so effektiv wie es Tumblr war. Diese Art zu bloggen, das Rebloggen von Posts – dass Blogs mit ähnlichen Interessen meine Inhalte einfach teilen konnten – hat mir immer viel Traffic generiert. Durch diese Reblogging-Funktion ist Fan-Kunst auf Tumblr so groß geworden, und ohne das hätte ich weder so viel Spaß in der Freizeit noch so einen treuen und großen Unterstützerkreis. Das wird verloren gehen, denn Fanszenen leben von und brauchen Kunst, die über generell angenommene Linien hinaus schlägt.

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Auch wenn ich selbst selten Sex zeige; vieles kann NSFW sein. Klar gibt es auch durchaus Pornografie, aber das ist ja nicht illegal, schon gar nicht 'female presenting nipples', wie es in den AGB nun heißt. Tumblr ist doch sowieso eher eine Plattform für Erwachsene als für Kinder.

Moderation ist gut, aber diese neuen Regeln jetzt als Vorwand als eine positive Veränderung zu verkaufen, ist einfach lächerlich. Das ist Zensur, nichts weiter. Ich selbst werde meine Fans verlieren und mich auf keiner anderen Webseite so künstlerisch ausdrücken können. Das war der ganze Reiz an Tumblr: die Vielfalt und die Offenheit.

Vaysh: "Sanddünen als 'adult content' geflaggt"

Ich blogge unter dem Namen Vaysh und find's furchtbar, was Tumblr da macht. Man hätte gegen das Problem der Pornbots und Kinderpornografie-Tumblrs vorgehen sollen, jetzt wird das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. Tumblr war noch nie eine soziale Plattform nur für Jugendliche.

Noch viel schlimmer ist, dass viele der Bilder, die seit gestern als "adult content" geflaggt werden, absolut nichts Anstößiges an sich haben. Das reicht von voll bekleideten Paaren, die sich umarmen, bis zu Hundefotos und Sanddünen, die der Such-Algorithmus als "adult content" missdeutet. Einer meiner Posts wurde geflaggt, nehme ich an, wegen einer Collage, auf dem Harry Potter-Bilder abgebildet sind. Man sieht unter anderem Harry als Baby und als Erwachsenen – und einen Draco Malfoy mit nackter Schulter. Es ist lächerlich, dieses Bild als anstößig zu flaggen. Ich würde es nicht mal als adult content beschreiben wie manche meiner Fanfiction. Ich habe deshalb auch Beschwerde eingelegt.

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Dieser Post wurde geflaggt – aber warum?

Dieser Post wurde geflaggt – aber warum? Bild: Vaysh | Tumblr

Da der Algorithmus offensichtlich vor allem LGBTQI-Inhalte als adult content flaggt, habe ich schon sehr stark den Verdacht, dass diese neuen Regeln auch dazu diesen sollen, Fandom- und LGBTQI-Nutzerinnen von der Plattform zu vertreiben. Tumblr will offenbar Facebook 2 werden. Was zeigt, dass Tumblr seine eigenen Nutzerinnen nicht kennt, denn das wäre das Aus für Tumblr. Unter Fans wird schon nach einer anderen Plattform gesucht. Gestern Nacht wurde in den diversen Fan-Channels intensiv darüber diskutiert, wohin wir migrieren können.
Ich bin unendlich traurig, weil so viel Fandom-Geschichte und Arbeiten, die in Tumblr stecken, jetzt verloren gehen werden oder nicht mehr zugänglich sind. Tumblr hat eine ganz eigene Kultur der spontanen, spielerischen Kommunikation mit Memes, Comment Threads, Tags, Headcanons, Flashfics… – alles Dinge, die nicht archiviert werden können. Ich hoffe, dass wir etwas davon auch in die neuen Plattformen mitnehmen können.

Trisha: "Tumblr war ein Safe Space"

Bild (ungepixelt): Frau-Argh | Tumblr

Die ersten meiner Posts und Illustrationen verschwinden bereits. Für mich war Tumblr ein Ort, wo ich erotische Kunst posten konnte, mit queerem Blick abseits des männerdominierten Porno-Mainstreams.

Wen die neuen Regelungen wirklich treffen, das sind die kleinen LGTBQI-Communitys und solche, die überwiegend aus Frauen bestehen. Ich war gern auf Tumblr, um anderen erotische Bilder zu zeigen und zu sehen und mir parallel eine Community aufzubauen.

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Natürlich bekommt man überall im Internet Hass ab. Aber auf Tumblr ist das sehr viel weniger als auf Twitter oder Instagram. In meiner Community sind die Menschen überwiegend weiblich, zu 80 Prozent queer, nicht-binär oder Transmenschen, die alle sehr zusammenhalten.

Tatsächlich wurde Tumblr in letzter Zeit von Nazis und Pornbots überrollt. Seit Jahren bitten wir Nutzer die Plattform: Tut doch bitte mal was dagegen! Aber statt sich um eine schlaue Lösung zu bemühen, schmeißen sie jetzt genau die Leute von der Plattform, für die Tumblr ein Safe Space war, in dem man sich anders erleben konnte.


Auf Broadly: Warum eine Trans-Jugendliche ihre Schule verlassen musste


Gerade rennen alle etwas kopflos durch die Gegend und wandern nach und nach von der Plattform ab. Wir versuchen jetzt, uns mit Spreadsheets zu organisieren und zu vernetzen, um uns nicht aus den Augen zu verlieren. Eine Alternative ist Pillowfort, aber die Plattform ist gerade noch im Aufbau und noch nicht wirklich fertig.

Es ist einfach schade. Ich hab auch viele Freunde, die ihren Lebensunterhalt mit ihrer Kunst verdienen, die Jobs als Illustrator bekommen und mit den Posts ihre Karriere vorantreiben. Das Internet ist zwar groß, aber oft so einseitig und überall gibt es strikte Regeln. Uns fehlt dieser Raum, in dem man sich austauschen und ausprobieren darf, wirklich sehr.

Schierlingsbecher: "Auf Sex-Seiten ist Sex nur eine Ware"

Tumblr Screenshot

Schierlingsbecher | Tumblr

Ich heiße auf Tumblr Schierlingsbecher und finde, diese ganze Aktion ist ein fadenscheiniger Versuch, Tumblr werbefreundlicher zu gestalten. Tumblr hat eine höhere Reichweite unter 18- bis 24-Jährigen als andere große Plattformen, und es scheint mir, dass dieser Marktvorteil nun ausgespielt werden soll. Dafür müssen nun leider alle Inhalte, die Werbetreibenden nicht gefallen, verschwinden.

Heute hatte ich eine bittere, persönliche Erfahrung mit Tumblr: Ich konnte eine Werbeanzeige in der Tumblr-App sehen, auf der ein Mann nur in Unterhose abgebildet war. Natürlich erschien mir das furchtbar ironisch: Nacktheit soll verboten werden, aber die Werbeanzeigen werden nicht gefiltert und zensiert. Also hab ich beschlossen, einen Screenshot davon zu posten – und sofort wurde dieser Post als "explicit" gekennzeichnet.

Mein subjektiver Eindruck ist außerdem, dass viel mehr LGBTQI-Inhalte markiert werden als heterosexuelle Inhalte. Das kann natürlich an der hohen Dichte dieser Inhalte liegen, allerdings werden auch Inhalte, die in den neuen Richtlinien als "in Ordnung" gelten, markiert, wie etwa homosexuelle Küsse.

Mit diesem Lösungsansatz zerstört Tumblr den Ort für Offenheit, über LGBTQI-Themen zu reden und beschränkt kreative Freiheit extrem. Tumblr war ein Ort, der die Neugier am Sexuellen in einer sicheren Umgebung gewährleistet hat. Das ist sehr viel besser, als am Ende auf Sex-Seiten zu landen, die einen ungefiltert und unmoderiert einen in eine Umgebung führen, in der Sex nur eine Ware ist.

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