Menschen

Männer erzählen, wann sie das letzte Mal geweint haben

"Ich bin nicht oft niedergeschlagen. Und wenn doch, weine ich deswegen nicht. Ich esse Fastfood oder spiele Videospiele."
Vier junge Männer stehen vor einer Hausmauer und beantwo
Vier der jungen Männer, mit denen wir gesprochen haben | Alle Fotos: Charissa Promes

Schon seit Jahren ist die Suizidrate bei jungen Menschen in ganz Europa besorgniserregend hoch. In Deutschland nahmen sich im Jahr 2019 1.127 Personen zwischen 15 und 35 das Leben. In den Niederlanden hat eine aktuelle Studie festgestellt, dass Suizid die Todesursache Nummer eins bei Menschen zwischen 10 und 30 ist.

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Was durch die vielen Statistiken ebenfalls klar wird: Männer nehmen sich viel öfter das Leben als Frauen. Dafür werden verschiedene Gründe angeführt – zum Beispiel, dass Männer eher dazu neigen, drastische Entscheidungen zu treffen. Hier kommt aber auch ein sozialer Aspekt ins Spiel: Männern fällt es schwerer, offen über ihre Probleme zu reden, Gefühle zu zeigen und sich Hilfe zu suchen. Dabei haben Studien gezeigt, dass emotionale Unterstützung durch Freunde und Familie zur besten Suizid-Prävention bei Männern zählt.

Um besser zu verstehen, wie junge Männer mit ihren Gefühlen umgehen, haben wir Passanten auf der Straße gefragt: Wann habt ihr das letzte Mal Emotionen gezeigt und geweint?

Ash (28), Ben (28), Abdullah (28) und Daniel (28)

Vier junge Männer vor einem Hauseingang

Das sind Ash, Ben, Abdullah und Daniel

VICE: Wann habt ihr zuletzt geweint?
Ash:
Wahrscheinlich, als mein Opa vor rund eineinhalb Jahren gestorben ist. Er war 75 und lebte ziemlich weit weg, aber wir verstanden uns sehr gut. Er hatte einen unheilbaren bösartigen Tumor, und es war nicht schön, ihn so leiden zu sehen.
Daniel: Ich habe geweint, als mein Hund starb. Also nicht sofort, aber am nächsten Tag brach alles aus mir heraus.
Ben: Als meine Tochter geboren wurde. Aber das waren Freudentränen.

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Wenn ihr weint, macht ihr das dann bewusst?
Ash:
Nein, ich denke da nicht darüber nach. Ich bin auch nur selten in einer Situation, in der das nötig wäre. Frauen weinen aus verschiedenen Gründen, Männer vor allem, wenn einschneidende Dinge passieren.

Du weinst nicht, wenn du dich mal traurig fühlst?
Ash:
Ich bin nicht oft niedergeschlagen. Und wenn doch, weine ich deswegen nicht. Ich esse Fastfood oder spiele Videospiele. Ich versuche im Allgemeinen, immer positiv zu denken. Wenn ich aber irgendwie Probleme habe, dann würde ich eher mit meinen Freunden darüber reden als mit meiner Familie.

Gibt es in unserer Gesellschaft Tendenzen, die Männer davon abhalten, Gefühle zu zeigen?
Abdullah:
Männer sind zu stolz, um ihre Emotionen zu zeigen. So ist es einfach. Das sollte sich aber auf jeden Fall ändern.

Was muss passieren?
Abdullah:
Ich glaube, das braucht einfach ein bisschen Zeit. Die Dinge ändern sich ja jetzt schon ein wenig, man muss sich nur mal die LGBTQ-Community ansehen. Im Vergleich zu der Zeit, in der wir geboren wurden, hat sich schon so viel verbessert. Wenn sich also die nächste Generation in unserem Alter befindet, werden Männer ganz selbstverständlich Rotz und Wasser heulen, ordentlich kommunizieren und Händchen halten.

Tijmen (18) und Daan (18)

Zwei junge Männer auf einer Straße in Amsterdam

Das sind Tijmen und Daan

Wann habt ihr das letzte Mal geweint?
Tijmen:
Vor gut zwei Wochen. Wir wurden von meiner Schule angerufen, ich darf meinen Abschluss nicht machen. Wir hatten schon eine gewisse Vorahnung, weil super viel Stoff zu lernen war und ich da einfach nicht mehr hinterherkam. Aber durch den Anruf wussten wir definitiv, dass es vorbei war. Da kamen mir die Tränen. Meine ganzen Bemühungen und das hart verdiente Geld meines Vaters waren für die Katz.
Daan: Ich habe vor ein paar Wochen mit meiner Mutter geredet. Eigentlich ein ganz normales Gespräch, aber ich sagte ihr dabei auch, dass ich das Gefühl habe, sie behandelt mich anders als meinen Bruder und meine Schwester. Wir haben es zwar geschafft, das Ganze aus der Welt zu schaffen, aber je tiefgreifender das Gespräch wurde, desto mehr Emotionen kamen auf. Und irgendwann hatte ich dann auch eine Träne im Auge. In diesem Moment war meine Mutter sehr froh darüber, dass ich endlich mal meine Gefühle zeigte. 

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Fühlt ihr euch bei euren Freunden sicher genug, um mit ihnen über eure Gefühle zu reden?
Tijmen:
Schon, aber das passiert trotzdem nur selten. Wenn man mit Freunden unterwegs ist, dann will man Spaß haben und nicht über irgendwelche unschönen Dinge nachdenken. Zwar kann man Probleme schon ansprechen, aber danach heißt es schnell: "OK, das spülen wir jetzt mit Alkohol weg."

Bei wem heult ihr euch dann aus?
Daan:
Bei mir selbst. Oder bei meiner Freundin, aber das kommt nicht oft vor. Ich verstecke meine Emotionen lieber.

Habt ihr einen Safe Space, in dem ihr über belastende Gedanken und Gefühle reden könnt?
Daan:
Nein. Also vielleicht dann, wenn ich schon über das Gefühl hinweg bin, aber nicht im eigentlichen Moment. Ich will mein Umfeld nicht mit meinen Problemen belästigen. Ich will sie selbst lösen und mich nicht von anderen Leuten abhängig machen.

Jeremy (24)

Ein junger Mann steht in einer ruhigen Straße Amsterdams

Das ist Jeremy

Wann hast du zuletzt geweint?
Jeremy:
Vor zwei Jahren. Ich bin aus Singapur weg, um in Melbourne zu studieren. Ich musste meine Familie zurücklassen. Als wir uns am Flughafen verabschiedeten, merkte ich, wie mir die Tränen kamen. Richtig geweint habe ich aber erst, als ich alleine am Gate saß. 

Hast du das Gefühl, dass man das von dir erwartet?
Vielleicht gehört das zur asiatischen Kultur, aber in meiner Familie ist es nicht normal, vor den Eltern Emotionen zu zeigen. Ich weiß, dass sich viele meiner Freunde zurückziehen, wenn sie weinen wollen. Auch ich ziehe mich zurück, wenn ich traurig bin, weil ich so meine Gefühle besser unter Kontrolle bringe. Oder ich rede mit einer Person, der ich vertraue.

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Warum verhältst du dich so?
Ich habe meinen Vater noch nie weinen sehen. Nicht mal bei Beerdigungen. Vielleicht kommt das daher.

Was glaubst du, wie wird es da der nächsten Generation gehen?
Ich glaube, dass wir Verletzlichkeit immer mehr akzeptieren. Vielleicht ist die nächste Generation dann offener dafür, dass Männer mehr weinen. Ganz so weit sind wir aber noch nicht. Einige meiner Freunde würde sich eher einem fremden Menschen in einem Café anvertrauen oder sich online Hilfe holen, als mit Freunden oder Verwandten zu reden. Sie wünschen sich einen Safe Space, in dem sie niemand direkt verurteilt.

Ajay (22)

Ein junger Mann steht vor einer Mauerwand

Das ist Ajay

Wann hast du das letzte Mal geweint?
Ajay:
Vor ungefähr sechs Monaten. Ich besuchte meinen Vater in New York, er lebt dort mit meiner 18-jährigen Schwester. Zu der Zeit hatten wir einige komplizierte Probleme innerhalb der Familie. Als ich wieder nach Hause musste, fiel es mir sehr schwer, meine Schwester zurückzulassen. Ich verspürte Schuldgefühle, weil ich ihr älterer Bruder bin und mich nicht um sie kümmern kann, wenn sie so weit weg ist.

Hast du das Gefühl, immer weinen zu können, wenn es nötig ist?
Ja, aber im Beisein meiner Familie halte ich die Tränen trotzdem zurück. Als ich zum Beispiel damals aus New York zurückflog und wir zusammen vor dem Check-in-Schalter standen, war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand weinte. Als älterer Bruder wollte ich aber nicht der erste sein, dem die Tränen kommen, weil alle anderen dann auch direkt losheulen.

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Das ist nicht einfach…
Ja, aber ich bin halt der ältere Bruder. Da will ich nicht derjenige sein, der sich da die Augen aus dem Kopf weint. Ich habe mich für diese Rolle entschieden, weil ich meine Schwester beschützen will.

Glaubst du, dass Männer, die weinen, stigmatisiert werden?
Natürlich. Ich glaube aber auch, dass sich das ändert. Dass so viele Männer Suizid begehen, ist ein großes Problem. Wenn Männer offener über ihre Emotionen reden, dann hilft das vielleicht dabei, dieses Problem zu bekämpfen.

Sollte es mehr Safe Spaces geben, in denen man ganz offen seine Gefühle zeigen kann?
Auf jeden Fall. Irgendwie hat doch aber jeder seine eigenen Safe Spaces. Wenn ich zum Beispiel mit meinen Freunden im Auto sitze und irgendwo hinfahre, kann ich ihnen besser von etwas erzählen, das mich stört. Männer haben kein Problem damit, vor den Leuten emotional zu werden, denen sie vertrauen. Dennoch will man nicht der Typ sein, der immer heult. Wenn wir als Gesellschaft etwas gegen dieses Stigma bei weinenden Männern unternehmen wollen, müssen wir den Leuten zeigen, warum genau das so wichtig ist. Und wir müssen schon kleinen Jungs beibringen, wie sie richtig mit den eigenen Gefühlen umgehen.

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