Sperma. Ladung. Wichse. Cum. Ficksahne. Herrencreme. Palmenrotz … Wie immer du es auch nennst, männliches Ejakulat ist das Schmierfett des Internets. Es ist weiß, es ist klebrig und es ist überall. Scroll eine halbe Sekunde über die Mainstream-Pornoseite deines Vertrauens und du siehst zahlreiche Videos, in denen Frauen Sperma auf und in jedes Körperteil gespritzt wird: den sogenannten Cumshot. Aber steht da eigentlich jemand drauf?
Eine neue Studie weckt jedenfalls erhebliche Zweifel daran. Der Soziologe Eran Shor von der kanadischen McGill University hat über 300 Pornokonsumentinnen und -konsumenten aus verschiedenen Bevölkerungsschichten zu Cumshots befragt und die Ergebnisse unter dem Titel “As Long as It’s Not on the Face” in der akademischen Fachzeitschrift Sexes veröffentlicht. Wie sich herausstellt, sind viel weniger Menschen scharf auf rumspritzendes Sperma, als Pornos es uns glauben machen.
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“Bislang hat noch keine Studie Pornokonsumierende zu ihren Sichtweisen und Vorlieben in Bezug auf die männliche Ejakulation befragt”, schreibt der Shor in dem Artikel. “Den meisten Zuschauenden war die männliche Ejakulation oder ihre Platzierung egal, oder sie bevorzugten sie in der Vagina der Drehpartnerin”, schreibt er. Viele mehr noch: Ein erheblicher Anteil der Pornokonsumierenden fand Cumshots in den Mund oder aufs Gesicht “verstörend”.
Ich werde einen Teufel tun und mich hier blindlings in den als “Feminist Sex Wars” bekannten Grabenkrieg zwischen sexpositiven und Radikalfeministinnen werfen. Andererseits sollte es niemanden groß überraschen, dass viele Menschen es verstörend finden, wenn Männer auf die Gesichter von Frauen kommen. Seit Jahrzehnten betont eine Armee feministischer Akademikerinnen, dass Pornografie dominante patriarchale Erwartungen an die weibliche Sexualität widerspiegelt. Aus dem ganz einfachen Grund, dass sie überwiegend von Männern für Männer gemacht wird.
Diese Sichtweise wird natürlich nicht von allen Frauen geteilt, auch nicht von allen Feministinnen. Nichtsdestotrotz hält sich hartnäckig folgende Vorstellung: “Feministinnen finden Cumshots entwürdigend, aber Typen stehen drauf.” Und oberflächlich scheint das generelle Pornokonsumverhalten diese Vorstellung zu stützen. 2021 veröffentlichte Zahlen zeigten, dass 24 Prozent der meistgesehenen Videos auf Pornhub männliche Ejakulation auf das Gesicht einer Frau enthielten. Sind Cumshots also einfach das Ergebnis von Angebot und Nachfrage?
Laut der aktuellen Studie ist auch das nicht der Fall. Auf ihre Vorlieben angesprochen, waren es nicht nur Anti-Porno-Feministinnen, die ein Problem mit Cumshots hatten, sondern eine Schnittmenge aus Männern und Frauen von queer bis heterosexuell. 38 Prozent aller Befragten bevorzugten es, die Darsteller in der Vagina der Drehpartnerin kommen zu sehen. Vor allem bei den teilnehmenden Frauen war dies mit 48 Prozent die beliebteste Methode. 27 Prozent der Befragten waren Cumshots egal. Nur neun Prozent bevorzugten die Ejakulation aufs Gesicht der Frau, acht Prozent in den Mund.
Für einige Befragte, insbesondere heterosexuelle Männer, schien es weniger eine Frage des Geschmacks und mehr eine, nun ja, Zeitfrage zu sein. Liam, ein heterosexueller 25-jähriger Kanadier sagte in der Studie zum Beispiel: “Ich bin kein großer bis-zum-Ende-gucken-Typ, ich habe da also keine echte Präferenz.” Ivan, ein 22 Jahre alter heterosexueller Student aus Russland sagte: “Ich komme gar nicht bis dahin. Mir ist es entsprechend egal.” Andere hatten schon eine stärkere Meinung, wo ein Typ hinspritzen sollte. Christine, eine 19-jährige bisexuelle Studentin aus Frankreich gab an, sie bevorzuge Ejakulation in der Vagina, “wo ich es nicht sehe”. Julian, ein 20-jähriger queerer Kanadier sagte, die Darsteller sollten “auf sich selbst kommen, sie sollten es bei sich behalten”.
Ich behaupte hier jetzt nicht, dass diese Stichprobe aus wenigen Hundert Menschen der unumstößliche Beweis dafür ist, dass NIEMAND Cumshots mag. Aber die Ergebnisse stützen meine leise Ahnung, dass ein Großteil der Pornos da draußen Vibes versprüht wie ein 13-Jähriger, der gerade herausgefunden hat, was er alles mit seinem Schniedel anstellen kann. Sperma! Wichse! Abspritzen! Was für ein Spaß! Jetzt schließ das Tab, setz dich wieder an deine Mathe-Hausaufgaben und denk nicht daran, wie sich das Mädchen überm Waschbecken ihr Gesicht wäscht. Oder bin ich da vielleicht etwas altmodisch? Was sagen andere dazu?
Für Bethany, 28, ist die Sache eindeutig: “Ich bin gegen Cumshots, ich finde sie eklig.” Wir haben ihren Namen und die der anderen Menschen in diesem Artikel geändert, um ihre Privatsphäre zu schützen. Fiona, 29, hat eine ähnliche Meinung: “Ich finde das eklig und will das Zeug nicht in meinem Gesicht haben, danke.” Nicht nur Frauen denken so. Auch David, 31, ist kein Fan von Cumshots: “Ich finde es respektlos.” Toms Einwände sind eher pragmatisch. “Es ist lästig”, sagt der 34-Jährige. “Es ist nicht fair, dass sich Frauen danach auch noch ihr Gesicht waschen müssen.”
Fiona ist sogar der Meinung, dass die ganze “Cumshots sind heiß”-Vorstellung eine von Männern verbreitete Lüge ist. Grund dafür sei maßgeblich die Notwendigkeit in Filmen, etwas bildlich zu zeigen. “Sie haben sich wahrscheinlich gedacht: ‘So können wir visuell den dramatischen Höhepunkt des Pornonarrativs darstellen’”, sagt Fiona.
Das bringt uns zum klebrigen Kern des Ganzen. Am Ende geht es nämlich nicht darum, ob du persönlich im Schlafzimmer rumspritzendes Sperma liebst oder hasst. Viel spannender ist, warum Pornos so tun, als müsste Sex immer mit einem Cumshot enden.
Das findet auch Eldin Hasa, Neurowissenschaftler und Experte für menschliches Verhalten. “Die weite Verbreitung von Cumshots in Mainstream-Pornos wirft eine spannende Frage auf”, sagt er. “Wenn nur eine Minderheit der Zuschauenden eine Vorliebe für diesen Akt haben, warum sind Cumshots dann in Pornos so allgegenwärtig?”
Eine mögliche Erklärung sei, dass die Pornoindustrie “bestimmte Vorstellungen davon bedient, was erwartet wird. Damit hält sie die Vorstellung aufrecht, dass die Ejakulation eines Mannes auf das Gesicht oder in den Mund einer Frau ein Standardelement sexueller Begegnung ist”.
Das sei ein Teufelskreis. “Die weite Verbreitung von Cumshots in Pornovideos hat das Potenzial, die Wahrnehmung der Zuschauerinnen und Zuschauer zu formen und damit auch ihre Erwartungen an sexuelle Begegnungen in der Realität”, sagt Hasa. “Aus Sicht der sexuellen Aufklärung ist es wichtig, die Darstellung sexueller Handlungen in Pornos kritisch einzuordnen und jegliche Falschdarstellung anzusprechen – und damit auch die unrealistischen Erwartungen, die sie möglicherweise verbreiten.”
In den Augen der Sexualaufklärerin Emilie Lavinia liegt das wahre Problem darin, dass kostenlose Pornoseiten auf der Basis von Algorithmen funktionieren. “Pornos auf Tube-Seiten bedienen algorithmische Muster”, sagt sie. “Je mehr du von einer Sache siehst, desto mehr wird dir davon vorgesetzt. Deswegen generiert die Landingpage einer kostenlosen Tube-Seite, die Cumshot-Videos featuered, mehr Klicks und treibt damit die Nachfrage nach solchen Videos hoch.” Das sei allerdings eine Fehlkalkulation, sagt sie. Lavinia verweist dazu auf die aktuelle Studie. “Sie zeigt, dass die Befragten üblicherweise nicht nach dieser Art von erotischen Inhalten sucht, sie aber trotzdem vorgesetzt bekommt.”
Neurowissenschaftler Hasa stellt hier die Frage, ob die männliche Ejakulation auf eine Weise gefilmt und performt werden kann, die nicht als degradierend wahrgenommen wird. Für Lavinia kommt es dabei auf die Intention der jeweiligen Szene an. “Wenn Sperma als etwas Ekliges präsentiert wird und die Szene insgesamt erniedrigend ist, dann kann man durchaus davon ausgehen, dass die Person, die den Cumshot bekommt, damit erniedrigt werden soll”, sagt sie. Wenn die Rezipientin oder Rezipient allerdings einwilligt und Vorfreude oder Erregung signalisiert, “handelt es sich dabei wahrscheinlich um ein weitaus weniger erniedrigendes Szenario.”
Natürlich sind Pornos gespielt und die Gezeigten häufig professionelle Darstellerinnen und Darsteller. Lavinia sieht ein Hauptproblem bei der Rezeption darin, dass man oft nicht weiß, wo die Pornos herkommen, wie sie entstanden sind und wie die Darstellerinnen und Darsteller beim Dreh behandelt wurden. “Deswegen sage ich auch immer, dass es am besten ist, für deine Pornos zu bezahlen und keine kostenlosen Tube-Seiten zu benutzen.”
Aber kommen wir nochmal auf die Cumshots zurück: Es gibt auch noch andere Gründe dafür, warum Sperma im Gesicht, auf der Brust oder im Mund nicht zwangsläufig Frauen degradiert. “Wir sollten nicht vergessen, dass es ein solches Finish auch in LGBTQ+-Pornos gibt”, sagt Lavinia. T6X87 ist ein schwuler Pornodarsteller, der auch selbst viele Pornos guckt, wie er über sich sagt. “Es gibt verschiedene Gründe dafür, warum jemand kein Sperma auf sich mag”, erklärt er. “Der Hauptgrund ist das gesteigerte Risiko, sich mit einer Geschlechtskrankheit anzustecken.”
Wenn man sich Pornos aus den 80ern und 90ern anschaue, sagt T6X87, also aus der Zeit der AIDS-Krise, “dann sehen die Darstellerinnen und Darsteller aus, als hätten sie richtige Angst vor Sperma. Wenn es auf die Gesichter und Körper der Menschen gespritzt wurde, haben sie ihre Münder fest geschlossen gehalten und aufgepasst, es nicht in die Augen zu kriegen”. Das hat sich seitdem sehr geändert, aber sei insgesamt noch sehr neu und aufregend, dass Cumshots heute ohne Angst gefilmt werden können, sagt er. “Für viele von uns ist es Grund zum Feiern, dass wir einen Punkt in der AIDS-Epidemie erreicht haben, an dem diejenigen von uns, die Zugang zu PrEP und anderen Mitteln haben, angstfrei Sex haben können.”
Letzten Endes ist es also gar nicht der Cumshot an sich, sondern was man damit anstellt. “Meiner Meinung nach ist das Frauenfeindliche daran diese abfällige Belustigung, eine mit Sperma bedeckte Person zu sehen und sie dann als Slut, Schlampe oder Nutte zu bezeichnen, weil sie eine Ladung abbekommen hat”, sagt Lavinia. Sie weist an dieser Stelle auch auf das Slut-Shaming hin, das in den Videotiteln und Kommentaren der Tube-Seiten allgegenwärtig ist.
“Die Regisseure entscheiden, was die Menschen später sehen. Man darf dabei nicht vergessen, dass es sich bei ihnen um eine winzige Zahl von Leuten handelt, verglichen mit der ungeheuren Masse des Publikums”, sagt T6X87. “Manche von ihnen verfolgen vielleicht eine künstlerische Vision, aber die große Mehrzahl macht einfach das, was sich ihrer Meinung nach am besten verkauft.” Der wichtigste Teil vom Money Shot ist eben immer noch das Money.
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