Viele Frauen werfen sich, weil sie keine Lust oder Zeit haben zu kochen, gerne mal eine fett- und kalorienarme Fertigmahlzeit in die Mikrowelle und klopfen sich danach stolz auf die Schulter, weil sie sich so „gesund” ernähren. Was wirklich in diesen Diätmahlzeiten drin ist, fragt sich allerdings nur selten jemand. Jeff Scot Philips, der selbst Gründer von zwei Healthfood-Unternehmen ist, sagt, dass vermeintlich gesundes Essen oft nicht viel besser ist als Junkfood. Philips hat lange Zeit als Personal Trainer gearbeitet und vielen seiner Klienten beim Abnehmen geholfen, bis er schließlich auf die Healthfood-Industrie stieß. Während sich sein Unternehmen ständig vergrößerte und er mit immer mehr Partnern aus der Healthfood-Industrie zusammenarbeitete, wurde ihm immer mehr bewusst, wie korrupt die Welt der Diätindustrie war.
Philips beschloss, seine Firma zu verlassen und die Healthfood-Industrie zu entlarven. In seinem neuen Buch Big Fat Food Fraud: Confessions of a Health Food Hustler wirft er einen Blick auf die gesamte Industrie—von den Weight Watchers bis hin zur Kennzeichnung von Diätprodukten. Broadly erklärt er, was ihn zu der Entscheidung gebracht hat, den Schwindel der Healthfood-Industrie aufzudecken und was sich tatsächlich hinter den Kulissen von Diätunternehmen abspielt.
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Was hat dich letztendlich dazu gebracht, ein Buch über die Healthfood-Industrie zu schreiben?
Als ich angefangen habe, Lebensmittel zu produzieren, habe ich nichts von diesen schrecklichen Dingen gemacht. Als ich dann anfing, mit Investoren zusammenzuarbeiten, das Unternehmen größere Dimensionen erreichte und der Markt gewisse Anforderungen stellte, hat es mich eingeholt. All die Spielchen und die Lügen, die wir erzählen mussten, um unsere Lebensmittel zu verkaufen und unseren Marktanteil zu sichern. Ich habe diese ganze Manipulation einfach nur gehasst.
Wenn Leute mit ihrer Diät scheitern—wie wird das von den Unternehmen genutzt, um den Leuten noch mehr zu verkaufen?
Ich habe mir oft die Aufnahmen von Weight Watchers Treffen angehört. Wenn Frauen zu solchen Gruppentreffen gehen und enttäuscht sind—selbst wenn sie von Weight Watchers enttäuscht sind—, werden sie so lange bearbeitet, bis sie etwas kaufen. Das ist der Kern des Coaching-Modells: das Gruppentreffen. Aus Sicht eines Unternehmens ein wirklich genialer Schachzug, weil jeder denkt, dass er gecoacht und unterstützt wird, obwohl das Ganze nicht mehr ist als eine riesige emotionale Verkaufsveranstaltung. Meine ehemalige Firma hatte dasselbe Modell. Wir haben es nicht so effektiv gemacht wie Weight Watchers, aber wir haben es trotzdem eine Weile lang angeboten. Wir wussten, dass wir jeden dazu bringen konnten, das Coaching in Anspruch zu nehmen, wenn wir ihn erst einmal am Telefon hatten. Sie haben auf alles gehört, was wir ihnen gesagt haben, weil sie nicht wussten, dass sie gerade mit jemandem sprechen, der ihnen einfach nur etwas verkaufen will. Das ist ziemlich miese Masche.
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Funktioniert Oprahs Beteiligung an Weight Watchers deswegen, weil sie so eine Art emotionaler Guru ist, dem die Frauen folgen können?
Tief in meinem Herzen möchte ich glauben, dass es Oprah wirklich nur gut meint, aber sie ist auch eine ziemlich gerissene Geschäftsfrau und sieht sich an, was unter dem Strich dabei für sie rausspringt—das muss sie auch. Ich kann wirklich nicht für Oprah sprechen, aber es ist ein Geschäft. Wenn jeder abnehmen würde, dann hätten wir keine Kunden mehr. Wir brauchen Leute, die nah an ihrem Ausgangsgewicht bleiben. Hinzu kommt noch dieses ganze Punktesystem. Wir haben auch so ein Modell angewandt und haben ein Farbcodesystem entworfen, das nach einem ganz ähnlichen Prinzip funktioniert hat. Das Punktesystem lenkt die Leute davon ab, was sie essen und bietet einem die Möglichkeit, noch mehr Produkte zu verkaufen—das ist der springende Punkt an der ganzen Sache.
Wenn man ein System wie das Punktesystem entwickelt, dann will man die Aufmerksamkeit der Leute darauf lenken, dass ein Fitnessriegel auf einer Stufe mit Grünkohl steht. Wenn die Diätprodukte genauso viele Punkte haben wie Gemüse oder mageres Fleisch, vergisst man plötzlich, was man isst und konzentriert sich nur noch auf die Punktezahl oder die Farben.
Kann man sagen, dass Frauen die Hauptzielgruppe der Healthfood-Industrie beziehungsweise von der Gesundheitsindustrie generell sind und auch entsprechend ausgenutzt werden?
Das letzte Mal, als ich nachgesehen habe, waren 90 Prozent der Mitglieder von Weight Watchers Frauen. Wir waren schon fast dazu gezwungen, Frauen zu unserer Hauptzielgruppe zu machen. Als ich mit einem der drei größten Nahrungsmittelkonzerne der USA zusammengearbeitet habe, haben wir unser Marketing so gestaltet, dass wir Frauen auf jede nur erdenkliche Weise angesprochen haben. Wir haben auch Werbung mit Thigh Gaps gemacht oder den Speck, der wabbelt, wenn man den Arm hochhält, thematisiert. Außerdem haben wir auch das ganze Feministen-Ding ausgespielt. Ich habe mich dabei wie ein totaler Arsch gefühlt, aber wir haben es trotzdem getan. Wir haben sowas geschrieben wie: „Nimm es selbst in die Hand!” oder „Du kannst es schaffen! Du musst nicht tun, was Männer von dir wollen!” Dieser falsche Feminismus war eine wirklich, wirklich schreckliche Marketingstrategie.
Was ist deiner Meinung nach die größte Fehleinschätzung, die Leute über die Healthfood-Industrie haben?
Eine nur? Ich würde behaupten, dass Healthfood ungesünder ist als Junkfood—der Unterschied ist nur, dass niemand Pommes und Pizza isst und denkt, dass er seinem Körper damit etwas Gutes tut. Wenn wir solche Sachen essen, dann ist uns bewusst, dass es sich dabei um eine Ausnahme handelt. Den Leuten ist allerdings nicht klar, dass das heutige Healthfood fast das Gleiche ist wie Junk Food und essen es tonnenweise. Das ist so ähnlich wie das Ding mit den Snack- und Zwischenmahlzeiten in den 80er- und 90er-Jahren. Als die das erste Mal rauskamen, sind die Leute komplett durchgedreht. Ich erinnere mich noch daran, wie meine Mutter die immer gekauft hat. Die waren voller Zucker!
Die Leute denken immer, dass einem die Lebensmitteletiketten sagen, was im Essen drin ist, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Die Kennzeichnungen sind nur dazu da, den Verkauf anzukurbeln. Ich sage den Leuten immer: „Lebensmitteletiketten sind wie Schlagzeilen: Sie übertreiben, sind manipulativ und wenn du darauf reinfällst, wirst du am Ende den Kürzeren ziehen.”
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Gibt es irgendwelche Schlüsselbegriffe, die im Marketing verwendet werden, um die Leute dazu zu bringen, Healthfood auch wirklich für gesund zu halten?
Michael Pollan, der Autor von The Omnivore’s Dilemma , hat es ziemlich gut auf den Punkt gebracht, als er gesagt hat, dass man davon ausgehen kann, dass es gelogen ist, wenn irgendwelche Inhaltsstoffe hervorgehoben oder als besonders gesund angepriesen werden. Es geht immer nur darum, die Leute abzulenken. Das ist wie bei einem Zaubertrick. Wenn es heißt: „Hey schau mal da drüben, das ist fettarm!”, dann dient das beispielsweise nur dazu, von der Tatsache abzulenken, dass viel Zucker drin ist—und die Leute fallen darauf rein. Alles, woran die Leute glauben—Zahlen, Kalorien, Grammangaben, Inhaltsstoffe–, kann manipuliert werden. Genau wie solche Schlagwörter wie Kokoswasser, Paleo, glutenfrei, bio oder Freilandhaltung. Ich will damit nicht sagen, dass all das nicht eigentlich gut für dich wäre, aber viele Begriffe werden heutzutage nur dazu benutzt, die Leute dazu zu bringen, sich mit Mist vollzustopfen.
In deiner neuen Rolle als Interessenvertreter: Was, würdest du sagen, schockiert die Leute an der Healthfood-Industrie generell am meisten?
Mir scheint niemand glauben zu wollen, dass es das Schlaueste wäre, sich einfach nicht um die Lebensmittelbeschriftungen zu kümmern. Ich verspreche dir, das Label erzählt einem sonst was. Wenn du dir das durchliest, hast du schon verloren. Je mehr dir die Industrie über Ernährung beibringen möchte, desto schlechter werden die Entscheidungen sein, die du triffst.