Dieser Artikel ist Teil unserer Serie ‘Neue Nachbarn’, in der junge Geflüchtete aus ganz Europa Gastautoren auf VICE.com sind. Lies hier das Editorial dazu.
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Mohab* ist ein 19-jähriger Flüchtling aus Syrien. Er ist in der Stadt Hama aufgewachsen und letztes Jahr in die Niederlande gekommen.
Jetzt bin ich also hier in Amsterdam, lerne Niederländisch und versuche, mein eigenes Ding zu machen. Meine Eltern sind noch in Syrien, in der Stadt Hama. Sie haben alles riskiert und sind zurückgeblieben, damit mein Bruder und ich eine Zukunft haben können.
Die Stadt Hama ist für die Proteste im Jahr 2011 bekannt, sowie für die Massaker im Jahr 1982. Doch Hama ist auch meine Heimatstadt, voll kostbarer Erinnerungen. Mein minderjähriger Bruder ist aktuell in Schweden. Wir haben ein Visum zur “Familienzusammenführung” beantragt, damit unsere Eltern zu ihm können, aber der Vorgang ist viel komplizierter, als uns lieb ist. Um in das Land zu dürfen, müssen meine Eltern sich erst in einer schwedischen Botschaft vorstellen, doch natürlich gibt es zur Zeit in Syrien keine. In vielen Nachbarländern auch nicht. Meine Eltern müssten in die Türkei, und wer die aktuelle Lage in Syrien kennt, weiß, dass es sehr gefährlich ist, nach Norden zu reisen. Sie sind alt und haben nur wenig Geld. Und so wird es jeden Tag wahrscheinlicher, dass sie in Syrien sterben.
Letzte Woche haben wir gehört, dass es vielleicht eine bessere Chance auf ein Visum gibt, wenn sie es in den Sudan schaffen, wo Schweden eine Botschaft hat. Aber selbst wenn sie es dorthin schaffen und das Gespräch erfolgreich hinter sich bringen, müssen sie lange warten, bis sie erfahren, ob sie eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Im Sudan sind die Mieten unheimlich hoch, also müssten meine Eltern nur für das Bewerbungsgespräch in den Sudan reisen und dann nach Syrien zurückkehren, bevor man ihnen sagt, ob sie von dort wieder wegkönnen. Das ist so unfair. Meine Eltern sind alt; eigentlich sollte man ihnen die Reise nach Europa leichter machen als meinem Bruder und mir, und nicht schwerer. Und wir hatten es schon nicht leicht auf der Reise – ihr würdet diese Erfahrung nicht einmal eurem schlimmsten Feind wünschen. Aber so ist es zur Zeit in Europa.
Damit mein Bruder und ich nicht in die syrische Armee eingezogen wurden, haben meine Eltern unser Zuhause verkauft und dazu noch ihre gesamten Ersparnisse geopfert, um uns nach Europa zu schicken.
Ich war knapp 18 Jahre alt, als ich aus meinem Heimatland fliehen musste. Ich war gerade mit der Schule fertig und sehr stolz auf diese Leistung. Meine guten Noten waren das Ergebnis harter, ausdauernder Arbeit. Doch ich wurde volljährig, und die syrische Armee zwangsrekrutiert aktuell jeden, der kampffähig ist. Meine Mutter wollte das nicht akzeptieren, also tat sie alles, was sie konnte, um uns aus dem Land zu schaffen. Meine Eltern verkauften ihr Haus und brauchten außerdem alle ihre Ersparnisse auf, um uns nach Europa zu schicken.
Ich würde einfach alles tun, um meinen Eltern zu helfen. Sobald ich meine Aufenthaltsgenehmigung hatte, ging ich zu einer niederländischen NGO für Flüchtlinge und fragte, ob sie helfen könne. Doch sie waren nicht gerade hilfsbereit. Einer der Angestellten sagte sogar: “Hören Sie auf, unsere Zeit zu verschwenden. Sie sind nicht minderjährig, also haben Sie keine Chance. Das Leben kann sehr grausam sein.”
Mir war egal, was die NGO-Leute sagten, ich würde mich trotzdem um eine Familienzusammenführung bewerben. Und das habe ich inzwischen. Ich warte darauf, dass mein Antrag abgelehnt wird, damit ich mit einem Anwalt Widerspruch einlegen kann. Ich hoffe, dass ein Richter sich meinen Fall anhören wird. Es ist nicht fair, dass ich meine Eltern nicht sicher hierherholen kann, nur weil ich über 18 bin, aber wenn es um andere Hilfsleistungen geht, die Flüchtlinge von den Niederlanden erhalten, bin ich wieder zu jung.
Ich war einer der wenigen Flüchtlinge im Lager, die sich darüber beschwert haben, wie lange wir dort warten mussten. Ich konnte nicht verstehen, warum der Rest einfach die Klappe hielt und versuchte, die Zeit totzukriegen. Das wollte ich nicht. Wir haben ein Recht darauf, unsere Gedanken und Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Natürlich war ich dankbar, dass wir in Sicherheit waren, doch unsere Familien waren noch in Gefahr, und viele sind es noch immer. Das Leben im Notlager war hart, denn wir hatten keine Geld und nichts zu tun außer warten. Manche Einheimische halfen uns, aber das waren einfache Amsterdamer und keine NGO-Mitarbeiter.
Ich wünsche mir nichts weiter, als meine Eltern retten zu können und meinen Beitrag zu leisten, um anderen zu helfen. Dann kann ich mich tatsächlich entspannen und anfangen, meine Zukunft zu planen.
Die lange Wartezeit machte viele Männer wütend und nervös. Manche hatten Geld, aber wer keins hatte, konnte weder richtig schlafen noch essen. Raucher mussten um Zigarettengeld betteln. Natürlich warnten sie uns, während unserer Wartezeit nichts zu stehlen oder andere schlimme Dinge zu tun, denn das würde uns vielleicht unser Asyl kosten. Also beschwerte sich niemand. Manche von uns können Englisch, also konnten wir ein bisschen mehr machen – wie Niederländischunterricht, oder uns von Niederländern mitnehmen lassen. Aber viele Flüchtlinge können nichts tun, außer versuchen, mit ihren Familien Kontakt zu halten.
Ich fand, dass sich daran endlich etwas ändern muss. Deswegen habe ich eine App entworfen, nur für Flüchtlinge, die auf ihr Visum warten. Es gibt online zwar viele Infos, bei der Regierung sowie auf anderen Seiten, aber das ist alles so weit verstreut. Also habe ich die ganzen wichtigen Informationen in einer Smartphone-App namens RefInfo zusammengestellt, damit arabisch- und englischsprachige Flüchtlinge ihre ersten Schritte besser planen können. Sie können nachsehen, wie man eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt, wie man um eine Familienzusammenführung bittet, aber auch, wie sie während ihrer Wartezeit Niederländisch lernen können. Viele Flüchtlinge nutzen die App schon, also versuche ich sie aktuell für eritreische Flüchtlinge ins Tigrinische übersetzen zu lassen. Ich wünsche mir nichts weiter, als meine Eltern retten zu können und meinen Beitrag zu leisten, um anderen zu helfen. Dann kann ich mich tatsächlich entspannen und anfangen, meine Zukunft zu planen.
*Mohabs Nachname ist der Redaktion bekannt.
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