In München mag keiner die GEMA, aber alle mögen Geld

Es ist eine dreckige und dreiste Lüge, wenn irgendwer sagt, es ginge bei Musik nur um Spaß oder Gefühle. Wie bei allem im Leben geht es am Ende des Tages verständlicherweise auch um den harten Cash. So auch gestern bei den GEMA-Protesten in München. Die GEMA will mehr Geld, aus reiner Habgier natürlich, wie man sich hier einig ist und die Clubbesitzer wollen aber ihres lieber behalten. Die Folge ist also, dass man zu einer GEMA-Demo am Weißenburger Platz aufruft, die eigentlich nur als Promotion-Aktion für die im Anschluss stattfindende Party dient. Dort ist der Eintritt zwar umsonst, aber ähnlich wie Musik wächst ja auch Bier nicht auf Bäumen.





Alle sind heute hier und wüten gegen die GEMA. Wenn man einen gemeinsamen Feind gefunden hat, dann springen auch gerne mal alle großen und mittelkleinen Parteien gemeinsam ins Bett, um Stimmung zu machen. Das ganze Arrangement wäre aber nicht komplett ohne Ali Khan, den vor allem in München bekannten Musiker und Entertainer, dessen Ego an diesem Tag dafür reicht, sich selbst als Partei auszurufen. Als Moderator trifft er es relativ gut, als er sagt: „Ich habe noch nie so viele Scheiß-Politiker auf einem Platz gesehen!” Später lässt er dann alle anwesenden Parteifunktionäre in Reih und Glied aufstellen und gibt sie der Lächerlichkeit Preis, indem sie sich gegenseitig unterbieten müssen, wer am schnellsten das Problem aus der Welt schafft.



Irgendwo in der Menge entdecke ich dann auch noch Johannes Ponader, momentaner Hartzer-Liebling der Nation. Der politische Geschäftsführer der Piratenpartei, auf dessen Rücken derzeit in der deutschen Medienlandschaft gerne die Hartz-4-Debatte ausgetragen wird. „Die GEMA war ursprünglich gegründet worden als Vereinigung für Künstler, aber inzwischen dient sie dazu, dass sie kulturelle Vielfalt behindert. Einzelne Künstler werden bevorzugt, eine Vielzahl der Künstler benachteiligt”, begründete er seine Anwesenheit. Auf meine Frage, ob er nicht vielleicht einfach keinen Bock hätte zu zahlen, sagte er: „Wir zahlen sehr gerne, auch Piraten zahlen gerne für Musik, Filme und Kultur, aber wir wollen, dass fair verteilt wird. Die GEMA macht derzeit eine Milliarde Euro Umsatz durch YouTube-Videos und will jetzt 50 Milliarden haben. Man kann keine alten Tarife auf neue Nutzungsformen anwenden.”



„Ich möchte auch morgen noch in die Clubs gehen können—und meine Kinder vielleicht auch.”



Doch egal, ob man sich über die neuen Tarifregelungen der GEMA aufregt oder ihr Blackbox-System bescheuert findet, bei dem in 120 Clubs deutschlandweit einmal pro Woche eine Stunde Musik von GEMA-Mitarbeitern abgehört wird, um zu ermitteln, wo die ganzen Gebühren hinfließen. Es gibt eigentlich nur eine Ursache für den ganzen Mist: Das Stimmsystem. Wenn auch endlich mal alle Künstler Stimmrecht in der GEMA bekommen würden und nicht nur die Top-5%-Premium-Mitglieder, dann ändert sich alles von alleine—oder auch nicht. Aber immerhin liegt dann die Schuld bei den Musikern selbst und die können nicht immer mit mahnendem Finger ihrer eigenen Vereinigung den Schwarzen Peter zuschieben.



Als sich der Zug endlich in Bewegung setzt, treffen wir kurz darauf Anonymus Bayern: Halbstarke, die sich mordsmäßig cool dabei vorkommen, sich vor einem unbeaufsichtigten Polizeiauto von der Presse fotografieren zu lassen.
(@Anonymus Bayern: Hey Jungs, ihr habt geschafft, ihr könnt jetzt vor euren Kumpels angeben, dass man euch bei VICE findet. Euer einziger Denkfehler: Da ihr nicht genug Courage hattet, die Guy-Fawkes-Maske abzunehmen, werdet ihr keinem beweisen können, dass ihr es wirklich seid.)



Kurz vorher händigte mir auch einer von ihnen ein Flugblatt aus, auf dem sie für ihre eigene Demo Werbung machen. Thema: Protest gegen den Überwachungsstaat. Sie bestätigten dann auch ihre eigene Integrität, als sie meine Frage, ob das Polizei-Foto bei Facebook landet, mit „Ja” beantworten.



Sowieso wollte ständig jeder, mit dem ich ins Gespräch kam, entweder, dass wir ihn verlinken, ihm den Artikel zutweeten, seine Facebook-Seite damit verschönern oder ihm sonst irgendwie als Plattform dienen würden. Dass jeder heute einen Blog hat, kann man schon an der allgegenwärtigen Präsenz von Kompaktkameraträgern mit Notizblöcken bemerken, die hinter der üblichen Pressemauer in der ersten Reihe stehen.

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Weil die GEMA gegen seine urbayerischen Prinzipien verstößt, macht sich dieser Hotelbesitzer Luft: „Das ist eine reine Abzocke, wenn ich heute in einem Hotel ein Radio spielen lasse, dann zahle ich GEMA-Gebühren, das ist doch eine Sauerei! Wofür zahle ich denn Rundfunkgebühren?” Er zahlt für 25 Radios 2.500 Euro im Jahr. Ganz Unrecht hat er nicht, Radiosender müssen fürs Musikspielen sowieso bereits an die GEMA zahlen.



„GEMA, ihr habt die Message gehört, es wird Zeit, dass ihr die Tarifreform zurücknehmt”, schallt es über die Kellerstraße rüber zum GEMA-Gebäude; doch Pustekuchen! Keiner ist da, niemand hat zugehört. Das GEMA-Gebäude liegt trostlos und verlassen da. Selbst im einzigen noch beleuchteten Raum; da hat wohl nur jemand vergessen, das Licht auszumachen. Der einsame Nachtwächter bekommt die Wut der Demonstranten zu spüren. Zweck und Ursprung der Demo bestätigen sich abermals. Hätte man wirklich Gehör bei der GEMA gesucht, wäre diese Aktion wohl nicht nach Feierabend veranstaltet worden. Denn es scheint, als solle sie nur zum Vorglühen und anschließenden Lenken der Feierwütigen in die Muffarthalle dienen, wo gleich danach die Party stattfindet. Das ganze am Donnerstagabend–wohl auch kein Zufall.



Dieser Wutbürger ist wenigstens der einzige, der echte Zivilcourage zeigt, indem er an das GEMA-Gebäude uriniert. Leider auch vergebens, wenn keiner, der sich darüber ärgert, da ist.



Ziemlich rasant löst sich dann die Veranstaltung auf, als einer der friedlichen GEMA-Gegner eine Glasröhre an die Schläfe geschmissen bekommt.



Als es sich auflöst, folgen wir einer kleinen Gruppe Feierwütiger mit ihrem Rollstuhl-Partymobil, die wir schon vorher kennengelernt hatten und die jetzt in entgegengesetzter Richtung unterwegs ist. Die machen lieber ihre eigene Party, anstatt wie blinde Lemminge in die Muffarthalle zu tingeln. Sie spielen im Gegensatz zum offiziellen Demo-DJ auch nur GEMA-freie Musik. Wie inkonsequent im Vergleich sich die Veranstalter gegen die GEMA auflehnen, zeigt schon diese Kleinigkeit. Die Gruppe aus knapp 30 Leuten zieht am Holliday Inn vorbei, wo uns neugierige Touristen mit ihren Handys knipsen, und macht zum Alkoholaufstocken an einer Tankstelle Halt.



Ich verstehe die Welt nicht mehr. Die Leute stellen ihr Bier in die Träger zurück und kommen mit hängendem Blick aus der Tanke. Als ich entgeistert frage, was los ist, sagt einer zu mir: „Wer kein Benzin tankt, kann in Bayern nachts keinen Alkohol mehr an der Tankstelle kaufen.” Diese Regelung entzieht sich jedweder Logik und der Abend hat sich damit erledigt: Wer braucht bei solchen Gesetzen noch die GEMA, um sich die Laune verderben zu lassen? Wieso die Clubbesitzer noch nicht dagegen demonstriert haben—ach ja, weil sie selbst Getränke verkaufen.