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Fußball

Warum diese Chemnitzerin ihrem Club jetzt den Rücken kehrt

"Rechtsextreme Hooligans haben den Chemnitzer FC fest im Griff", sagt Hanka Kliese. Die Landtagsabgeordnete und ehemalige Jugendspielerin des Vereins spricht über das Gedenken an den Neonazi Thomas Haller.
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Mehr als 4.000 Menschen erheben sich am Samstag von ihren Sitzen. Die Zuschauer im Fußballstadion des Chemnitzer FC schweigen für Thomas Haller. Einen stadtbekannten Neonazi, der in der vergangenen Woche an den Folgen einer Krebserkrankung starb. Auf der Anzeigetafel erscheint Hallers Porträt in Schwarz-Weiß, hinter dem Tor leuchten rote Bengalen auf.

Für Hanka Kliese wird in diesen 90 Minuten klar, dass sie die längste Zeit ihres Lebens CFC-Fan gewesen ist. Mit einem Facebook-Post nimmt die sächsische Landtagsabgeordnete Abschied von ihrem Verein, darunter setzt sie #nichtmehrmeinverein. Uns erklärt Kliese, wie es dazu kam.

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Vice: Frau Kliese, wann waren Sie das letzte Mal bei einem Spiel ihres ehemaligen Lieblingsvereins, dem Chemnitzer FC?
Hanka Kliese: Ende August habe ich das letzte Spiel gegen den VfB Auerbach im Stadion gesehen. Wenn ich zum CFC gegangen bin, habe ich mich nicht in die VIP-Loge gesetzt. Ich war mitten im Fanblock. Am liebsten habe ich mich neben langjährige Fans gestellt, die es ruhiger angehen lassen. Ich stand aber auch schon zwischen den Chemnitzer Ultras.

Sie haben sich am Wochenende vom CFC getrennt, weil der Verein den Tod des bekennenden Neonazis und Hooligan Thomas Haller betrauert. Hatten Rechtsextreme nicht schon immer in der Chemnitzer Kurve das Sagen?
Rassismus gab es schon immer beim CFC. Das ist auch kein Alleinstellungsmerkmal des Vereins. Ich habe miterlebt, wie Fans bei der Einwechslung Schwarzer Gegenspielern Affengeräusche gemacht haben. Nicht immer bin ich dabei eingeschritten.

Wenn organisierte Hooligans rassistische Sprüche loslassen, bin ich nicht hingegangen und habe gesagt: "Lasst das mal". Harmlosere Zuschauer, die über ihren Alltagsrassismus einfach nicht nachdenken, stellte ich immer wieder zur Rede.

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Abschied von einem Neonazi: "Ruhe in Frieden, Tommy" | Foto: imago | HärtelPRESS

Fiel Ihnen die Trennung vom CFC schwer?
Ich habe den CFC über Jahrzehnte begleitet, vom Beinahe-Aufstieg in die erste Bundesliga bis zum finanziellen Bankrott im letzten Jahr. Als Kinder trugen meine Schwester und ich selbst das Trikot des CFC. Da waren wir natürlich unglaublich stolz. Sie zwischen den Pfosten und ich davor als Verteidigerin.

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Eigentlich hätte ich die Familientradition gerne fortgesetzt. Aber bei meiner eigenen Tochter muss ich leider damit brechen. Wir werden für sie einen anderen Sportverein in der Stadt suchen.

"Als Kinder trugen meine Schwester und ich selbst das Trikot des CFC. Da waren wir natürlich unglaublich stolz. Aber meiner eigenen Tochter werde ich einen anderen Sportverein in der Stadt suchen."

Der Tod von Thomas Haller scheint den Chemnitzer FC zu spalten. Einige Fans und Funktionäre argumentieren, dass die Anteilnahme für Haller dem treuen Fan und Menschen gelte. Können Sie diese Haltung nachvollziehen?
Ich habe nichts dagegen, wenn Hallers Angehörige den Tod privat betrauern. Da ist es ja völlig egal, wie jemand politisch tickt. Aber der CFC hätte niemals einen offiziellen Trauerakt für einen kriminellen Nazi abhalten und seine angeblichen Leistungen für die Stadt Chemnitz betonen dürfen. Der Vorfall hat mir bewiesen, dass die rechtsextremen Hooligans den Verein fest im Griff haben.


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Als Landtagsabgeordnete der SPD, die in Chemnitz lebt, gerieten sie mehrmals mit Tommy Haller aneinander. Wie war Ihre persönliche Beziehung zum Verstorbenen?
Ich kannte Herrn Haller aus meinen Recherchen für Endstation Rechts, ein digitales Rechercheportal über rechtsextreme Strukturen. In einem Artikel hatte ich kritisiert, dass seine Security-Firma das Chemnitzer Pressefest bewacht.

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Haller hat mir daraufhin eine Unterlassungsklage geschickt. Ich solle ihn nicht Nazi nennen oder seine Mitarbeiter als "kahlgeschorene Gestalten in Bomberjacken" bezeichnen. Weil ich meine Anschuldigungen belegen konnte, wurde die Klage fallen gelassen.

Später bin ich ihm indirekt bei einem Fußballturnier begegnet. Haller war nicht nur beim CFC aktiv, sondern stiftete auch Freizeitmannschaften Trikots. Jemand aus dem Verein erklärte mir, dass Haller mit mir unter vier Augen sprechen möchte.

Die Einladung habe ich natürlich abgelehnt. Ich habe kein Interesse einen Menschen zu treffen, der eine Gruppe namens "HooNaRa" – "Hooligans, Nazis, Rassisten" – gegründet hat. Und dessen Security-Mitarbeiter am Mord an einem Punk in der Nähe von Chemnitz beteiligt waren.

"Manche Menschen im Verein und der Stadt Chemnitz haben keine moralische Schmerzgrenze."

Wie erklären Sie sich, dass die Anteilnahme am Tod eines gewalttätigen Rassisten wie Haller so groß ist?
Manche Menschen im Verein und der Stadt Chemnitz haben keine moralische Schmerzgrenze. Als Rechtfertigung für die öffentliche Anteilnahme heißt es, Haller hätte in den 90er-Jahren für den Verein aufgeräumt. Er soll dem Verein in Hooligan Kreisen einen Namen gemacht haben.

Ich glaube, dass die Solidarität mit Haller auch etwas mit dem ostdeutschen Selbstbewusstsein im Fußball zu tun hat. Das erleben wir ja auch immer wieder bei Auswärtsspielen von Dynamo Dresden.

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Es gibt auch viele Fangruppen, die Hallers rassistisches Weltbild teilen. Zum Beispiel die "NS-Boys", die im Jahr 2008 bei einer Partie gegen den Berliner Verein Türkiyemspor in T-Shirts der Neonazi-Band Landser aufliefen. Darauf hatten sie die Liedzeile "Wieder mal kein Tor für Türkiyemspor“ gedruckt.

Unter den Trauernden ist auch Peggy Schellenberger, SPD-Stadträtin in Chemnitz. Finden Sie es in Ordnung, dass ihre Parteigenossin, die bis Montag auch Fanbeauftragte des CFC war, ein "unpolitisches" und "herzliches" Verhältnis zu einem Neonazi unterhalten hat? So beschrieb Schellenberger die Beziehung zu Haller in einem Facebook-Beitrag.
Die Äußerungen von Frau Schellenberger sind für mich nicht nachvollziehbar und naiv. Wie kann man glauben, dass man zu einem Typen wie Thomas Haller eine unpolitische Beziehung haben kann? So ähnlich hat ja auch Daniel Frahn argumentiert, der nach seinem Tor am Samstag zu Hallers Ehren mit einem T-Shirt jubelte, auf das der Spruch "Support your local hools" gedruckt war.

"Wie kann Frau Schellenberger glauben, dass man zu einem Typen wie Thomas Haller eine unpolitische Beziehung haben kann? Und wo ist ihre Menschlichkeit bei der rassistischen Gewalt, die die Opfer von Haller und seinen Leuten ertragen mussten?"

Hier in Chemnitz ist nichts mehr unpolitisch. Und schon gar nicht, dem Tod von Nazis öffentlich zu gedenken. Frau Schellenberger behauptet nach der deutlichen Kritik aus der SPD, ihre Form der Menschlichkeit sei bei uns nicht mehr gefragt. Aber wo ist denn Frau Schellenbergers Menschlichkeit bei der rassistischen Gewalt, die die Opfer von Haller und seinen Leuten ertragen mussten?

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Am Montag hat der CFC die Fanbeauftragte Peggy Schellenberger von "ihren Aufgaben entbunden", heißt es in einer Stellungnahme. Wie sollten Fußballvereine mit rechtsextremen Fans umgehen?
Der CFC hat sich für akzeptierende Sozialarbeit entschieden. Das heißt im Klartext, dass nicht jeder mit einem "Thor Steinar"-Pulli direkt aus dem Fantreff geschmissen wird. Das ist ja grundsätzlich nicht verkehrt. In manchen Ecken gibt es ja kaum noch Jugendliche, die anders gekleidet herumlaufen. Trotzdem muss man diesen Leuten mit einer klaren Haltung entgegentreten und ihnen nicht nach dem Mund reden.

Die Verantwortlichen beim CFC schaffen es nicht, zwischen Meinungsfreiheit und dem Tolerieren rechter Gewalt unterscheiden. Der Verein hat Schuld auf sich geladen, über Jahre war er zu passiv. Es nutzt nichts, wenn man sich Projekte gegen Rechtsextremismus einkauft, aber die eigene Fanbeauftragte zum Tod von Thomas Haller kondoliert

Der CFC hat mittlerweile Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet, weil Anhänger Vereinsmitarbeitern mit massiven Ausschreitungen gedroht haben sollen, falls die Trauerfeier im Stadion nicht stattfinden sollte. Halten Sie das für plausibel?
Der CFC versucht jetzt die Kritik abzuwehren, indem er so tut, als hätten die Hooligans den Trauerakt mit Gewalt erzwingen wollen. Wenn der CFC tatsächlich im Vorfeld bedroht wurde, hätte man das Spiel absagen müssen. Ich kann mir aber ehrlich gesagt schwer vorstellen, dass Spieler und Vereinsoffizielle nicht freiwillig bei den Aktionen mitgemacht haben.

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"Was passiert, wenn Szenegrößen wie Haller ihre Leute zusammentrommeln, haben wir bei den Ausschreitungen im letzten Jahr in Chemnitz erlebt."

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen den Fans, die um Haller trauern und dem Mob, der nach dem gewaltsamen Tod eines Deutsch-Kubaners im vergangenen Herbst Asylsuchende attackierte?
Wie mächtig die Chemnitzer Hooligans sind und was passiert, wenn Szenegrößen wie Haller ihre Leute zusammentrommeln, haben wir letztes Jahr erlebt. Der Demo-Aufruf am letzten Sonntag im August 2018 wurde von "Kaotic Chemnitz" verfasst, einer Ultragruppierung des CFC. Dass Hooligans des CFC an den Ausschreitungen beteiligt waren, konnte man später auf den Videoaufnahmen der Ausschreitungen sehen. Viele Beteiligte trugen Fanutensilien des CFC.

Was muss passieren, damit Sie mit Ihrer Tochter doch noch in das Stadion des Chemnitzer FC zurückkehren?
Der Verein müsste seine Angst ablegen, rechtsextreme Fans zu vergraulen. Als positives Zeichen könnte der CFC Ticketerlöse für Opfer rassistischer Gewalt spenden oder mehr Aufklärungsarbeit leisten. Im Moment habe ich da aber keine Hoffnung. Deshalb gehe ich mit meiner Tochter inzwischen lieber zum Basketball. Da geben in Chemnitz nicht die Nazis den Ton an.

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