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Popkultur

Die Gewalt ist nicht das Schlimmste an 'Der Goldene Handschuh'

Fritz Honka vergewaltigte und ermordete Frauen, die keiner vermisst. Fatih Akins Film zeigt resignierte Opfer, die nicht mal mehr um Hilfe schreien.
Gerda liegt mit Fritz Honka im Bett, eine Szene aus Der Goldene Handschuh
Screenshot aus dem YouTube-Video "Der Goldene Handschuh - Trailer #1" von Warner Bros. DE

Der Goldene Handschuh ist ein widerlicher Film. Das liegt in der Natur der Sache, schließlich geht es um einen alkoholkranken Frauenmörder, der sich in den 70er Jahren seine Opfer in einer der berühmt-berüchtigsten Kneipen Hamburgs sucht: dem Goldenen Handschuh. Hier fristen Säuferinnen und Säufer im Halbdunklen ihre Tage, trinken, um zu vergessen oder Erinnerungen zu schaffen, die nicht ganz so wehtun. Hier kann man nur stundenlang sitzen, wenn man so viel getrunken hat, dass sowieso alles egal ist. Fast habe ich im Kino den Geruch von Schweiß und Kotze in der Nase.

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Auch der Mörder, Fritz Honka, sieht aus, wie man sich den bösen Part in einem Märchen vorstellt: bucklig, linkisch, ungepflegt. Er ist ein Monster, das in seiner zigarettenverrauchten Höhle, mit Aktfotos an den Wänden und Puppen über dem Sofa, vier Frauen tötet, zerstückelt und aufbewahrt. Fatih Akins Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von Heinz Strunk, Fritz Honka gab es wirklich.


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"Ekel" würde der Film auslösen, hieß es bei Spiegel Online, "viel mehr leider nicht". Andere kritisierten die fehlende Zwischenebene. Warum Honka das tut, was er tut, erfährt man im Film nicht. Muss man aber auch nicht. Die wirklich zerstörerische Kraft des Films liegt nämlich nicht in den Szenen, in denen er vor Anstrengung keuchend Körperteile absägt oder den Kopf eines seiner Opfer so lange auf die Tischplatte schlägt, bis es sich nicht mehr rührt. Das, was wirklich weh tut, ist, wie stoisch viele der Frauen, die Honka in seine Wohnung lockt, mit dem umgehen, was er ihnen antut.

Für Kinobesucherinnen und -besucher neben mir mag es kaum zu ertragende Demütigung sein, wie der Alkoholiker die Frauen anschreit, schlägt, mit Kochlöffeln und Würsten penetriert und Letztere ihnen anschließend in einer Art pervertierten Versöhnungsgeste zum Essen anbietet. Doch die Frauen ertragen es, als wäre das keine traumatische Erfahrung, sondern Alltag. Unbewegt sitzen sie an seinem Couchtisch, den Blick starr auf das Wasserglas mit Schnaps gerichtet, die Augen schon tot, bevor Honka mit ihnen fertig ist.

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Gerda ist eine von ihnen. Sie ist alkoholkrank, einsam, obdachlos – und landet nur bei Honka, weil sie die einzige im Goldenen Handschuh ist, die verzweifelt genug ist, um sich von ihm auf einen Drink einladen zu lassen. Nach der ersten Nacht putzt sie ergeben die Wohnung ihres Peinigers. Und muss dafür nicht direkt zurück auf die Straße.

Sie kocht für ihn und seinen Bruder; unterschreibt einen Vertrag, indem sie sich verpflichtet, ihm ihre Tochter sexuell zur Verfügung zu stellen; folgt ihm wie ein Schatten in seine Stammkneipe. Honka wird nicht müde zu betonen, wie hässlich sie sei. Doch Gerda bleibt bei ihm. Wie viele Frauen in missbräuchlichen Beziehungen. Weil sie glauben, dass sie es nicht anders verdient haben. Weil sie es nicht anders kennen.

Vor ein paar Wochen habe ich The House that Jack built von Lars von Trier gesehen. Ebenfalls ein Film über einen Serienmörder, der Frauen gewaltsam umbringt. Auch dem dänischen Regisseur wurde vorgeworfen, einen Film gedreht zu haben, der nichts anderes zu bieten habe als widerlich inszenierte Gewalt an Frauen.

Björk, die in von Triers Film Dancer in the Dark die Hauptrolle spielte, sagte mal über den Regisseur: "Du kannst ziemlich sexistische Regisseure wie Woody Allen oder Stanley Kubrick nehmen und sie sind trotzdem diejenigen, die ihren Filmen die Seele geben. Bei Lars von Trier ist das nicht so, und er weiß es. Er braucht Frauen, die seinem Film die Seele geben. Und dafür beneidet er sie und hasst sie. Deswegen muss er sie während des Drehs zerstören."

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Im Fall von The House that Jack built stimmt das. Der Film will, dass wir seinen Protagonisten mögen und seine Opfer zumindest nicht all zu sehr bemitleiden. Deswegen werden sie als unbedarft hingestellt, als unerträglich und nervig. Bis ihr Tod beinahe eine Erlösung für die Zuschauerinnen und Zuschauer ist. Während von Triers Hauptfigur Jack sich über seine ehemalige Geliebte lustig macht, die nach Hilfe ruft, lachten auch mehrere Leute im Kino. So eine dumme Frau. Wer soll sie denn hören?

Die Frauen in Fatih Akins Film rufen nicht laut um Hilfe. Sie wissen, dass niemand kommt, um sie zu retten. Fritz Honkas Morde fielen auch deshalb so lange nicht auf, weil niemand die Gelegenheitsprostituierten, die obdachlosen Trinkerinnen vermisste. Die Frauen in Der Goldene Handschuh sind vollkommen allein, selbst unter den gesellschaftlich Verstoßenen, die sich täglich ein bisschen näher an ihren Tod herantrinken.

In Der Goldene Handschuh werden Frauen zerstört, ganz wortwörtlich. Eigentlich waren sie aber schon davor kaputt. Kaputt gemacht durch die Jahre, in denen sie wie Dreck behandelt wurden. In denen ihnen gesagt wurde, dass sie nichts wert sind. In denen sie vielleicht irgendwann angefangen haben zu glauben, dass sie es verdient haben, unmenschlich behandelt zu werden. Und das ist trauriger und echter und schockierender, als es ein bisschen Kunstblut und widerliche Soundeffekte jemals sein können.

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