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Rechtsextremismus

Berufsschüler zeigt Hitlergruß, doch die Ermittlungen werden eingestellt

Die Staatsanwaltschaft in Halle, Sachsen-Anhalt, hat dafür eine erstaunliche Begründung.
Schüler melden sich
Symbolfoto: imago | MITO

Hitlergrüße sind nicht nur scheiße, sie sind in Deutschland auch verboten, und zwar so richtig. Wer ihn in der Öffentlichkeit zeigt, dem brummt der Staat mindestens eine Geldstrafe, vielleicht sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren auf.

Und wer ihn im Klassenzimmer zeigt?

Dem passiert gar nichts. Zumindest, wenn es nach der Staatsanwaltschaft in Halle, Sachsen-Anhalt, geht.

Das musste gerade ein Lehrer an einer Berufsschule herausfinden. Einer seiner Schüler baute sich im Oktober vor der Klasse auf, rief "Sieg Heil" und machte den Hitlergruß. Der Lehrer reagierte sofort und zeigte den Schüler an.

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Knapp sechs Monate später kommt die Antwort der Staatsanwaltschaft Halle: Das Verfahren wird eingestellt. Denn strafbar mache sich nur, wer den Hitlergruß öffentlich verwendet. "Öffentlich bedeutet dabei, dass ein für ihn nicht überschaubarer Personenkreis dieses zur Kenntnis nehmen kann", schreibt die Behörde. "Das ist bei Äußerungen in schulischen Unterrichtsräumen, auch bei geöffneter Tür, regelmäßig nicht der Fall."

Soll heißen: Das Klassenzimmer ist kein öffentlicher Raum, und deshalb ist es nicht strafbar, hier den Hitlergruß zu zeigen.

"Ich bin geschockt", schrieb der Lehrer auf Twitter, wo er das Schreiben der Behörde veröffentlichte. "Es wundert mich, dass die Staatsanwaltschaft das so sieht", sagt auch der Schulleiter Rüdiger Bauch im Gespräch mit VICE. "Wir sind ja eine öffentliche Einrichtung." Er selbst hatte den Lehrer dabei unterstützt, die Anzeige gegen den Schüler zu stellen. "So etwas wird hier in keinster Weise toleriert", sagt er. "Ich hätte auch nicht gedacht, dass die Staatsanwaltschaft das so hinnimmt."

Mit der Veröffentlichung hatte der Lehrer auf Twitter eine rege Diskussion angestoßen. Viele User zeigten wenig Verständnis für die Entscheidung, einzelne warfen der Staatsanwaltschaft vor, "auf dem rechten Auge blind" zu sein.

Nicht alle sehen das so. Ein Rechtsanwalt, der sich an der Diskussion beteiligte, erklärte zwar, dass die Entscheidung politisch und ethisch "großer Mist" sei – rechtlich allerdings "nicht angreifbar". Rein rechtlich gesehen gelten geschlossene Gruppen – wie zum Beispiel Schulklassen – nicht als öffentlicher Raum, erklärt der Anwalt Carsten Hoenig. "Wir haben die Vorschriften ja nicht gemacht", rechtfertigt sich auch ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Halle gegenüber dem MDR. Tatsächlich gab es 2017 in Leipzig eine ähnliche Entscheidung.

Einige User kritisierten, die Anzeige sei ohnehin überzogen, das Ganze sollte lieber durch schulinterne Strafen geklärt werden. Das wird nun wohl auch passieren: Schulleiter Bauch erklärt, er werde "Maßnahmen" gegen den 19-Jährigen ergreifen.

Der Lehrer selbst scheint am Mittwochmorgen übrigens nicht nur diesen Tweet, sondern sein ganzes Twitter-Profil gelöscht zu haben.

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