Nicola von Laing findet Patriotismus scheiße


(Foto: Universal)

Spätestens seit dem letzten Bundesvision Songcontest sollte Laing vielen von uns ein Begriff sein. Sie haben verdammt nochmal den zweiten Platz gemacht! Davor landeten nur Savas und Xavier, die seit 20 Jahren zu den größten deutschen Popstars zählen.

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Der Überraschungserfolg von Laing hat auch bei den Konzerten Folgen: Als ich mich zum Interviewtermin mit Laing treffe, spüre ich schon beim Betreten des Berliner Lido, dass der Laden später aus allen Nähten platzen wird. Und auch der Ansturm von Journalisten war groß, bevor wir mit dem Interview loslegen konnten, wurde ich um eine Stunde vertröstet. Das hat mich allerdings gänzlich wenig gestört, da ich netterweise im Backstagebereich beim Vorbereitungsspektakel der Mädels zuschauen durfte und mich mit Bier und Schnittchen ablenken konnte. Eine Stunde vor Konzertbeginn fand die Leadsängerin Nicola schließlich doch noch Zeit für mich und quatschte mit mir über die nervigen Berlinpatrioten, über ihre HipHop-Version von „alles nur geklaut“ und erklärte mir, warum ihr Bandname die „Fucking Marke“ ist.

Noisey: Wie geht’s?
Nicola: Es ist soooo viel alles. Es ist nicht so, dass es vorher nicht viel war. Aber das ist auch einfach eine Veranlagung von mir. Wenn noch nicht genug zu tun ist, dann sorge ich dafür, dass noch was zu tun ist. Wir haben neue Songs. Die anderen spielen wir schon so lange und wir sind uns damit total sicher. Die neuen müssen halt irgendwie klappen. Alle wollen kommen. Alle Freunde und alle Leute die du jemals irgendwo kennengelernt hast, schreiben dir so „Ey na, Gästeliste und so“. Man will ja auch gerne alle irgendwie dabei haben und niemanden vor den Kopf stoßen. Und du hast es ja eben mitbekommen, das ist der Oberwahnsinn hier.

Dann ist Berlin schon noch etwas Besonderes für euch?
Jaaaa. Ich spiele auch total gerne außerhalb, weil man immer erstaunt ist, wie neu es für Leute sein kann. Wenn wir wirklich ganz weit ab vom Schuss spielen, dann sind die Leute wirklich völlig fassungslos von unserer Show. Aber ich freue mich ganz besonders in Berlin neue Songs zu spielen, weil wir hier ja angefangen haben. Und ich weiß nicht wie viele Konzerte wir hier mit den gleichen Songs gegeben haben. (Lacht) Deswegen ist es sooo cool, dass wir hier so lange supportet wurden und ich bin total glücklich, dass wir hier zum ersten Mal die neuen Songs spielen können.

Kommt ihr alle aus Berlin?
Wir sind alle hier groß geworden. Marisa kam schon mit zwei nach Berlin, ich bin mit elf hier hergekommen. Johanna ist hier geboren und Atina kam auch mit zwei Jahren nach Berlin.

Es gibt ja diese tollen Diskussionen zwischen Berlinern und Nicht-Berlinern. Ich bin eben auch hergezogen und habe mitbekommen, dass einige Berliner gerne über die Zugezogenen meckern.
Weißt du was, ich finde das auch echt etwas ätzend. Natürlich gibt es Dinge, die sich verändern. Und Veränderung ist ja per se nicht schlecht. Erstens finde ich Patriotismus scheiße, eigentlich immer. Und Lokalpatriotismus finde ich auch irgendwie lächerlich. Ich meine, es macht Spaß, damit zu spielen und auch wir machen Witze darüber. Aber Leute die es wirklich ernst nehmen und das scheiße finden … das finde ich kacke. Ich denke eben auch, dass diese Stadt nicht das wäre, was sie ist, wenn sie nur aus Berliner bestehen würde. Es geht ja um die Mischung und außerdem ist es ja auch Interesse, Geld und künstlerischer Input. Ich meine, warum ist hier so eine krasse Kernzelle? Weil hier eben so viele verschiedene Leute zusammenkommen. Ich finde, man soll ganz, ganz ruhig sein. Wir brauchen das Geld vom Tourismus, damit Infrastruktur und Kitaplätze gebaut werden können. Die Stadt braucht Geld und dann aber „bitte keine Touristen“—das finde ich einfach ätzend.

Natürlich nervt es, wenn sich ein Kiez verändert und zu einem Wegwerfkiez wird. Die Leute kommen, haben eine Woche Urlaub und geben alles, à la Ballermann. Sie hauen alles raus und wollen alles mitnehmen und dann richtet sich darauf die ganze Infrastruktur aus. So hast du dann nur noch Restaurants, die total überteuert sind und nur noch Partydinger, die keine Szeneclubs mehr sind, sondern einfach nur noch irgendetwas, um besoffene Leute zu bedienen. Das ist nicht cool. Aber es ist eben eine Entwicklung. Man muss sich natürlich dagegenstemmen, was die Mieten angeht. Allerdings ist das ist die Aufgabe der Politik. Aber gleichzeitig denke ich, dass man Veränderungen und neue Leute immer begrüßen sollte.

Ich mag deine Einstellung. Das Thema Namensgeschichte habt ihr wahrscheinlich schon des Öfteren gehört. Laing ist der Familienname deiner Mutter, richtig?
Genau.

Gab es keinen Zoff in der Familie deswegen? War die andere Seite nicht beleidigt?
Tatsächlich waren sie ein bisschen beleidigt und dachten sich, warum ich denn jetzt den anderen Namen nehme. Ich heiße mit bürgerlichen Namen Rost und das ist ja genau das, was ich vermeiden wollte. Ich mag Rost, aber der Name bringt eben etwas mit sich und hat eine Bedeutung. Und Laing hat keine Bedeutung. Das fand ich so cool, weil es eben nichts heißt und Laing irgendwann für uns steht.

Ihr habt eine ungewöhnliche Bandkonstellation. Es gibt dich, zwei Sängerinnen, eine Tänzerin und einen Schlagzeuger. Und die Tänzerin ist ein vollwertiges Bandmitglied.
Und er auch.

Kannst du mir das erklären?
Die drei Sängerinnen sind ja selbsterklärend. Man kann einfach nicht zu zweit richtig mehrstimmigen Gesang machen. Und die Tänzerin … erstens kennen Marisa und ich uns einfach schon sooo lange und wir haben schon immer viel zusammen abgehangen. Sie hat die ganze Entstehung der Band miterlebt und war immer dabei. Irgendwann haben wir auch mit ein paar Choreos angefangen und dachten uns „Moment mal, wir haben doch eine Freundin, die Tänzerin ist und es viel besser drauf hat!“. Wir hatten erstens Bock, dass Marisa dabei ist und wir hatten Bock, dass die Show noch einen Akzent bekommt. Und ich mag gerne über Sachen neu zu denken. Man denkt ja immer, dass die Tänzer nicht dazugehören und es immer mehrere sein müssen, damit man synchron tanzen kann. Und ich dachte mir—wieso denn nicht. Wir werden ja so schon oft gefragt, ob wir eigentlich eine Band sind oder eher ein Act. Ich finde, wir sind eine Band. Unsere Instrumente sind die Stimmen und ich mache noch Beats. Aber wir alle singen und wir singen auf eine Art, die man irgendwie lernen muss, wie ein Instrument. Und Marisa tanzt mit ihrem Körper und transportiert Stimmung, Gefühl, Musik und Rhythmus mit ihrem Körper. Deswegen finde ich, dass es auch auf eine Art ein Instrument ist. Das sind aber auch alles immer solche Schnapsideen von uns. „Hey warum machst du nicht mit und dann du bist die Tänzerin!“. (Lacht)

Electric-Ladysound. Ist es also nur für Mädels oder auch für Typen?
Ich finde, dass Ladysound etwas transportiert, was Eleganz hat. Und mir wurde eben oft gesagt, dass es eben elektronische Musik ist, die etwas Feminines an sich hat, etwas Weibliches. Und auch in dieser kühlen minimalen Ästhetik sozusagen, ist da ein Feel drin und man merkt, dass dort eine Frau hinter sitzt. Ich wurde auch schon gefragt, ob wir Mädchenmusik machen. Wenn mit Mädchenmusik etwas gemeint ist, das kleiner ist, als das von Jungs—dann nein. Aber natürlich sind wir Mädchen, Frauen, Ladys … Ein Journalist hat uns Electric Ladysound genannt. Und außer dass es ein englischer Begriff ist, fand ich es sehr sehr cool.

Ihr habt Trude Herrs „Morgens bin ich immer müde“ gecovert. Eine tolle Frau.
Eine wahnsinnig tolle Frau.

Und die Prinzen habt ihr gecovert.
Yeah!

Warum gerade Trude Herr und Prinzen?
Also, das mit den Prinzen war auch wieder eine klassische Schnapsidee. Im Tourbus grölten aus vier Kehlen alle Songs, die uns eingefallen sind und irgendwann kam „Alles nur geklaut“. Und da dachte ich mir, dass ich das aus Quatsch mal nachmache. Wirklich aus Quatsch. Dann habe ich gemerkt, was das für ein krass, cooler Song ist. Und wie cool auch der Text ist. Ich dachte bloß „Maaan Prinzen, das ist ja richtig Hip-Hop“. Alles war natürlich ein bisschen mit einem Zwinkern. Ich habe mir dann überlegt, was ist das Gegenteil von den Prinzen? HipHop. Dann habe ich quasi eine HipHop Version daraus gemacht.

Das ist auch der Song, den ich am häufigsten während meiner Vorbereitungen gehört habe. Haha.
Ja, wir feiern den Song total. (Lacht) Was für ein geiler Song. Ich habe auch irgendwann Tobias Künzel getroffen, er kannte den Song auch schon und meinte, er sei sehr geschmeichelt. Trude Herr habe ich zufällig gefunden. Das ist schon eine Weile her. Und zwar war ich einfach bei YouTube unterwegs. Ich bin ja ganz musikbegeistert und verbringe Stunden damit durchs Internet zu surfen und mir Musik anzuhören—und danach kaufe ich mir die CD. (Lacht) Wirklich, ich bin faszinierter CD-Käufer. Ich fand es total krass, weil die ganzen 60er Schlager alle in so einer fröhlichen und kitschigen Welt spielen. Es ist halt alles so oberpositiv, ganz klare Rollen. Und deswegen sprengt auch Trude Herr im wahrsten Sinne des Wortes den Rahmen. Sie ist so roh und doll und so keck dazu. Ich dachte, dass es einer der wenigen, wenigen Songs aus der Zeit ist, die ich gutem Gewissens singen kann.

Ihr seid selbst immer sehr hübsch angezogen und ich habe teilweise Züge der 60er gesehen. Lebt ihr das auch privat aus?
Natürlich habe ich privat krasse Klamotten. Allerdings bin ich privat kein Paradiesvogel. Und die 60er … das ist ein Einfluss von mir, aber nicht DER Einfluss. Ich finde, man kann das nicht auf die 60er runterbrechen. Eigentlich die ganze Musik, 20Jh. und 21 Jh. Wir sind in den 80er aufgewachsen, das hat uns alle nicht unberührt gelassen. Michael Jackson war einfach dabei. In den 90er der Dance und als man anfing die Charts zu hören und was da alles so dabei war. Hip-Hop auf jeden Fall ganz doll. Aber eben auch 60er und 50er. Ich stehe total auf 20er, 30er Chansons. Es gibt eben überall gute Interpreten und gute Songs, in jeder Zeit und das fließt da irgendwie alles mit rein. Auch die Klamotten.

Die macht ihr alle selbst, oder?
Am Anfang habe ich die selbst gemacht. Jetzt überlege ich mir das zusammen mit einer Freundin. Wir bauen uns einen Kreis von Freunden hier auf, du siehst ja was hier los ist (lacht) … Und ich arbeite am liebsten mit Freunden und Leuten zusammen, die ich mag. Und da habe ich jetzt besonders eine Freundin, mit der ich diese Sachen weiter entwickle. Und die Klamotten sollen eigentlich auch nicht EIN Stil sein. Ich finde eben, dass man heute und so war es immer schon, eine krasse Szenenzugehörigkeit klarmacht—„Zeig mir deine Turnschuhe und ich sag dir welche Musik du hörst und in welchen Club du gehst“. Und um dem mal zu entgehen, dass man immer so gleich klassifizierbar wird, dachte ich mir—keine Markennamen. Ganz schlicht. Unser Bandname ist die fucking Marke—das will ich etablieren. Ich liebe es Aufmerksamkeit zu bündeln—„Da sollst du gerade hingucken“. Und wenn da vier Frauen stehen, in vier unterschiedlichen Klamotten, mit vier unterschiedlichen Styles ist das total viel, weißt du? Wenn man das alles zusammenzieht, dann kann man sich auf die Gesichter, auf den Ausdruck, auf das Tanzen und auf den Song konzentrieren. Das hat etwas Starkes.

Eine Einheit vielleicht.
Genau, es hat etwas von einem Team, oder einer Sportgruppe, Raumschiff Enterprise. Wir haben etwas miteinander zu tun und wir gehen zusammen etwas an. Das finde ich cool.

Letzte Frage. Album?
Jaaaa, es ist so aufregend. Heute wirst du ja die ersten Songs daraus hören. Wir sind alle total begeistert. Es brennt mir so unter den Nägeln. Es öffnet uns einfach noch mehr Türen. Auf der EP haben wir schon einen kleinen Einblick davon gegeben, was wir sind. Er hier z.B. ist mein Mixer, Jan Driver—ein berühmter Technoproduzent. Sag mal „Hallo“, Jan. (Lacht) Na ja, das Album kommt im Januar heraus. Also seid gespannt. Und sorry nochmal fürs Warten!



(Foto: Ben Wolf)