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Gläubige Christen über Israel, Analverkehr und die Terrormiliz IS

Wir haben am Marsch für Jesus mit Christen über die IS, Israel und die Hintertür des Glaubens gesprochen.

Alle Fotos von VICE Media.

Am 20. September fand der Marsch für Jesus in Wien statt. Dabei marschierten tausende Gläubige mit ebenso vielen Plakaten und musikalischer Untermalung um den Ring, um danach ein Fest am Stephansplatz zu feiern. Ich habe mich in die Mengen gestürzt, um den Gläubigen Fragen zu stellen, die mir das Internet nicht beantworten konnte.

In Wien gibt es freilich einige Konzerte, Gebetsrunden und sonstige Veranstaltungen für Jesus und seine Anhänger. Richtig große Events gibt es allerdings selten. Das letzte seiner Art fand 2006 statt und war ebenfalls ein Marsch für den Sohn von Josef und Maria. Und Gott. Der diesjährige Marsch wurde von eifrigen Christen aus den verschiedensten Gemeinden organisiert, um mal wieder richtig Stimmung für ihren Erlöser zu machen. Unter ihnen die ganz gewöhnlichen Katholiken (römisch-katholisch und evangelisch), Jesuiten, Kalasantiner, Baptisten und freie Gemeinden. Das Event sehen die Veranstalter als „Gelegenheit des Austausches und der Freundschaftspflege, sowie als Möglichkeit, ihrem gemeinsamen Glauben mit Begeisterung Ausdruck zu verleihen". Also egal, wie genau die Teilnehmer die Bibel interpretieren und ob sie unehelichen Sex nun mehr oder weniger verwerflich finden, Hauptsache sie feiern Jesus und teilen dies möglichst konservativ-kreativ mit.

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Der Marsch für Jesus ist ein internationales Event und findet unter anderem in der Ukraine, Kanada, Deutschland, Brasilien, Neuseeland und den USA statt. Der erste Marsch fand im Jahre 1987 in London statt und war ein großer Erfolg. 1994 gab es sogar einen Welt-Jesus-Marsch, bei dem sich weltweit mehr als 10 Millionen Christen versammelten. In Wien war das ganze deutlich kleiner, aber für Atheisten wie mich mindestens genauso absurd und überwältigend. Um den Marsch für Jesus zu unterstützen, konnte man aber nicht nur um den Ring latschen, singen, tanzen oder spenden, sondern auch sein Lieblingsgebet auf der offiziellen Homepage eingeben, mit anderen Gläubigen Plakate basteln oder Flyer verteilen. Einige besonders fleißige Schäfchen Gottes haben im Vorfeld sogar beeindruckende Promo-Videos produziert. Der diesjährige Marsch für Jesus lockte die Besucher mit besonderen Stargästen: Alamande Belfor, den du vielleicht noch aus Starmania oder Austria’s Next Topmodel kennst, trat mit seiner Tanztruppe auf und ein mir unbekannter Johnny K. Palmer, der es auf Facebook auf fast 3000 Likes bringt, sang für die Gläubigen.

Ebenfalls dabei waren die Jugendlichen von Radical Love, einer christlichen Jugendbewegung, die das klassische Bild von Partys revolutionieren will. Sie veranstalten Events für Gleichgesinnte (hier ein beispielhaftes Video aus der Lugner City) und organisieren sogenannte Street Partys, bei denen sie „ordentlich auf der Straße abfeiern“ und versuchen „den Menschen von Gott zu erzählen und was er für geniale Dinge für uns Menschen getan hat“. Eine solche Party habe ich vor einem Jahr zufällig auf der Mariahilfer Straße miterlebt und war von der Motivation der „radikalen Liebhaber“ beeindruckt. Ein paar Passanten haben ihnen irgendwie verstört zugesehen, während die Tänzer ihr Bestes gaben und ein Redner christliche Parolen ins Mikro brüllte. Mich haben sie damit nicht wirklich näher an Gott gebracht.

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Beim Marsch für Jesus war das aber irgendwie anders. Als ich in den Graben einbog, schwappte mit schon die pure Fröhlichkeit entgegen. Zwei Typen um die 20 nahmen sich meiner an und erklärten mir kurz den Ablauf des Events. Sie führten mich auch zu meinem ersten Interviewpartner, der—wie sie ganz freudig erregt erzählten—eine Kirche führt. Nachdem ich fleißig Interviews geführt hatte und bis zur Urania mitmarschiert war, ertappte ich mich dabei, wie ich selig grinste. Das ging mir eindeutig zu weit! Ich holte mir ein Sandwich und setzte mich an den Donaukanal, um wieder zu mir zu kommen. So viel Nächstenliebe und Offenheit waren mir einfach fremd. Es war aber—bis auf die Sache mit dem Glauben, mit dem ich nichts anfangen kann—wirklich schön, bunt und laut. Auf die Afterparty am Stephansplatz habe ich dann verzichtet, da ich sonst vermutlich irgendeiner seltsamen Sekte beigetreten wäre, nachdem ich mir schon einen „Freu dich! Gott liebt dich!“-Sticker auf mein Smartphone kleben habe lassen.

Chris Pöschl

VICE: Hallo! Mir wurde gesagt, du leitest eine Kirche. Um welche Kirche handelt es sich da?
Chris Pöschl: Richtig, ja. Ich bin Leiter der Four Corners Christian Followship Wien, die ist im 10. Bezirk und ist eine internationale Kirche.

Was unterscheidet euch von der „normalen“ römisch-katholischen Kirche?
Ich würde sagen, wir haben ein sehr lebendiges Auftreten. Wir haben Musik mit einer Band, wir nehmen uns da wirklich viel Zeit. Wir haben eine sehr starke Familie, wobei das jetzt nicht unbedingt eine Unterscheidung sein soll. Wir haben viel Spaß, wir verfolgen gemeinsam Ziele, wir wollen die Liebe Gottes empfangen und erfahren. Wir sind einfach sehr frei, modern und lebendig. Wir kommen zusammen, haben Spaß, haben viel Musik.

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Bist du heute nur als Besucher hier?
Ja, ich habe heuer das erste Mal nichts zu tun, das ist sehr schön. 2006 habe ich die Musik gemacht.

Wie viele Leute waren damals dabei und wie viele, schätzt du, sind es heute?
Damals waren es 1000 bis 2000 Leute, heute sind es wesentlich mehr. Ich schätze, es sind 3000 bis 4000 Leute hier am Stephansplatz, aber es ist wirklich schwer zu sagen.

Was hältst du—als jemand, der mit Religion viel zu tun hat—von der IS?
Tut dir das weh, zu sehen, wie Religion radikalisiert werden kann? Ja, das tut sehr weh. Das gab es im Christentum ja auch mit den Kreuzzügen und dergleichen. Und das ist das Paradebeispiel, wie es nicht sein soll. Weil im Prinzip ist das Christentum ja eine Religion der Liebe und nicht des Hasses. Es geht darum, Leute in eine Liebesbeziehung mit Gott zu führen.

Veronika

VICE: Guten Tag! Sie sind ja eine der älteren Teilnehmerinnen hier. Haben sie schon viele solcher Veranstaltungen miterlebt?
Veronika: Soweit ich mit erinnere, gibt es Jesusmärsche seit 1992, da war ich schon dabei. Und seitdem eigentlich bei jedem. Einmal gab es auch ein Jesusfest, da war ich auch dabei. Nur jetzt bin ich halt schon älter und wenn es sehr heiß ist und es sehr lang dauert, dann zweige ich vorher ein bisschen ab. Aber für mich ist es ein wunderschönes Ereignis, weil ich Jesus liebe. Und alle, die da sind, lieben Jesus von ganzem Herzen, weil sie erfahren haben, wie gut er ist.

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Matthias

Matthias wollte nicht fotografiert werden, deshalb an dieser Stelle fesche Jesus-Shirts.

VICE: Hallo! Du siehst nicht aus, als wärst du besonders gläubig. Was hältst du von diesem Marsch für Jesus?
Matthias: Jesus hat mir bis dato nicht wirklich geholfen.

Warum bist du dann hier?
Kein Ahnung. Ich schau mir diese ganze lustige Scheiße mal an. Es ist aber wirklich lustig! Hey, irgendein Typ hat Jesus von mir genommen, verstehst du? Ich gebe ihm irgendeine scheiß Fahne und sag ihm „Nimm Jesus!“ und er hat Jesus genommen.

Also bist du jetzt jesuslos?
Ja, das bin ich. Und warum ziehen die sich eigentlich alle Jesus-T-Shirts an und laufen durch die Straßen? Was soll das bringen?

Das weiß ich auch nicht, aber ich werde nachfragen.

Janette 

VICE: Ich habe vorhin einen betrunkenen Typen getroffen, der sich fragt, was ihr mit diesem Marsch erreichen wollt. Ich gebe die Frage mal an dich weiter.
Janette: Wir erwarten uns, dass so viele wie möglich diese Botschaft lesen und berührt werden.

Okay. Und welcher Gemeinde gehörst du an?
Ich gehöre der Christlichen Internationalen Gemeinde Wien an.

Ich habe gehört, dass manche christliche Jugendliche ausschließlich Analverkehr haben, um als „Jungfrau“ in die Ehe zu gehen. Was hältst du davon?
Was?! Ich glaube, die haben das falsch verstanden. Ich weiß nicht, ob es das bei uns auch gibt. Also ich habe keinen Analverkehr.

Zurzeit ist die Terrororganisation Islamischer Staat stark in den Medien vertreten. Was hältst du als gläubiger Mensch davon, dass Religion so radikalisiert wird?
Ich persönlich finde es schön, wenn man einen Glauben hat. Ich habe definitiv nichts gegen andere Religionen, aber natürlich würde ich mir wünschen, dass sie Jesus als ihren Glauben anerkennen. Sie sind Menschen so wie ich und wir alle hier. Ich kann nicht für die ganze Welt sprechen, aber ich akzeptiere jeden Glauben und jeden Menschen.

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Miriam

Miriam wollte nicht fotografiert werden, deshalb hier mein Fashion-Highlight des Marsches.

VICE: Hallo! Was hältst du davon, dass christliche Jugendliche ausschließlich Analverkehr haben, um als „Jungfrau“ in die Ehe zu gehen?
Miriam: Das kann ich nur unterstützen! Das würde ich genau so machen.

Also bist du für Analverkehr?
Ja, total! Pro Analverkehr!

Ihr Freund: Stimmt ja gar nicht!

Oh, okay. Das müsst ihr jetzt untereinander ausmachen. Danke für eure Zeit!

Helea

Helea (rechts) und ihre Freundin.

VICE: Hallo! Was führt dich heute hier her?
Helea: Ich gehe in die Kirche, wo die ganzen Banner gemacht werden und da wurde schon seit Wochen Werbung für den Marsch gemacht. Und ich singe auch nachher auf der Bühne. Ich gehöre zu Radical Love und singe die House Vocals.

Cool, mit Radical Love hatte ich im Vorfeld schon über Facebook Kontakt. Leider haben sie mir nicht mehr geantwortet. Ich habe sie gefragt, wie sie mit Kritikern bzw. Leuten, die über sie lachen, umgehen. Kannst du mir diese Frage vielleicht beantworten?
Es gibt immer Leute, denen es nicht passt, was man macht, aber das ist immer so. Haters gonna hate!

Du sagst es. Anderes Thema: Ich habe gehört, dass es—besonders in Amerika—viele Jugendliche gibt, die ausschließlich Analverkehr haben, um als „Jungfrau“ in die Ehe zu gehen.
Das ist kein amerikanisches Phänomen. Das jungfräuliche Leben führen sehr, sehr viele. Ich lebe auch enthaltsam und ich glaube, Analverkehr ist ein fauler Kompromiss, weil du wirst ja trotzdem intim—sehr intim! Ganz oder gar nicht! Das machst du aber aus einer persönlichen Überzeugung, also das ist jetzt keine Gruppierung, die sagt „Wir treffen uns einmal die Woche und meditieren über unsere Jungfräulichkeit“ oder so, sondern es ist einfach ein Lebensstil, dass du dich für den Einen aufhebst. Ich erlebe das als etwas voll Positives. Also es ist nicht nur ein Trend, sondern es ist einfach eine Lebenseinstellung, die man hat oder nicht. Ich glaube, es wird jetzt einfach mehr darüber gesprochen.

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Fühlst du dich als gläubiger Mensch irgendwie betroffen, wenn du siehst, wie sehr Religion radikalisiert werden kann, wie am Beispiel der IS?
Also ich habe selber muslimische Freunde und ich glaube, es ist ein starker Unterschied zwischen Islamisten, die wirklich töten und halt Moslems, die einfach im Frieden normal mit dir eine gesunde Unterhaltung führen. Und natürlich befürworte ich überhaupt keinen Totschlag, egal wer jemanden tötet oder warum. Ich lebe ja auch für die Nächstenliebe. Ich versuche den anderen mit Respekt gegenüber zu treten. Und das überschreitet schon mal den ersten Schritt, wo ich sage „Hey, so geht man nicht miteinander um!“

Milan

Milan mit Flagge und Hund.

VICE: Was hat es damit auf sich, dass hier so viele Menschen Nationalflaggen mit sich herumtragen? 
Milan: Das repräsentiert mein Land! Mein christliches Land, aus dem ich komme. Egal welche Fahne, wir sind alle Christen! Es geht um den Zusammenhalt und die Solidarität, egal woher du kommst.

Umut

VICE: Was denkst du über diesen wunderschönen Marsch für Jesus?
Umut: Das ist irgendwie komisch. Es schaut voll lustig aus, diese Jesus-Shirts und so weiter. Die sind unglaublich motiviert. Ich habe viele linke Demonstrationen gesehen, aber die sind nicht so gut drauf. Die machen echt Stimmung.

Was denkst du darüber, dass christliche Jugendliche Analverkehr haben, um als vaginale „Jungfrau“ in die Ehe zu gehen?
Ich bin Atheist, aber das ist schon ziemlich lustig und voll unnötig.

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Mario

Bei dem Mann auf dem Foto handelt es sich nicht um Mario.

VICE: Hallo! Warum hast du eine Israel-Flagge mit?
Mario: Na ja, weil in Israel der Jesus geboren wurde.

Und was hältst du davon, dass Israel in einem christlichen Land wie Österreich aufgrund des Nahostkonflikts so stark kritisiert wird?
Das finde ich gut.

Ist das nicht irgendwie schwer miteinander zu vereinbaren?
Ja, voll.

Elisabeth/Elisheva

Statt Elisabeth bekommt ihr dieses Shirt zu sehen. It's no joke—and no coke.

VICE: Auch du hast eine Israel-Flagge mit. Warum?
Elisabeth: Aus Überzeugung. Weil Jesus der Messias ist, Jeshua, auf den die Juden warten. Und weil ich Israel liebe, weil das unsere älteren Brüder sind und Schwestern, die Juden. Und weil wir von ihnen auch die Wurzeln unseres Glaubens haben. Deswegen gehört zu unserem Jesusmarsch auch Israel dazu.

Und was hältst du davon, dass Israel aufgrund des Nahostkonflikts so stark kritisiert wird?
Das macht mich sehr traurig. Ich glaube, dass der Staat Israel ein Geschenk ist von Gott an sein Volk und dass der Messias dort wiederkommen wird und sie werden ihn dort erwarten. Das ist Gottes Plan. Und ich bin nicht für Krieg, aber ich bin für die Anerkennung von der Heimat der Juden, Israel.

Okay. Und zu welcher Glaubensgemeinschaft gehörst du?
Ich besuche in Wien die kleine messianische Gemeinde Beth Yeschua und die Vineyard-Gemeinde.

Peter

Peter (links) mit seinen Kumpels.

VICE: Was treibt dich heute zum Marsch für Jesus?
Peter: Der Marsch für Jesus ist für uns eine Möglichkeit der Stadt zu zeigen, was Jesus für uns bedeutet. Wir wollen Jesus bekannt machen und zeigen, was er Gutes für uns getan hat.

Was hat er für dich getan?
Er hat mich gerettet durch seinen Tod. Ganz so einfach ist es.

Stimmt, das ist ein Totschlagargument. Ganz ein anderes Thema: Was hältst du von der Terrormiliz IS? Macht dich das traurig, dass Religion so radikalisiert werden kann?
Ja, auf jeden Fall. Das ist das Gegenteil von dem, was Jesus gelehrt hat. Es ist absolut falsch, eine Religion durch Morde und Gewalt zu erzwingen—das ist nicht der Sinn der Sache.

Was denkst du darüber, dass Jugendliche ausschließlich Analverkehr haben, um als „Jungfrau“ in die Ehe zu gehen?
Auch das ist nicht der Sinn der Sache. Also ich halte nichts davon. Der Sinn ist ja, nicht nur körperlich Jungfrau zu sein, sondern sich auch darauf konzentrieren zu können, welche Person das ist und wen man da heiratet. Man sollte sich nicht auf das Körperliche konzentrieren, sondern dass man sich kennenlernt und wenn man weiß, dass man wirklich füreinander bestimmt ist, dass man dann heiratet. Und dann kommt das Körperliche. Und dann kann man ja machen was man will!

Vielen Dank für deine Zeit!

Sendet eure Gebete für Andrea via Twitter: @andrea4nderson