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​Koks-Affäre in Deutschland: Die Polizei durchsucht das Haus von Linken-Politiker

Der Politiker hat die Polizei zuvor als „korrupt, kriminell und kaputt" bezeichnet.
Foto: imago/Olaf Wagner

Als der ehemalige Chef der Kemptener Drogenfahndung vor zwei Jahren mit 1,8 Kilogramm Kokain im Spind erwischt wurde, geriet bei den folgenden Ermittlungen auch eine Polizeibeamtin ins Visier. Die war damaligen Erkenntnissen zufolge privat mit Armin N. befreundet und wurde verdächtigt, zumindest über Teile der illegalen Aktivitäten des Drogenfahnders Bescheid gewusst zu haben.

Die derzeit vom Dienst suspendierte Beamtin im Rahmen des Prozesses konnte im Rahmen des Prozesses nicht erklären, wie ihre DNA-Spuren an das Koks gekommen waren. Gegen die 45-Jährige wurde im Juni 2014 ein gesondertes Strafverfahren eröffnet, das im Januar 2016 mit einer Einstellung endete. Da das interne Disziplinarverfahren gegen sie noch nicht abgeschlossen ist, ist sie derzeit noch bei vollen Bezügen vom Dienst suspendiert.

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Im Verfahren gegen Armin N. sind damals viele offene Fragen ungeklärt geblieben, besonders über die Herkunft des Kokains wird bis heute spekuliert. Ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung hat recherchiert, dass auch die Polizei davon ausgeht, das Koks stamme von einer alten Mafia-Connection, die seit Jahrzehnten im Allgäu tätig sein soll.

Seit der Verurteilung des Polizisten im Februar 2015 gab es auch keine neuen Enthüllungen über die Hintergründe der Kemptener Koks-Affäre. Offiziell ist Armin N. Einzeltäter, der fast zwei Kilo weißes Pulver vor vielen Jahren von der Staatsanwaltschaft zu „Schulungsszwecken" zusammengesammelt und dann zum eigenen Konsum im Spind gebunkert haben soll. Etwas anderes konnte bis heute nicht bewiesen werden.

Stattdessen: Hausdurchsuchung bei Prozess-Kritiker

Am vergangenen Wochenende hat die Kemptner Polizei wieder eine Hausdurchsuchung durchgeführt, die die Ereignisse von 2014 erneut in den Fokus rückt. Die Beamten durchsuchten aber nicht etwa die Wohnung eines mutmaßlichen Koks-Dealers, sondern die des linken Lokalpolitikers Stefan Albanesi. Dort beschlagnahmten sie seinen Computer, das Handy und andere Unterlagen.

Grund für die Hausdurchsuchung: Albanesi war irgendwie in Besitz der Anklageschrift gegen Armin N. gelangt, hatte einige Ungereimtheiten aus der Anklageschrift auf Facebook veröffentlicht und die Einstellung des Strafverfahrens gegen die Beamtin heftig kritisiert—er bezeichnete die Polizei und Justiz Kemptens als „korrupt, kriminell und kaputt". In den Anhörprotokollen der Anklageschrift habe die Polizistin sich nämlich darüber unterhalten, „wie man Beweise wegschaffen konnte". Albanesi bezweifelte, dass sie „nichts gewusst" haben könnte—und bezeichnete Teile des Kemptener Justizsystems als „kriminelle Subjekte".

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Die Beamtin erstattete laut Albanesi deshalb gegen den ehemaligen Bundestagskandidaten der Linken Anzeige, woraufhin ihre Kollegen der Kripo Memmingen umgehend wegen „Beleidigung" und „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes" gegen Albanesi ermittelten.

Deren Ermittlungsergebnisse ergaben, dass Albanesi im Besitz der über ein Jahr alten Anklageschrift sein müsste, woraufhin die Beamten ohne vorherige Befragung eine Hausdurchsuchung beantragten. Dem zuständigen Richter reichte der Tatbestand aus, um am 22. Februar einen Durchsuchungsbefehl zu unterschreiben, der vier Tage später vollstreckt wurde. Beschlagnahmt wurden Handy, Laptop, eine Kopie der Anklageschrift sowie ein „37-seitiger Ordner in Sachen XXXX".

Auszug aus dem Durchsuchungsbeschluss gegen Albanesi

Selbst wenn die Herkunft einiger Dokumente des Herrn Albanesi der Polizei unklar scheint, ist eine Hausdurchsuchung wegen „Beleidigung" und „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes" ein ungewöhnlich hartes Vorgehen. Insbesondere weil der Betroffene vorher nicht einmal zur Sache befragt wurde. „Es war nicht illegal, das Papier besitzen", erklärte Albanesi gegenüber VICE. Zudem es laut Gesetz mit der Vertraulichkeit des Wortes vorbei ist, wenn ein überragendes öffentliches Interesse vorliegt.

Ob hier ein überragendes öffentliches Interesse vorliegt, müssen wohl letzten Endes wieder die Juristen unter sich klären, aber immerhin hatte der Fall zu seiner Zeit sogar den Innenausschuss des Bayrischen Landtags beschäftigt.

Solch rabiates Vorgehen gegen kritische Stimmen trägt nicht gerade dazu bei, den ohnehin sehr faden Beigeschmack, den die Rolle der Polizei bei der Kemptener Koks-Affäre hinterlassen hat, zu neutralisieren—im Gegenteil.

Alle damals anwesenden Prozessbeobachter hatten den Eindruck, dass im Gerichtssaal nur ein Bruchteil der Wahrheit ans Tageslicht gekommen ist. Natürlich wirft es Fragen auf, wenn das Verfahren gegen diese Frau, deren DNA am Corpus Delictii klebte, dann im Januar 2016 sang- und klanglos eingestellt wird und Staatsanwaltschaft sowie Polizei der Öffentlichkeit bis zum heutigen Tage keine plausible Erklärung ihrer eigenen Ermittlungsergebnisse im Fall Armin N. liefern können. In einem Landkreis, wo jedes Gramm Cannabis fast wie ein Kapitalverbrechen verfolgt wird und umfassende Ermittlungen zur Folge hat, hat der Skandal um Armin N. Heute mehr denn je das, was die Schwaben „Geschmäckle" nennen.

Neue Erkenntnisse über die Hintergründe der Koks-Affäre oder gar Hausdurchsuchungen bei mutmaßlichen Dealern gibt es immer noch nicht. Umso mehr Elan legt die Polizei an den Tag, wenn es darum geht, Kritiker des Prozesses mit aller Härte anzugreifen. Der ehemalige Bundestagskandidat Albanesi wird sich in Zukunft ganz genau überlegen, was er auf Facebook postet.