FYI.

This story is over 5 years old.

Popkultur

Der Gott der Geschichten

Robert McKee hat über drei Jahrzehnte Vorlesungen übers Geschichtenerzählen gehalten, sein Buch Story gilt als Bibel der Drehbuchschreiber. Alec Sokolow und Tony Camin sind ein Drehbuchschreiber-Team aus L.A., die gemeinsam mit McKee über ihr...

Foto von Roos Trommelen, illustration von Dylan Redford

Robert McKee hält seit drei Jahrzehnten Vorlesungen über dramaturgische Narration und sein Buch Story ist zur Bibel der Drehbuchautoren, TV-Schreiber und unterhaltungsmedialen Führungskräfte sowie deren Sekretären geworden. Unter McKees ehemaligen Schülern reihen sich 63 Oscar-Gewinner, 164 Emmy-Gewinner, 30 Preisträger der Writers Guild of America Awards und 26 Gewinner der Directors Guild of America Awards. Alec Sokolow und Tony Camin sind ein Drehbuchautoren-Team aus Los Angeles. Sie haben McKee vor Kurzem getroffen, um ein bisschen zu fachsimpeln und What the Duck zu besprechen, das neueste Projekt der beiden. Camin war so nett und erlaubte uns, seine Notizen auf Sokolows Erstentwurf zu veröffentlichen.

Anzeige

Robert McKee: Alec—warst du bei der ursprünglichen Kerngruppe von Pixar-Leuten dabei, die damals zu meinen Vorlesungen gekommen sind? 
Alec Sokolow: Ja und nein. Ich hab deine Vorlesungen 1989 oder 90 besucht. Ich weiß nicht, ob die damals auch schon dabei waren. Bevor ich angefangen habe, mit ihnen zu arbeiten, waren sie jedenfalls noch nicht bei dir, aber im Zuge unserer gemeinsamen Anstellung dann schon. Ich erinnere mich an drei oder vier Typen, die meinten: „Wir sind nur Tech-Nerds, die Trickfilme lieben, und wir haben null Ahnung, wie man Geschichten erzählt.“ Mein Frage war: „Habt ihr schon irgendwas gemacht?“ Und sie meinten nur: „Wir haben da nur diesen kleinen Kurzfilm.“ Dann zeigten sie mir den Short mit der animierten Lampe. Ich hab sie angeschaut und gemeint: „Setzt euch hin und schreibt mit. Jungs, eure Zukunft sieht ziemlich gut aus.“ Was selten berichtet wird, ist, dass Pixar oft externe Drehbuchautoren ins Boot holt, vor allem für die ersten Entwürfe und dann von diesen ausgehend weiterarbeitet. Das ist bei 75 Prozent ihrer Filme so abgelaufen. Ja. Ich kann mich noch erinnern, als sie in meiner Klasse waren, diskutierten sie immer wild, wie man Spielzeug in Charaktere verwandeln könnte. Aber sie haben sogar eine Schreibtischlampe zu einem Charakter gemacht. Der Rest ist Geschichte.

Tony Camin: Als du diese Lampe gesehen hast, warum hast du gewusst, dass ihre Zukunft gut aussieht? 
Der Subtext! Ich wusste sofort, was die Lampe denkt und fühlt. Wenn ein Trickfilmer es schafft, einem Objekt Bewusstsein zu verleihen, sodass man unterschwellig dessen Gedanken und Gefühle empfinden kann—das ist das Geniale. Großes Geschichtenerzählen beruht genau darauf. Mir hat mal jemand gesagt—und ich glaube, es stimmt—dass Pixar kein Skript für eine Produktion absegnet, solange diese Frage nicht beantwortet werden kann: „Was ist die Negation der Negation?“

Anzeige

Sokolow: Ich habe eine Frage zu diesem Zitat. Google meint, dass es von Hegel stamme.
Und ich habe es von Hegel geklaut.

Camin: Das wird alles gedruckt, Mr. McKee! Vorsicht!
Das ist einer der größten Philosophen der Menschheitsgeschichte. Jeder darf von denen klauen. Wenn du es verstanden hast, gehört es dir.

Sokolow: Soweit ich mich erinnere, war die Definition so, dass man einen erzählerischen Punkt erreicht—gerade im dritten Akt—an dem die Logik des Bösen plötzlich noch viel böser wird.
Ich weiß ja nicht, wann du meine Vorlesungen besucht hast, aber ich befürchte, dass ich nicht wirklich erklärt habe, wie man zur Negation der Negation kommt. Das geht so: Man nehme etwas Negatives—wie Hass. Das stellt dich vor zwei Herangehensweisen: Du kannst es entweder mit einer Lüge tarnen, sodass es Hass wird, der uns Liebe vorspielt—wie in großartigen Filmen wie Ordinary People. Oder du nimmst das, was eigentlich auf die Umwelt gerichtet ist, und drehst es hinein ins Innere der Figur. Hass wird so zu Selbsthass. Das sind die zwei Methoden, um übliche, alltägliche Antagonismen und Konflikte einen Schritt weiter zu intensivieren, an die Grenzen der Dinge.

Camin: Wie eine Vulkanexplosion oder so.
Naja, nein, nicht wirklich. Es geht nicht um Quantität. Es reicht nicht, einfach nur Hass zu vergrößern, bis viel mehr davon da ist—mehr Vulkan. Es muss sich in seiner Natur ändern. Es wird Hass, getarnt als Liebe oder Selbsthass. Das vergrößert natürlich die Intensität, aber nicht durch Vermehrung—durch eine Werteumverteilung. Du warst Ende der 80er, Anfang 90er in meiner Klasse, oder, Alec? Ich weiß, dass ich in diesen Jahren nie erklärt habe, wie man die Negation der Negation erreicht.

Anzeige

Sokolow: Da würde mich interessieren, wie sich dein Kurs über die Jahre weiterentwickelt hat.
Camin: Mittlerweile erklärt er einem offensichtlich, wie man zur Negation der Negation kommt!
Die Leute haben mich das in den vergangenen Jahren immer wieder gefragt. Wenn ich wiederholt die immer gleiche Frage höre, wird klar, dass eine Lücke in meinem Unterricht vorliegt. Dann konstruiere ich normalerweise eine Sektion im Unterrichtsplan rund um diese Frage, um dem Ganzen vorzubeugen. Ursprünglich dauerten die Vorlesungen 24 Stunden und ich habe Casablanca gezeigt und Chinatown. Dann habe ich Chinatown ausgelassen, um 4 Stunden dazuzugewinnen. Die anfangs 24-stündigen Einheiten wurden zu 32 Stunden ausgebaut, über den Verlauf von 4 Tagen hinweg.

Sokolow: Ich schätze, Jack Nicholson hätte sicher gerne The Two Jakes „ausgelassen“. 
The Two Jakes ist wie dieser Film, der draußen im Meer spielt …

Waterworld?
Genau. Nachdem der überall verrissen wurde, erinnere ich mich an ein Hotelzimmer, mitten in der Nacht mit schwerem Jetlag, und da war plötzlich Waterworld. Und der ist echt nicht schlecht! Waterworld war eigentlich ziemlich gut.

Camin: Stimmt es, dass Roger Rabbit der dritte Teil einer Chinatown-Trilogie sein sollte?
Keine Ahnung, aber in allen kommen rote Autos vor.

Sokolow: Ich habe noch eine Frage hinsichtlich Fragen. Was waren die schrägsten Fragen, die du von Studenten gestellt bekommen hast?
Die komischsten Fragen stellen die Leute, die selber auch etwas komisch sind. Die kommen meistens aus anderen Fachbereichen wie Wissenschaft, Physik, Chemie oder auch Astrologie. Egal ob Wissenschaft oder Spiritualismus, die schrägsten Fragen versuchen immer, persönliche Obsessionen mit ihrer eigenen Geschichte zu vereinen. Man generiert ziemlich bizarre Diskussionen, wenn man versucht, Analogien zwischen Narration und transzendenten Erfahrungen oder Quantenphysik zu ziehen. Das schlägt sicher alles.

Anzeige

Sokolow: Hast du Ernest Becker gelesen?
Um auf den Punkt mit dem Bösen und dem Hass zurückzukommen. Seine ganze These war es, dass wir Helden erschaffen müssen, die den Tod austricksen, da wir alle ständig unsere Sterblichkeit verleugnen. Und um Helden zu kreieren, braucht es den bösen Gegenspieler. Das steht für den repetitiven, esoterischen, internalisierten Dialog, den wir alle durchmachen. Qualitatives Schreiben ist sehr spezifisch in der Art, wie Aktionen und Reaktionen durch einzigartige Figuren auf eine einzigartige Weise ausgedrückt werden. Ein Moment nach dem anderen. Diese allgemeingültigen Kräfte übersetzt du in die Charaktere und die Story. So erweckst du das Ganze zum Leben und genau das macht es so außergewöhnlich. Geschichten werden so zum einmaligen, dauerhaften und erinnerungswürdigen Bespiel dieses ewigen Kampfes. Gute Autoren konzentrieren sich darauf, diese Allgemeingültigkeiten so konkret und einzigartig wie möglich zu verhandeln.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man niemandem erklären kann, wie man schreibt. Manche sind einfach brillant—man liest das Geschriebene und der Lesefluss ist perfekt. Für andere ist es einfach ein Handwerk. Nachdem ich mich jahrzehntelang damit auseinandergesetzt habe, ist mir mittlerweile der „Feenstaub“-Aspekt dabei klar.
Dieser Feenstaub nennt sich übrigens Talent.

Camin: Ich dachte, du sagst jetzt, einer deiner Kurse heiße so.
Sokolow: Warum ist Geschichtenerzählen in Hollywood Vertragsarbeit? Warum kochen alle nach dem gleichen Rezept?
Geld. Sie können kein Risiko eingehen. Jedes Mal, wenn sie es tun—zum Beispiel mit einem Film wie The Prisoners—und dann Verlust machen, sagen sie sich: „Eben, kein Risiko mehr eingehen!“ Wegen Geld.

Anzeige

Ich hatte schon mehrere Meetings mit kreativen Führungskräften, in denen aus deinen Kursen zitiert wurde—es ist wie ein Mantra. Ich weiß nicht, ob das die Filme besser oder schlechter macht, aber es ist ziemlich geläufig.
Das klingt ja fast, als ob du findest, dass das die Lage noch schlimmer machen würde.

Camin: Das sagt er mir auch immer!
Und wie stehst du wirklich dazu? Du findest tatsächlich, dass es schlechter geworden ist, oder?
Sokolow: Ich finde, dass das Erzählen von Geschichten schlechter geworden ist, und ich weiß nicht, ob es einen Zusammenhang zwischen deinen Vorlesungen und der Entwicklung in den letzten 30 Jahren gibt— oder ob da mächtigere Kräfte am Werk sind. Wenn die Budgets der Filme von 8 über 15 auf 100 Millionen Dollar anwachsen, zwicken alle plötzlich die Pförtner zusammen. Wo geht das ganze Geld hin?
Was kann man da sagen. So läuft es im Filmgeschäft. Ich sage der Filmindustrie keine große Zukunft voraus.

Darüber würde ich mich gerne genauer unterhalten.
Es herrscht an beiden Küsten des Atlantiks die gleiche Wahrheit. In Amerika, in London, wo ich wohne, oder in Amsterdam, wo ich unterrichte. Ich habe gerade drei preisgekrönte Filme aus Holland gesehen. Zwei waren o.k. Einer davon war ein prätentiöser Kunstfilm mit reanimierten Ideen aus den 60ern und 70ern. Nach 50 Jahren recyceln die das immer noch. Nichts davon war herausstechend. Aber es war gut. Die Schauspieler waren gut, die Regie war auch sehr kompetent und das Drehbuch auch o.k.

Anzeige

Camin: Was war der letzte Film, den du dir angesehen hast?
Blue Jasmine gefiel mir sehr. Ich fand den Lego-Film wunderbar. Da gab es tiefgehenden Subtext, der zu brillanten Höhe- und Wendepunkten führte, die dann in der Retrospektive ganz offensichtlich erscheinen. Und auch diese massive Neugestaltung von Realität. Plötzlich sind diese Vaterfiguren, die wir in allen Welten kennengelernt haben, Repräsentationen verschiedener Aspekte des Vaters im Film. Das ist ausgezeichnete Narration. Aber kommen wir zurück zum Thema— die Auswirkungen meiner Vorlesungen und meines Buchs. Ich möchte nur hervorstreichen, dass die besten amerikanischen Drehbücher der letzten beiden Jahrzehnte nicht für Filme, sondern fürs Fernsehen geschrieben wurden. Sogar noch vor The Sopranos. Die Qualität der TV-Autorenschaft hat einfach alles im Filmbereich übertroffen. Da möchte ich nur anmerken, dass der Großteil—wenn nicht sogar alle—dieser Autoren ehemalige Schüler von mir waren, die dann große Serien wie Breaking Bad, Mad Men, True Detective, Boardwalk Empire und Game of Thrones kreiert haben.

Die waren in deinen Kursen, aber du hast nicht über Fernsehen unterrichtet. In deinen Vorlesungen ging es um cineastische Strukturen.
Leute, Erzählstruktur ist Erzählstruktur, egal, ob das 100 Stunden dauert oder zwei. Ich gebe mittlerweile ganztägige Vorlesungen über Fernsehen. Der Schlüssel zu diesen Langformaten ist Mehrdimensionalität von Charakteren. Das Publikum hört auf, zuzusehen, sobald die Schreiber verabsäumen, den Protagonisten zu verändern oder Neues über ihn zu offenbaren.

Anzeige

Kennst du die Serie Twin Peaks?
Das ist David Lynch. Ja, die kenne ich, aber das ist lange her.

Die Serie war wie Lost. Da wurde es auch immer uninteressanter, je mehr offenbart wurde.
Das ist auch bei Dexter passiert. Dexter war aufgebraucht und leer. Meiner Meinung nach ist die beste TV-Serie bis zum heutigen Tag Breaking Bad. Als ich damals Tony Soprano analysiert habe, erschien er mir wie ein 12-dimensionaler Charakter. Walter White hat beinahe 16 bis 18 Dimensionen! Das ist die wahrscheinlich komplexeste Figur, die jemals geschrieben wurde—wirklich jede Form von Medium mit eingerechnet. Sie konnte sich über 5 oder 6 Staffeln generieren. Als die letzte Folge gezeigt wurde, wussten wir wirklich alles über Walter White und sein Alter Ego Heisenberg. Er war bereit, zu sterben, weil alles über seine Figur gesagt worden war, bis hin zur allerletzten Szene.

Sokolow: Ich kann mich nicht erinnern, wer das gesagt hat, aber ich muss immer daran denken: „Film ist Kommentar und Fernsehen ist Konversation.“
Das ist Schwachsinn. Ich verstehe nicht, was dieser Scheiß bedeuten soll.

Camin: Das Statement ist von mir!
TV ist ein einziges riesiges Statement.

Sokolow: Vielleicht ist hier ja mehr das klassische Halbstundenformat gemeint, in dem sich Charaktere nie verändern.
Wie auch immer! Ich möchte wirklich nicht so aggressiv rüberkommen, aber wir sprechen hier über mein Lebenswerk. Wenn ich solche Kommentare höre, denke ich mir nur: „Warum setzt du dich nicht kurz hin und denkst noch einmal nach?“

Anzeige

Camin: Walter White hat auch einiges durchmachen müssen. Psychosen waren die Folge.
Walter war jede Woche ein anderer. Wir konnten nie wissen, woran zum Teufel man bei Walter war. Einmal machte er Dinge so, und wir glaubten zu wissen, wer er ist. Dann drehte er sich plötzlich wieder um und tat Sachen auf ganz gegenteilige Art und Weise. Und es blieb dabei glaubwürdig für seine Figur. Das definiert eine „Dimension“. Eine „Dimension“ widerspricht konsistent der eigentlichen Natur des Charakters. Walter konnte unglaublich zärtlich sein, was er auch im Zusammenhang mit gewissen Charakteren über fünf Staffeln hinweg bewies. Mit anderen ging er brutal und gnadenlos um. Diese „Dimensionalität“ fasziniert die Zuschauer. Ich unterrichte mittlerweile, dass der Standard des 21. Jahrhunderts die 100-stündige Geschichte ist. Die Leute sollten schnell anfangen, sich diesen Umständen anzupassen und Spezialisten der menschlichen Psyche zu werden. Um Narration 100 Stunden aufrechtzuerhalten, brauchst du eine Hauptfigur, die komplex und multidimensional ist—20 Dimensionen scheinen wohl die Norm zu werden. Sind Autoren bereit dafür? In diesem Jahrhundert werden wir sehen, dass die Kathedralen des Geschichtenerzählens zu langformatigen Meisterwerken werden—mit höchst komplexen Figuren, vielen Nebenhandlungssträngen, unzuverlässigen Realitäten, und das alles ist ineinander verwoben.

Anzeige

Sokolow: Hast du eigentlich schon einmal zusammengezählt, wie viele Leute insgesamt deinen Kurs besucht haben?
Ich gebe 12 Vorlesungen im Jahr, Minimum, zu je 250 Teilnehmern. Das sind mindestens 3.000 pro Jahr und das für 30 Jahre. Das sind um die 100.000 Menschen. Ich habe schon überall unterrichtet, in China, Tel Aviv und auch Oslo. Ich hatte dort überall Einfluss auf vorherrschende Formen des dramaturgischen Erzählens. Die Inhalte der Vorlesungen sind immer die gleichen.

Camin: Man kann also nicht sagen: „Die Schweden mögen keine zögerlichen Heldenfiguren.“
Nein. Kultur ist nicht einmal einen Zentimeter dick. Die menschliche Natur hat dagegen unendliche Tiefen.

Sokolow: Ich finde es schade, dass es schwieriger geworden ist, gute Filme zu finden.
Ich schenke meine Liebe nicht nur exklusiv Filmen. Ich liebe einfach großartige Geschichten. Das Medium, in dem ich die dann erlebe, ist mir wirklich scheißegal. Wenn es nie wieder einen Film gäbe, sondern nur noch Theater, wäre ich sehr glücklich darüber. Jedes Mal, wenn wir in London sind, brauchen wir ein, zwei Wochen extra, um so viel wie möglich an Theater zu verschlingen. Ich gebe euch jetzt eine kleine Vorschau. Ich habe mich entschieden, in den kommenden drei Jahren mit meinen Kursen aufzuhören. Dafür habe ich mit dem Bau einer Autorenschule in Manhattan begonnen. Die Leute, die von mir unterrichtet werden wollen, müssen in Zukunft nach New York kommen.
Die Schule wird International Writers Institute heißen und ist ausschließlich für Autoren von performativer Narration. Nur für Theater-, Film- und Fernsehautoren. Keine Belletristik, keine Romanschreiber. Das ist zu kompliziert, und ich will auch keine Novellisten, die meinen, dass ich ihre Arbeit nicht verstünde. Wir bauen eine Schule für Autoren, und mindestens ein Drittel davon wird Drehbuchautoren gewidmet sein. Ich will auch sicherstellen, dass das Theater niemals sterben wird. Aber ob Film überlebt oder nicht, ist mir ziemlich egal.

Anzeige

Camin: Und was ist mit der Oper? Das ist doch auch eine Bühne. 
Stimmt, das ist gleichbedeutend mit Ballett, Pantomime und anderen Live Performances.

Camin: Ballett ist mir ein bisschen zu schwul, aber egal. 
Sokolow: Ich bin auch extremer Theater-Geek. Hast du in London irgendetwas gesehen, das du empfehlen könntest?
Ja, wir haben ein Stück namens Relative Values von Noël Coward gesehen. Ich muss zugeben, beim Rausgehen dachte ich mir: „Gott sei Dank für Noël Coward.“ Das Tolle am Theater ist, dass es wie ein Museum funktioniert. Man braucht keine kontemporären Autoren, um es lebendig zu halten—da gibt es diese gigantische Schatzkammer an großartigen Stücken, die teilweise 2.500 Jahre alt sind. Schreiber wie Noël Coward waren so unglaublich produktiv. Der hat um die 50, 60, 70 Stücke geschrieben. Wir haben auch noch ein sehr nettes Stück von Alan Ayckbourn gesehen, A Small Family Business. Der hat auch um die 50 oder 60 Stücke verfasst. Und dann gab es in den letzten Jahren ein großes Revival von Terence Rattigan in London. Und wenn sie wollen, können sie sich auch problemlos wieder hinter Shakespeare stellen. Das sind universell und meisterhaft geschriebene Werke. Das Theater wird für immer überleben, weil es sich selbst konstant reanimiert. Da gibt es das Donmar Warehouse, das Alameda … das, was wir Off-Broadway nennen, nennen sie in London Fringe. Wir bleiben immer in der Chelsea-Gegend. Das Royal Court Theatre ist gleich drei Häuser weiter unten am Sloane Square. Dort gibt es auch enorme Anstrengungen, junge englische Autoren zu fördern—und auch Erfolg.

Anzeige

Sokolow: Denkst du, dass das etwas mit der Wirtschaft zu tun hat? Dass die Engländer ihre Bühnen leichter bespielen können, weil es dafür staatliche Förderungen gibt?
Camin: Die haben auch kein Fernsehen da drüben, also stoßen die schnell an ihre Grenzen.
Die schauen genau die gleichen Dinge, die wir schauen.

Sokolow: Ich arbeite an einem Projekt mit Quincy Jones. Der liebt dich heiß! Bei fast jedem Treffen kommt er darauf zurück, wie du seine professionelle Wahrnehmung aufgesprengt hast.
Quincy hatte einen Deal mit den Russen, als Gorbachev Premierminister war. Es war so eine russisch-amerikanische Co-Produktion, basierend auf Pushkins Leben. Ich habe dann auch zusammen mit Quincy angefangen zu recherchieren und Arbeitszeit zu investieren, aber dann wurde Gorbachev abgesetzt und durch Yeltsin ersetzt. Die Produktion war damit gestorben. Aber ich finde, das war echt ein erwähnenswertes Projekt. Es hätte ein tolles Stück dramatischer Zeitgeschichte werden können.

Camin: Wie so ein Nixon in China-Ding.
[Stille]
Sokolow: Ich habe ja die 10 Regeln von Billy Wilder immer ziemlich praktisch gefunden. Was sagst du dazu? Ich liebe Billy Wilder.
Das tue ich auch. Er ist wahrscheinlich der unterschätzteste „Auteur“ aller Zeiten. Und weißt du, warum er unterschätzt wird? Weil er zu viele Komödien gemacht hat. Filmkritiker nehmen Komödien nicht ernst.

Camin: Ist das heute noch so?
Ist bis heute immer noch so. Ich hoffe nicht. Ich habe Alec gerade ein Drehbuch-Treatment abgekauft. Wie stehst du zu Tieren, die sprechen können? Klingt das nach gut investierten 50.000 Dollar für einen Entwurf? Du weißt doch, wie das läuft. Sobald die Leute anfangen zu lesen, setzen sie sich mit den sprechenden Tieren auseinander, und wenn es sich dann am Ende echt auszahlt— dann ist das absolut eine gute Investition. Macht direkt 500.000 Dollar daraus.

Anzeige

Sokolow: Mein Zugang zu Filmen mit sprechenden Tieren—und das klingt vielleicht unsinnig—ist meine Liebe zu Groucho Marx. Ein sprechendes Tier bietet dir einen Charakter, der mit dem Zuschauer und gleichzeitig in der Szene spricht. Das ist eine ganz klassische Methode, komödiantische Stimmen hervorzuheben.
Camin: Haben alle Tier-Charaktere direkten Draht zum Publikum?
Nein, das würde ich anders machen. Du hast einen, der sich mit den Zuschauern anfreundet und das Beiseitesprechen übernimmt.

Sokolow: Hast du gewusst, dass der erste Entwurf von Toy Story—Jeff Katzenberg war ja die treibende Kraft in der Genese von Toy Story—viel dreckiger konzipiert war? Er hat meinem Autorenkollegen (Joel Cohen, aber der andere Joel Cohen) und mir gegenüber immer darauf beharrt, dass wir ihm ein nicht jugendfreies Skript schreiben sollten.
Wir sollten alle erdenklichen Regeln brechen, auch die vierte Wand durchbrechen. Das ist etwas, das in der Narrative von Pixars Toy Story komplett verloren gegangen ist. Dieser erste Entwurf hatte Figuren, die direkt mit dem Publikum sprechen, dabei fluchen und versuchen, sich umzubringen. Es war ein ziemlich verstörendes Skript.
Wir hatten die Idee, dass Buzz den Finger in die Steckdose steckt, weil er die Tatsache, ein Spielzeugmann zu sein, nicht verarbeiten kann.
Camin: Das hätte einem Spielzeug sicher Spaß gemacht.
Gut, aber da sieht man es wieder. Wenn es das auf die Leinwand geschafft hätte, wäre jede Elternvereinigung durchgedreht, weil das ja Kinder dazu verführt, ihre Finger in Steckdosen zu stecken.

Anzeige

Sokolow: Ich finde das sehr aufregend, was du mit deinem Institut vorhast.
Ja, finde ich auch aufregend. Das ist das größte Projekt meines Lebens. Das wird mir dermaßen viel Arbeit abverlangen.

Camin: Ich habe Bauunternehmer-Freunde in Brooklyn, falls du Hilfe brauchst, das Ding fertigzubauen.
Ich habe den Stundenplan schon fertig und jeder, der ihn liest, sagt: „Ich will bei dir zur Schule gehen!“ Als Nächstes finalisieren wir den Businessplan und die Vermarktung. Der große Schritt danach wird es sein, einen guten Standort zu finden. Ich will die Fakultät unbedingt in Manhattan haben und plane 20 vollzeit-beschäftigte Mentoren dafür ein. Kurse wie Psychologie für Autoren, Soziologie für Autoren, Politikwissenschaft für Autoren, Ästhetik für Autoren und alle anderen möglichen Elemente, wichtig für den Schreibprozess—Beschreibungen, Dialog, Dimensionen von Charakteren und so weiter. Dafür werde ich einen Haufen schlauer Leute benötigen, die auch interdisziplinär unterrichten können. Ich werde wohl die Writers Guild East besuchen und auch die Dramatists Guild und versuchen, einige fähige, erfahrene Profis abzuwerben. Leute, die schreiben und auch unterrichten können. Das gibt es nicht oft.

Sokolow: Ist gekauft. Ich bin dabei.
Camin: Er hat nicht mal ein Gebäude dafür. Ganz ehrlich, ich würde eher Burbank in Kalifornien empfehlen. Billigere Immobilien. 
Aus vielen diversen kulturellen Gründen muss dieses Projekt in Manhattan beginnen.

Anzeige

Sokolow: Als die New School University eröffnet wurde, war das eine ähnlich aufgeladene Stimmung.
Camin: Stimmt, du solltest deine die New New School nennen.
Das Neighborhood Playhouse, Actors Studio … die haben alle in Manhattan begonnen und dann aber überall Ableger generiert. Das ist auch mein Plan.

Sokolow: Das ist möglicherweise eine etwas morbide Frage, aber wie hättest du gerne, dass sich die Leute an dich erinnern? Du hattest extreme Auswirkungen auf den allgemeinen Diskurs rund um die Kunst des Geschichtenerzählens. Wird das geplante Institut also dein Vermächtnis?
Ich unterrichte seit 30 Jahren. Ich bin überzeugt, dass so, wie es für Schauspieler die Method-Technik gibt, auch Autoren die ihre haben. Das muss sehr flexibel sein. Wie bei Stanislavski muss die Arbeit von innen nach außen gekehrt werden. Alle Autorenkurse, die ich kenne, arbeiten von außen nach innen. Man geht hin und der Professor sagt: „Schreib etwas.“ Und dann schreibst du was, gibst es ab, und du bekommst Kritizismus zurück. Man wird entweder angegriffen oder bemuttert, aber letztlich ist es nur Zynismus von außen. Keiner erklärt dir, wie man mit charakterlichen Trieben und dem inneren Leben einer Szene umgeht, wie die Kräfte des Antagonisten funktionieren oder die Weiterentwicklung des Autorenhandwerks. Ich werde eine Klasse einführen, die sich mit beschreibendem Schreiben auseinandersetzt. Das bedeutet Aufgaben wie: „Schau aus dem Fenster und beschreibe in fünf verschiedenen Stilen, was du siehst.“ Wenn man junge Autoren inspiriert, knallen sie sofort gegen eine Wand, weil sie nicht einmal einen Raum beschreiben können. Sie können keine Handlung beschreiben. Ihnen fehlt diese beschreibende Fähigkeit. Sie schreiben nur diese langweiligen, einzeilig endlosen Paragraphen, die keiner liest. Niemand hat ihnen gezeigt, wie man Dialoge schreibt. Es sind die gleichen repetitiven Beats, und die Figuren sagen ständig das Gleiche, nur mit anderen Worten—sechsmal hintereinander. Und dann wundern sie sich, dass niemand positiv auf ihre Texte reagiert. Die Geschichte ist vielleicht sogar eine Leistung, aber sie können nichts beschreiben und sind mit schlechten Dialogen langweilig. Die Szenen zerfallen dann natürlich. Das ist an sich eine gute Idee, da ein Charakter versagt, weil er nicht schreiben kann.

Anzeige

Mit 23 hatte ich mal die Ehre, mich mit Neil Simon zusammenzusetzen. Der gab mir zwei Ratschläge: Schreib über Dinge, die du kennst. Und das andere war, dass Erfolg das Schlimmste sei, was einem jungen Autoren passieren könne. Die zweite Wahrheit war der härtere Schlag, weil ich erfolgreich sein wollte. Ich habe aber rausgefunden, dass beides einfach wirklich stimmt. Wenn man zu früh Erfolg hat, wird man nie wirklich den Lernprozess beenden, den man braucht, um zu wissen, was man überhaupt tut.
Ich habe traurigerweise in der Vergangenheit immer und immer wieder solche Personen kennengelernt, die nach der Vorlesung zu mir kommen und meinen: „Ich habe es geschafft.“ Aber ungefähr vor 25 Jahren. Dann denkt man, Jesus, damit könnte ich nicht leben. Es war einmal, da habe ich alles richtig gemacht. Nur hatte ich keine Ahnung, was ich tue. Es war ein Unfall. Ich hatte noch nicht das Können. In meiner Schule wird der ganze Prozess umgedreht werden. Erst lernen sie das Handwerk. Dann, am Ende des Semesters, wird ein eigenes Stück Fiktion abgegeben— nicht umgekehrt. Jeder Kurs soll ihnen Form, Inhalte und Fähigkeiten bieten, die sie dann in die eigenen Geschichten einfließen lassen können. Aber ich schaue mir bis zum Ende des Jahres nichts von ihnen an.

Camin: Also werden Aspekte unterrichtet, nicht der ganze Burrito, und am Ende können sie sich selber alles zusammenbasteln. Apropos, ich habe ja Alecs Drehbuchentwurf gekauft. Vielleicht kannst du uns ja helfen, der Film heißt What the Duck.
[Lacht] Gefällt mir.

Camin: Ich hoffe nur, dass es 50.000 Dollar wert ist.
Sokolow: Es geht um eine arbeitslose Ente in Hollywood. Das wird The Player der Animationsfilme.
Das ist sehr gut, wirklich sehr gut!

Camin: Dürfen wir dich hier zitieren!?
Man kann sicher sagen: „Das ist ein großartiger Titel.“ Eine Ente-die-in-Hollywood-zu-überleben-versucht Geschichte? So wie Sunset Boulevard?

Sokolow: Hoffentlich wird sie nicht mit dem Gesicht nach unten in einem Swimmingpool enden.
Du hast mich neugierig gemacht. Werden diese Cartoon-Charaktere und Menschen interagieren—wie bei Roger Rabbit?

Camin: Wir wissen es noch nicht, auch einfach wegen der Kosten, der Entwicklung und all der Dinge. Ich liebe ja Falsches Spiel mit Roger Rabbit, aber ich weiß auch, dass es auf einem gewissen Level einfacher ist, die Dinge animiert zu belassen.
Da bin ich mir sicher.

Sokolow: Das hier wird dir gefallen. Diese arbeitslose Ente hatte zu einem früheren Zeitpunkt unglaublichen Erfolg. Sie wollte ernst genommen werden als ein Enten-Schauspieler und machte einen Film, der sich Hitlers Hund nannte. Sie wollte uns beweisen, dass sie nicht nur eine sprechende Ente war, also zog sie die Prothesen an und spielte Blondie, Hitlers Schäferhund.
[Lacht]

Camin: Das ist eines der Dinge, auf die ich nicht so wild bin.
Beim Abendessen neulich haben wir uns darüber unterhalten, wie großartig Ralph Fiennes Performance in Spielbergs Schindlers Liste war. Jeder war sich einig, dass er mit seiner Oscar-Nominierung gewinnen hätte sollen, aber Leute, die Nazis spielen, gewinnen keine Oscars.

Erzähl das der Ente!
Du, sag der Ente, dass sie ihren Agenten feuern soll, wenn er sie so etwas machen lässt.

Sokolow: Außer, wenn du es zu einem „Frühling für Hitlers Hund“ machen kannst.
Ralph Fiennes Karriere ging danach durch das Dach, also besteht noch Hoffnung für die Ente—auch wenn sie Blondie gespielt hat.

Camin: Ich habe jeden Penny in diese Ente investiert, also lass uns hoffen, dass es funktioniert. Danke für deinen Ratschlag.
Es klingt fantastisch. Die Prämisse ist großartig. Ich hoffe, die Rechnung geht auf.

Ich habe mein Haus für dieses Ding verpfändet.
Wenn alles, was du für dein Haus bekommen hast, 50.000 Dollar sind…

Ich will mein Geld zurück! 

Alec Sokolow bekam für Toy Story eine Academy Award-Nominierung für Best Original Screenplay, Tony Camin ist ein in L.A. ansässiger Comedian und Schriftsteller.