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Popkultur

I Want My Movies

Christian Kracht hat für Finsterworld zum ersten Mal ein Drehbuch geschrieben, und, was vielleicht noch beeindruckender ist, wir sprechen hier auch vom Regiedebüt seiner Co-Autorin Frauke Finsterwalder.

FINSTERWORLD
Regie: Frauke Finsterwalder
Drehbuch: Frauke Finsterwalder und Christian Kracht
Verleih: ALAMODE FILM

Christian Kracht hat für Finsterworld zum ersten Mal ein Drehbuch geschrieben, und, was vielleicht noch beeindruckender ist, wir sprechen hier auch vom Regiedebüt seiner Co-Autorin Frauke Finsterwalder. Christian und Frauke sind außerdem verheiratet. Deshalb passt es eigentlich sehr gut, dass es sich hier um einen Film voller Kollaborationen, Gegenüberstellungen und Konfrontationen handelt. Und dass die unterschiedlichen und doch so gut zueinanderpassenden Charaktere dieses Filmes ein so bewegendes Ganzes bilden.

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In seinem frühen Werk, in Faserland, 1979 oder Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, ist Krachts Erzähler gleichzeitig der Protagonist—dadurch transportiert er eine eingeschränkte, wenn auch facettenreiche Weltsicht. In seinem letzten Roman Imperium sind allerdings historische Charaktere, Figuren und Stile miteinander verbunden und erschaffen so eine Art fantastische Geschichtsschreibung. Imperium ist eine einfallsreiche Expedition in die Ideengeschichte, erzählt anhand unterschiedlicher Charaktere. Ein Buch wie ein Fiebertraum über Kafka auf Helgoland, Hesse in Florenz und Thomas Mann an der Ostsee. Das Vorrecht der Literatur: mit der Vergangenheit so zu spielen, wie die Geschichtsschreibung es nicht kann.

Christian Kracht hat mal gesagt, dass er gerne Maler geworden wäre, aber nicht so tun könnte, als ob er einer sei. Und warum nicht? In seinen eigenen Worten: „Ich konnte die Renaissance nicht durch mein Gehirn laufen lassen.“ Mit dieser Aussage im Hinterkopf ist es keine Überraschung, dass die Charaktere von Kracht und Finsterwalder so unterschiedliche Hintergründe, Eigenschaften und Perversionen haben und doch alle zusammen die Geschichte erzählen.

Die Schönheit der Erzählung offenbart sich darin, wie die Narrative der Charaktere miteinander verbunden sind. Dadurch entstehen konstant präzise und vielschichtige Dialoge—ein erfrischender Schlag in die Fresse, wenn man den Zustand des deutschen Kinos und auch des Fernsehens sieht, wo Til Schweiger das Drehbuch eines der erfolgreichsten deutschen Filme von 2012 geschrieben hat, in dem er auch noch mitspielen und Regie führen durfte.

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Vom einsamen Fußfetischisten und seiner genauso einsamen, älteren weiblichen Kundin, bis zur frustrierten Fernsehredakteurin und ihrem noch frustrierteren Polizisten/Furry-Freund, haben die Charaktere in Finsterworld alle ein gemeinsames Problem—die Welt entspricht einfach nicht ihren Vorstellungen, egal wie trivial diese auch sein mögen. Diese Frustration führt schließlich zu Konflikten, wenn jeder auf seine ganz spezielle Art und Weise versucht, die eigene Bestimmung zu finden. Eben nicht immer die beste Idee …

Ein solches tête-à-tête findet zwischen Maximilian, dem elitären Privatschulegomanen, der die sadistisch-eitle Freikorpsmentalität verkörpert, und Natalie statt. Sie ist Comic-Nerd und erinnert an die jüdischen Frauenrechtlerinnen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Durch diese Charaktere findet im gesamten Film ein Stellvertreterkrieg zwischen historischen Repräsentanten statt, in einem traumhaften, in Technicolor gebadeten Deutschland. Es ist natürlich keine Überraschung, dass das Ganze im Verderben endet, in der größten Arena der modernen deutschen Geschichte, während eines KZ-Besuchs. Hier zwingt Max, ein Charakter, der direkt Riefenstahls Triumph des Willens entsprungen sein könnte, die pazifistische Natalie in einen Verbrennungsofen. Es passt, dass Max damit durchkommt, wenn auch auf Kosten eines anderen seiner Rivalen, dem intellektuellen Moralisten Herr Nickel, seinem Lehrer, brillant von Christoph Bach gespielt.

Aber es ist nicht nur der historische Unterbau, der Finsterworld zu einem so guten Film macht. Der leise Humor des Beobachtenden, der so oft im deutschen Kino fehlt, ist überall zu finden. Von der Absurdität von Volksliedern bis hin zur symbolischen Freiheit der Autobahnen—es ist schwierig, nicht zu lachen, aber genauso schwierig, sich dann wiederum nicht zu fragen, warum man lachen musste.

Finsterworld zeigt, was für ein mächtiges Instrument der Selbstreflexion Humor ist. Dieser Film ist nicht so sehr eine Flucht oder Trivialisierung der Erbärmlichkeit in der modernen Gesellschaft, sondern eher eine wirkungsvolle Medizin für diejenigen, die verbittert sind, ob der Spießigkeit und Oberflächlichkeit dieser Welt, und vermag es gleichzeitig, sie auf die Wurzel des Übels hinzuweisen. Er unterhält ohne ins Oberlehrerhafte abzudriften und belohnt diejenigen Zuschauer, die sich auf ihn einlassen, um seine Charaktere und deren divergente Schicksale zu erkunden.

Auf VICE.com findet ihr ein großes Interview mit Christian Kracht und exklusive Ausschnitte aus dem Film.