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Wir haben nachgeforscht, wie es um die österreichische IS-Geisel steht

Der Linzer wurde vor knapp einem Jahr in Libyen entführt. Die Ermittler haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

Es war der 6. März 2015, als zirka 150 bewaffnete Männer das Al-Ghani-Ölfeld etwa 500 Kilometer südlich der libyschen Hafenstadt Sirte angriffen. Sirte selbst war bereits am 13. Februar 2015 zu großen Teilen in die Hände der Terrormiliz Islamischer Staat gefallen—trotz des erbitterten Widerstandes des örtlichen Firjan Stammes, von dem bis zu 200 Angehörige in einer Racheaktion der Extremisten öffentlich gekreuzigt und enthauptet wurden.

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Eingang zum Al-Ghani-Ölfeld. Screenshot via YouTube

Schnell war klar, dass auch der Angriff auf das Ölfeld auf das Konto der Dschihadisten ging. Die 11 bewaffneten Wachmänner hatten keine Chance—ihnen ging die Munition aus. Warum das Ölfeld nicht besser bewacht war, wo doch die Sicherheitslage in der Region zu diesem Zeitpunkt bereits äußerst prekär war, ist bis heute unklar. Der Anmarsch der Terroristen auf das Ölfeld mit etwa 30 Pick-Ups soll von Norden (vermutlich von Sirte) aus erfolgt sein. Dass der Anmarsch in ziemlich massiver Formation passiert ist, lässt darauf schließen, dass er von anderen lokalen Gruppen und Stämmen unterstützt oder zumindest gebilligt wurde.

Acht der 11 Wachmänner wurden noch an Ort und Stelle hingerichtet. Das beweisen Fotos der enthaupteten Leichen. Ein weiterer Wachmann soll—während er die Hinrichtungen beobachtete—an einem Herzinfarkt gestorben sein, wie der Sprecher der libyschen Streitkräfte, Ahmed al-Mesmari, erklärte.

Das Al-Ghani-Ölfeld. Screenshot via Google Maps

Während nach übereinstimmenden Medienberichte 57 Arbeitern die Flucht gelungen sein soll, oder sie an diesem Tag gar nicht vor Ort waren, wurden neun Männer von den Terroristen entführt. Sie waren laut Zeugenaussagen bei ihrem Abtransport unverletzt. Darüber, wohin sie gebracht wurden, gibt es nur Spekulationen. Auch heute noch. „Es gibt dazu vorerst keine neuen Erkenntnisse", sagt der Pressesprecher des österreichischen Außenministeriums, Thomas Schnöll, im Gespräch mit VICE.

Unter den neun Entführten befanden sich vier Philippiner, zwei Männer aus Bangladesch, ein Ghanaer, ein Tscheche und auch der Linzer Dalibor S.*—weshalb der Fall auch die österreichischen Behörden beschäftigt. Der zum Zeitpunkt seiner Entführung 39-jährige Dalibor S. war als Manager für die österreichisch-maltesische Betreiber-Firma „Value Added Oil Services", kurz VAOS, in Libyen tätig. Vor seiner Arbeit auf dem Ölfeld war S. als UNO-Soldat unter anderem in Ex-Jugoslawien und auf den Golan-Höhen im Einsatz. Seit seiner Entführung vor nunmehr fast einem Jahr fehlt von dem gebürtigen Serben jede Spur. „Wir arbeiten weiter mit Hochdruck an diesem Fall. Der vom Außenministerium eingesetzte Krisenstab tagt regelmäßig und wir stehen in Kontakt mit der Familie", sagt Schnöll.

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Auf die Frage, warum das Gelände nicht besser bewacht war oder nach der Eroberung von Sirte nicht überhaupt evakuiert wurde, gibt es von der Betreiberfirma VAOS keine Antwort. Das Unternehmen schweigt generell auf genauere Nachfragen. Angeblich sollte das Ölfeld aber ausgerechnet am Tag des Überfalls geräumt und die Arbeiter in Sicherheit gebracht werden. Ob das stimmt, lässt sich nur schwer überprüfen. Feststeht, dass VAOS ausschließlich von Ölfeldern in Libyen profitiert. Das Al-Ghani-Feld war eines der größten und ertragreichsten. Mittlerweile hat das Unternehmen vier seiner sechs Ölfelder in Libyen evakuiert und geschlossen—auch auf Druck libyscher Sicherheitskräfte.

Von libyschen Extremisten entführte Geiseln, aber nicht die am 6. März entführten Arbeiter des Al-Ghani-Ölfelds. Foto: Day Donaldson | flickr | CC BY 2.0

Von den neun beim Angriff auf das Al-Ghani-Ölfeld entführten Männern waren drei Muslime. Die beiden aus Bangladesch stammenden Männer, sowie der entführte Ghanaer wurden knapp drei Wochen nach ihrer Verschleppung wieder freigelassen, wie dieses Video beweist, in dem die drei am Ende kurz zu sehen sind. Ermittlern zufolge gaben sie an, vom Rest der Gruppe getrennt worden zu sein. Somit konnten auch sie keine Angaben zum Verbleib und Gesundheitszustand der restlichen Geiseln machen.

Welchen Wert die verbliebenen Geiseln für die Dschihadisten-Miliz haben, ist unklar. Terror-Experten gehen davon aus, dass die Entführten auf Grund ihrer Nationalitäten wenig Symbolkraft haben und daher Lösegeldforderungen am wahrscheinlichsten sind. „Eine Lösegeldforderung gab und gibt es aber bisher nicht", versichert Thomas Schnöll und negiert damit anders lautende Medienberichte, wonach 500.000 Dollar für die Freilassung von Dalibor S. gefordert wurden.

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Trotzdem gebe man Dalibor S. nicht auf. „Wir haben die Hoffnung keinesfalls aufgegeben. Es gibt zwar kein Lebenszeichen, aber es gibt auch keinen Todesnachweis. Deshalb werden wir unsere Arbeit keinesfalls einstellen", heißt es aus dem österreichischen Außenministerium.

Die drei freigelassenen Männer aus Ghana und Bangladesch. Foto via YouTube

Den Angriff auf das Ölfeld und die Entführung soll die Gruppe „Wilayat Tarablus" ausgeführt haben. Dabei handelt es sich um jenen libyschen Ableger der IS-Miliz, dem auch die propagandistisch inszenierte Enthauptung von 21 koptischen Christen in Tripolis zugerechnet wird.

Die „Kolonie" der IS-Miliz in Libyen wird immer mehr zu einem massiven Problem für das ohnehin im Chaos versinkende Land. Anders als etwa in Ländern wie Ägypten, dem Jemen, oder Russland handelt es sich bei den Kämpfern in Libyen nicht „nur" um Anhänger islamistischer Zellen, die der IS-Miliz die Treue geschworen haben. Vielmehr sollen die etwa 3000 Dschihadisten direkt der Zentralkommandantur der Terrororganisation unterstehen und über sichere Routen zwischen dem Irak, Syrien und Libyen verfügen, über die Kämpfer nach Libyen gebracht werden, aber auch Bargeld und Kriegsmaterial geschmuggelt werden.

„Die Sicherheitslage in Libyen ist nach wie vor prekär. Es gilt die höchste Gefährdungsstufe. Wer ein bisschen Eigenverantwortung trägt, reist derzeit einfach nicht in diese Region", warnt Thomas Schnöll. „Die Angriffe der IS haben in letzter Zeit wieder stark zugenommen und auch das Abkommen zwischen den beiden Streitparteien, die sich jeweils als die offizielle Regierung sehen, ist noch in weiter Ferne." Trotzdem befinden sich laut Angaben des Außenministeriums derzeit noch immer bis zu 40 Österreicher und Österreicherinnen in Libyen. Ihnen kann im Notfall gar nicht oder nur sehr eingeschränkt geholfen werden.

*Aus Respekt vor den Familienangehörigen und zum Schutz der Geisel wird nicht der volle Familienname genannt.

Paul auf Twitter: @gewitterland