Wir haben ein Shitstorm-Problem

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Popkultur

Wir haben ein Shitstorm-Problem

Im Internet sind wir alle die höchste moralische Instanz und denken dabei oft nicht an die Konsequenzen.

J'accuse! OK. Moment. Eigentlich sollte man immer erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren. Mein Zuhause ist das Internet und der Schmutz vor meiner Haustüre ist mein Twitter-Account. Und meine Facebook- und Instagram-Accounts. Hätte ich Snapchat, wärs auch der, aber Snapchat verstehe ich nicht und gäbe es mehr als Tumbleweed auf Google+, dann wäre auch hier ausreichend Giftmüll zu beseitigen. Hallo, ich heiße Hanna und ich habe ein Shitstorm-Problem. (Und ihr auch.)

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Im System der Gewaltenteilung gibt es eine vierte, theoretische Macht: Die Medien. Sie stehen neben den drei für den Rechtsstaat unverzichtbaren und unbedingt voneinander getrennten Säulen (Legislative, Exekutive und Judikative) für den virtuellen vierten Pfeiler der Demokratie, der zwar keine direkte Gewalt besitzt, aber durch Berichte und Aufklärung die anderen Säulen beeinflussen kann. Wenn man Medien als 4. Gewalt und Kontrollinstanz sieht, dann gibt es seit einigen Jahren auch noch eine 5. Gewalt: Die manchmal virtuell beginnende und doch sehr reale Macht des Shitstorms.

Ich persönlich „kaufe" sonntags zum Beispiel nicht deshalb eine Österreich, um zu erfahren, dass Jeannine Schillers Mann ihr gesagt hat, sie solle die ÖVP wählen oder um zu sehen, wie die Zeitung Stimmung gegen Flüchtlinge macht. Ich hole sie mir, um mich über genau diese Dinge aufregen zu können. Ich will den Artikel posten und ich will, dass die ganze Welt sieht, dass ich den Artikel scheiße finde. Danke Facebook, danke Twitter, danke, dass ihr es mir ermöglicht, dass meine Wut—rein theoretisch—auch die ganze Welt sieht. Würde ich nicht wollen, dass sie viele Menschen sehen, dann würde ich den Artikel kopfschüttelnd dem Sitznachbarn in der U-Bahn zeigen und auf ein Kopfschütteln seinerseits hoffen. „Unglaublich" würde der vielleicht noch sagen. Beide empört, beide glücklich. Fertig.

Ich kenne den Journalismus der Prä-Shitstorm-Ära nicht. Zumindest nicht aus persönlicher Erfahrung. Sind da einfach ein paar wütende Briefe in die Redaktion geflattert, die wahrscheinlich nicht mal am Redakteur angekommen, sondern direkt im Müll gelandet sind? Der unhinterfragte Journalist im Elfenbeinturm wird sich kaputt gelacht haben.

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Cordt Schnibben vom Spiegel hat über seine Jahre bei der Zeit einmal Folgendes geschrieben: „Auf meinem Flur saß ein Ressortleiter, der sich köstlich über Leserbriefe amüsieren konnte. Wenn sich ein Leser darüber beschwerte, dass ein Leserbrief unbeantwortet geblieben war, ließ er dem Schreiber mitteilen, er habe leider einen Zimmerbrand zu beklagen und dabei müsse wohl auch dessen Leserbrief in Flammen aufgegangen sein. Es war die große Zeit der journalistischen Autokratie, die Texte wurden über den Lesern abgeworfen, wer sie kritisierte, wurde als Querulant abgetan."

Unantastbare Schreiber gibt es immer seltener. Wenn ich einen Text schreibe, dann habe ich immer öfter (öfter, weil durch höhere Reichweite auch das Shitstorm-Potential potenziert wird) nicht die Nachricht im Kopf, die ich ursprünglich vermitteln wollte, sondern überlege bei jedem Satz: Wie könnte dieser Satz missverstanden werden? Wie könnte mir dieser Satz ausgelegt werden, was könnte Menschen daran so aufregen, dass der gesamte restliche Text vergessen wird?

Ich habe mich ein paar Mal gefragt, was sich Christa Zöchling gedacht hat, als sie ihren Text über die FPÖ-Veranstaltung am Viktor-Adler-Markt vergangenen September schrieb. Jeder, der Zeilen wie diese schreibt, sollte heutzutage doch wissen, welche Reaktionen auf solche Aussagen kommen können und sehr wahrscheinlich auch kommen werden:

„Es ist zum Heulen: die Menschen, die ihm (Strache) zukreischen und wie sie aussehen. Es sind die hässlichsten Menschen Wiens, ungestalte, unförmige Leiber, strohige, stumpfe Haare, ohne Schnitt, ungepflegt, Glitzer-T-Shirts, die spannen, Trainingshosen, Leggins. Pickelhaut. Schlechte Zähne, ausgeleierte Schuhe."

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Zöchlings Text war generell sehr emotional geschrieben. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich im vergangenen Sommer und Herbst selbst in dieser Stimmung war: An dem Punkt, an dem Emotionen einen Text schreiben und nicht Texte Emotionen bündeln. Weil in Traiskirchen ein Mann von seinem getöteten Cousin erzählt hat, weil Menschen überfordert am Bahnhof gestanden sind, nach teilweise monatelanger Reise, nicht wussten, wohin, und einfach ankommen wollten. Und gleichzeitig wettert die FPÖ. Ich kann verstehen, wie Christa Zöchling diesen Text, wütend, frustriert, getippt hat.

Dass ich das so nicht getan hätte, kann ich im Nachhinein ganz einfach sagen. Ich würde auch sagen, ich hätte nicht getwittert, was Justine Sacco 2013 getwittert hat. Der Tweet, der sie ihren Job gekostet und ihr Leben ruiniert hat: „Going to Africa. Hope I don't get AIDS. Just kidding. I'm white!" Und doch—wie oft habe ich auch schon so einen Blödsinn geschrieben. Justine Sacco war nicht die Präsidentin der USA, als sie diesen Tweet geschrieben hat. Sie hatte 170 Follower auf Twitter. Wenige Stunden später war sie weltweit auf Platz 1 der Twitter-Trends. Dieser Fall ist wahrscheinlich unvergleichlich.

Ende Januar hat dann auch ein (für österreichische Verhältnisse) Shitstürmchen den Falter getroffen. Der hat sich etwas einfallen lassen, über das man zugegebenermaßen streiten kann. Er hat sich zur Berichterstattung über den Akademikerball überlegt, einen als Burschenschafter verkleideten Journalisten zur Gegendemonstration zu schicken. Dass ein Text, bei dem am Ende die Erkenntnis steht, dass Menschen, die gegen den Akademikerball demonstrieren, keine Burschenschafter mögen, vielleicht eher unnötig ist, kann man durchaus diskutieren.

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Chefredakteur Florian Klenk sowie der verkleidete Journalist Lukas Matzinger mussten sich dafür allerdings nicht nur tagelang anhören, dass es eine dumme Idee war, sondern auch, dass der Falter den Artikel geschrieben hätte, um eine rechte Klientel zu bedienen—und überhaupt sämtliche journalistischen Prinzipien vergessen hätte. Vom Hundertsten ins Tausendste. Und auch persönlich ist es geworden: „Ich glaub ja, dass der Redakteur ohne Burschimütze genauso unbeliebt bei Linken ist wie mit." Ich glaube nicht, dass diese Empörung dem Image des Falter außerhalb der Twitter-Blase nachhaltig geschadet hat. Und vielleicht nicht einmal innerhalb.

Nicht jeder wütende Facebook-Post ist ein Shitstorm. Aber wenn sich tatsächlich der Schwarm auf ein Unternehmen, ein Produkt, einen Autor oder ein Medium konzentriert, kann er die Geschicke dieser einen Sache, dieser einen Person tatsächlich zum Guten oder zum Schlechten verändern. Wird ein Shitstorm zusätzlich von Medien aufgegriffen, wird das Zielobjekt schnell zusehen, wie es aus der Situation herauskommt. Zum Beispiel, indem es doch kein Halal-Fleisch verkauft, wie im Fall von Spar. Einzelne Personen wegen eines Fehlers an den Pranger zu stellen, ist da etwas anderes: Rebecca Black bekam wegen eines überdurchschnittlich schlechten Lieds Morddrohungen, Christa Zöchling wurde von der FPÖ und unzensuriert.at fertiggemacht und von der anderen Seite des Spektrums wurde ihr Lookismus und Rassismus vorgeworfen.

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Den Falter wollte laut Twitter und Facebook niemand mehr kaufen (oder nur noch einmal, um diesen schlimmen Artikel zu lesen), Menschen fragten sich (und den Chefredakteur), ob er jetzt für ein neues Zielpublikum schreibe und sahen das Image der Zeitung zerstört. Was in einem solchen Moment vermutlich hilft: Dem Profil ging es beim Leitartikel „Weniger nett wäre besser" im Januar nicht anders. Die Presse erlebte dasselbe bei dem Artikel über Bestrafung in der Kindererziehung Ende 2014. Es darf und muss zu Widerstand führen, wenn solche Artikel erscheinen—das gilt natürlich genauso für Artikel, die bei uns veröffentlicht werden—man muss sich aber auch bewusst sein, dass diese Empörung, wenn sie aus dem Ruder läuft (und genau das tut jeder Shitstorm per Definition) eben auch Karrieren und Leben zerstören kann.

Ich bin selbst eine, die schnell „Empört euch!" schreit. Ich schreibe auch in Artikeln darüber—dort wird auf mein Autorenprofil verlinkt, auf meinen Twitter-Account, meine Mail-Adresse ist leicht herauszufinden. Wenn jemand Kritik an meinen Texten hat, kann er oder sie mir sehr einfach direkt schreiben. Und ich freue mich über konstruktive Kritik. Aber dann gibt es jene Menschen auf Facebook oder Twitter, die meistens ohne Klarnamen (das ist wieder eine neue Diskussion) gegen einen losstürmen, Texte konsumieren und hassen und dagegen aufbegehren, ohne sich selbst zu exponieren.

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Mit Kritik hat das oft nicht mehr viel zu tun. Und dem attackierten Journalisten bringt es auch nicht viel bei. Ja, beim nächsten Akademikerball wird sich wohl niemand als Burschenschaftler verkleidet in die Gegendemo stellen. Aus. Aber das hätte wohl auch dann niemand ein zweites Mal gemacht, wenn die Aktion gelobt worden wäre; im einen Fall aus Angst vor dem Shitstorm und im anderen aus Angst davor, als Nachmacher dazustehen. Bestimmt wird durch solche Hasstiraden auch oft eine größere Diskussion in Gang gesetzt. Und bestimmt sind sich viele oft nicht bewusst, dass ein einzelner „J'accuse"-Tweet solche Auswirkungen haben kann, wenn er Teil oder Anstoß einer großen Empörung ist.

Auf meinem Flur saß ein Ressortleiter, der sich köstlich über Leserbriefe amüsieren konnte.

Dabei geht es hier um keine Rebecca Blacks, Justine Saccos oder Christa Zöchlings. Ich kann mich im Netz ganz schnell dadurch profilieren, dass ich mich über einen von anderen gemachten Fehler empöre. Auch, wenn ich im echten Leben niemals jemanden derart an den Pranger stellen würde. Würden 10 Menschen im echten Leben mit solchen Beschimpfungen auf jemanden losgehen, ich würde nicht auch noch mit dem Finger auf die Person zeigen. Doch im Internet kann ich mich beweisen. Im Internet ist jeder Ankläger irgendwie der erste und einzige, weil er alleine vor dem Schirm sitzt und eine Art Zweiergespräch mit den Angeklagten zu führen glaubt—auch, wenn bereits Tausende mitlesen oder sogar aktiv mitmachen.

Hier können wir die Instanz sein, die über einem Medium steht, über einer Redakteurin oder einem Redakteur, die oder der seit Jahrzehnten gute Arbeit macht. Ich kann sagen, dass ich es viel besser gemacht hätte und bekomme die Likes und Retweets, die mich darin bestätigen, dass das, was ich gerade gepostet habe, richtig ist, gut ist, toll ist, Likes, Retweets und Follower bringt. Online ist es leicht, jemanden zur eigenen Profilierung zu attackieren. Auch, wenn wir uns im realen Leben mit einer solchen Bestätigung nie brüsten würden. Aber wenn ein Posting geliket wird, dann muss man doch etwas richtig gemacht haben. Oder?

Hanna kackestürmt auf Twitter: @HHumorlos.