
Seit mittlerweile zwei Jahren schleppe ich meinen verfallenden Körper mal mehr, mal weniger verkatert durch die Straßen in diesen Moloch, um mir mein Headset wie eine eiserne Schelle anzulegen und für Stunden mit hängenden Schultern vorm PC verharrend meiner armseligen Tätigkeit nachzugehen, damit mir einmal im Monat großzügig ein Nasenrammel aufs Konto geschmiert wird. Wie bei allem Neuen war ich anfangs sehr fasziniert von meiner ersten Fixanstellung. Beim Sklavenhalter um Urlaub ansuchen zu müssen, um Freigang zu betteln, weil ihnen meine Lebenszeit gehört. Ich war fasziniert vom Bürohumor, vom Teppichboden, vom Pausenraum, den Zimmerpflanzen, den frechen Spruchtassen, und die ausgedruckten Aufforderungen zu Reinlichkeit und Ordnung in Comic Sans MS, untermalt mit passenden Cliparts, ließen mich staunend erschaudern. Auch diese neue Spielart von menschlicher Dummheit, die ich durch die Anrufer kennenlernte, war beeindruckend, diese ganze trostlose Atmosphäre eine völlig neue Erfahrung.Das Inbound-Callcenter als Arbeitsplatz, vermutlich schlechter bezahlt als ein Job bei McDonalds, aber mit höherer Hochschulquote. Das Callcenter als geheimer Treffpunkt gescheiterter Akademiker des 21. Jahrhunderts. Versteckt hinter den Fenstern unauffälliger Bürogebäude in dieser grauen Stadt sitzen sie also, die Künstler, Schriftsteller und Master der Geisteswissenschaften, in schlecht beleuchteten Räumen und verrichten in den Sweatshops des Customer Service roboterhafte, eintönige, verbale Fabriksarbeit, indem sie stundenlang dieselben Sätze wiederholen wie ein modernes Mantra zum Zweck der Selbstauslöschung, wie ein klagendes Sklavenlied. Ohne Aussicht auf Aufstiegsmöglichkeiten oder persönliche Weiterentwicklung sitzt man mit leeren Augen im Großraumbüro zusammen, hin und wieder schleppt sich jemand mit schweren Schritten zur Zigarettenpause oder zum Snackautomaten, um sich mit einem nährstofflosen Sandwich langsam hinzurichten.
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