Wir haben Religionswissenschaftler gefragt, was sie von Kollegahs „Armageddon“ und „Apokalypse“ halten

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Wir haben Religionswissenschaftler gefragt, was sie von Kollegahs „Armageddon“ und „Apokalypse“ halten

Kollegahs Epos-Tracks sorgen bei unserem Experten nicht gerade für Begeisterung.

Foto: Screenshot von YouTube aus dem Video „Apokalypse" von Bosshaft TV

Unter all den Songs des Rappers Kollegah gibt es zwei, die deutlich herausstechen: „Armageddon" und „Apokalypse". Da lässt er all die Geschichten über Zuhälterei, Fitnessstudios, Luxusmarken, Drogendeals und Bosslife hinter sich, um Geschichten epischen Ausmaßes zu erzählen. Es geht jedes Mal um nichts Geringeres als die Rettung der Welt durch einen übermenschlichen Helden. Munter werden dann Erzählungen aus religiösen Texten, Okkultes und Verschwörungstheorien zu einem gerappten Actionfilm vermischt, in dem pausenlos Anspielungen, Verweise und Symbole auf den Hörer einprasseln—verpackt in gewohnt cleveren und technisch makellosen Wie-Vergleichen und endlos langen Reimen.

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Das Musikvideo zu „Armageddon" hatte Kollegah Ende 2013 veröffentlicht, um seine erste Million Facebook-Likes zu feiern. Neun Minuten lang rattert er unermüdlich seine Erzählung runter, die du erst vollends erfassen kannst, wenn du nebenbei fleißig Rap-Genius oder Wikipedia bemühst. Die Kurzform: Das Ende der Welt steht bevor, dunkle Mächte haben sämtliche Regierungen übernommen, überwachen und unterdrücken alle Menschen und führen Kriege im Namen eines „Zyklopenwesens". Nur der Held weiß, was zu tun ist. Also sucht er den einäugigen Bösewicht auf, um ihn einen Pfahl in die Optik zu schieben. Die Welt geht dann trotzdem vor die Hunde, der Track heißt ja nicht umsonst so.

Im November 2016 folgte dann „Apokalypse". Inzwischen hat Kollegah fast zwei Millionen Facebook-Fans und packt noch mal ein paar Lines mehr aus. Und so erzählt er 13 Minuten lang in vier Akten, wie die Welt in Trümmern liegt und der Zyklop nur der Wegbereiter für ein viel größeres Übel war: „Gog und Magog—die Todessöldner." Jetzt rennen finstere Kreaturen durch die Landschaft und zerstören den Rest. Wieder muss der Held einschreiten, kämpft erst in Jerusalem und später nochmal in London gegen das Böse. Obwohl ihm der Endgegner im Finale entwischt, leben am Ende alle Menschen ungeachtet ihrer religiösen Vorlieben zusammen und wagen einen Neuanfang.

Dabei vermischt er inhaltlich laut Kathrin Kohle, Religionswissenschaftlerin der Uni Heidelberg verschiedene Quellen. Das im zweiten Akt angesprochene Babylon etwa ist in der Bibel der Antagonist des Volkes Isreal: „Die Babylonier zerstören Jerusalem, deportieren viele Juden und werden schließlich für all das bestraft, so die Darstellung." Babylon ist demnach Symbol für alles Schlechte in der Welt. Überhaupt bleibt Kollegah im kompletten Track den religiösen Vorstellungen einer Apokalypse treu—nur, dass jetzt eben das internationale Bankwesen mit dem Bösen assoziiert wird.

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Insgesamt klingt das alles durch die vielen Verweise auf Illuminaten und Tempelritter wie eine ambitionierte Kollegah-Fanfiction nach dem Vorbild von Dan Brown—nur eben geschrieben von Kollegah höchstpersönlich. Weil ich bei all dem Gerede über Babylon und Todessöldner leicht überfordert war, habe ich mich mit noch einem Religionswissenschaftler getroffen, um mit ihm über beide Songs zu reden. Guido Nerger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin und hatte—bis ich ihm die beiden Links geschickt hatte—sich noch nie etwas von Kollegah angehört. Gerade „Apokalypse" findet er bemerkenswert. Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen, sowohl politischen als auch kulturellen Entwicklungen in Deutschland und allgemein den westlichen Gesellschaften sei das Video heikel und diskutabel: „Vor allem, wenn ich mir die Kommentare dazu durchlese, kann man das Video auch tatsächlich als gefährlich betrachten", so Nerger.

Dabei müsse man aber klar zwischen der Privatperson und ihrer Kunst unterscheiden. Einerseits ist da der Künstler, der durch sein Werk eventuell eine Message verbreiten will. Andererseits müsse der tatsächliche Kunstschaffende dahinter nichts mit dieser Inszenierung zu tun haben. So glaube Nerger auch nicht, dass David Bowie ein Außerirdischer oder Astronaut gewesen sei, nur weil der sich wiederholt in seiner Kunst als ein solcher inszenierte. Und dennoch: „Das Bewusstsein für diese Art spielerischer Kreativität geht der Ästhetik und vor allem der Inszenierung des Videos ‚Apokalypse' meiner Meinung nach allerdings völlig ab: viel eher ist das Video grundsätzlich ironiefrei und will sich als ernsthaft verstanden wissen."

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Besonders interessant sei dabei der zweite Akt, in der der Künstler allerlei Motive aus verschiedenen kulturellen Traditionen und Kontexten zu einer wirren Mixtur vermischt. Die Inhalte wären „verkürzt, vereinfacht und parallelisiert" und  werden „dem Zuschauer unter dem Label der ‚Offenbarung', der göttlich legitimierten ‚Wahrheit' verkauft und regelrecht aufgezwungen." Aber dieses Vorgehen, ein undurchsichtiges Geflecht aus Scheinkausalität, Fehlschlüssen und Verallgemeinerung zu schaffen, könne man auch als künstlerische Freiheit bezeichnen.

In Hinblick auf die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sei das jedoch sehr gefährlich. Hier ginge es nicht um ein friedliches Miteinander und Diskurs, sondern um die eine Wahrheit und nur die dürfe zählen: „Ein solches Vorgehen ist besonders vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts (Wahl-, Meinungs- und Religionsfreiheit; Gleichberechtigung von Frau und Mann; planetarisches und ökologisches Bewusstsein etc.) absolut regressiv und gefährlich konservativ."

Zwar blitzt immer wieder kurz Ironie durch (etwa die Duke Nukem-Pose im ersten Akt), doch wirke dadurch der Rest umso ernster. Der Protagonist des Videos würde „völlig ironiefrei" als Übermensch inszeniert. Sein Kampf gegen das Böse, sprich die dämonisierte Hochfinanz, würde in einer „völlig unkritischen Darstellung" einer Bücherverbrennung münden, um die Menschheit von allem Bösen zu befreien. Nerger dazu: „All diese Motive sind in ihrer Anordnung meiner Meinung nach lebensfeindlich und können sogar tendenziell als faschistisch interpretiert werden, da sie die wesentlichen Topoi faschistischer Ideologie ohne kritischen Kommentar wiederkäuen."

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Gerade im Vergleich zum Vorgänger „Armageddon" wirke „Apokalypse" wesentlich nachdrücklicher. Denn den habe Nerger als viel leichter wahrgenommen. Beispielsweise die Szene, in der der Held einen Stock wirft, um die Wachen abzulenken, fand er total komisch. Und auch sonst fühle sich die ganze Geschichte um einen Zyklopen als ultimativen Endgegner viel unterhaltsamer gemeint an. Die Story von „Apokalypse" kann Nerger zwar auch nicht zusammenfassen, ohne dabei breit zu grinsen, aber dennoch mahnt er, dass Leute das alles tatsächlich ernst nehmen: „ Auf Grund der weltpolitischen aktuellen Krisen und der permanenten Überreizung durch die Medien wenden sich immer mehr Menschen komplexitätsreduzierenden und welterklärenden Theorien zu."

Die unüberschaubare Vielfalt würde vereinfacht und auf altbekannte Muster zurechtgestutzt werden, in denen oft ein heldenhafter Führer den Weg weist. Also genau das, was Kollegah in seinen beiden Tracks mit seiner Figur auch macht. Viele Kommentare hätten Nerger gezeigt, dass oft nicht mehr zwischen Realität und künstlerischer Inszenierung als Fiktion unterschieden wird—etwas, dass dem Künstler hier durchaus bewusst zu sein scheint. Er bediene sich an sogenannten Verschwörungstheorien um sie unkritisch mit historischen Hintergründen zu vermischen und als Wahrheit zu verkaufen: „Damit holt er all die ab, die auf Grund ihrer eigenen Verunsicherung unkritisch Halt in einfachen und martialischen Welterklärungen suchen und finden."

Und nun wird Nerger deutlich. Obwohl Kollegah unter dem Deckmantel der künstlerischen Selbstinszenierung im Video gegen Geschäftsmänner kämpft, sei er im Grunde doch selbst einer. Mit Songs wie eben „Apokalypse" nehme er in Kauf, auch Hörer aus der postfaktischen Bewegung zu gewinnen, um Geld zu verdienen: „Damit liebäugelt er mit rechtskonservativen und extremen Tendenzen, obwohl er selbst—der Mensch jenseits des Künstlers—diese Positionen gar nicht vertreten muss."

Ihm ist auch aufgefallen, dass Kollegah am Anfang noch vom Talmud, einer Sammlung jüdischer Schriften spricht. Doch am Ende, wenn die Welt gerettet ist und Buddhisten, Christen und Moslems friedlich zusammenleben, ist keine Rede mehr vom Judentum. Ob das nun ein Zufall, Provokation oder subversiv gemeint ist, kann er nicht sagen. „Apokalypse" sei insgesamt ein Manifest narzisstischer Selbstüberschätzung, in welchem unkritisch mit rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Motiven gearbeitet werde: „‚Wahrheit', ‚Offenbarung', ‚Erkenntnis', ‚Prophetie' oder gar ‚Weisheit' sind nur die Masken eines scheinheiligen Macho-Propheten, dem man leichtgläubig folgen kann, ohne in die Verlegenheit kommen zu müssen, selbst zu denken. Das ist das Gefährliche."

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