Das ist die die DDR-Agentenserie, die James Bond wie ein Weichei aussehen lässt

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Das ist die die DDR-Agentenserie, die James Bond wie ein Weichei aussehen lässt

Die Serie 'Front ohne Gnade' war nicht nur action-geladen, sondern auch arschlustig—auch wenn sie das eigentlich nicht sein wollte.

"Unser Plan ist verraten!" Mit wutverzerrtem Gesicht schleudert der SS-Obersturmbannführer seinen Stiefel mit voller Wucht in den Kamin. "Ein Meter fünfundachtzig groß! Dunkelblond, blaue Augen, verbindliches Wesen! Vier Zentimeter lange Narbe am Hals, die er nicht verstecken kann! Zum Glück nicht verstecken kann!"

Das ist die Beschreibung von Hermann Anders, der furchtloseste aller furchtlosen kommunistischen Superspione, und es ist gleichzeitig der Beginn des Vorspanns von Front ohne Gnade, der Fernsehserie, die die ostdeutsche Antwort auf James Bond sein sollte. Aber weil das nicht nur eine deutsche, sondern eben eine deutsch-demokratisch-republikanische Produktion war, hat das Endergebnis mit James Bond ungefähr so viel zu tun wie der durchschnittliche Tatort mit Stirb Langsam. Was aber nicht heißen soll, dass die Serie unbedingt schlechter ist—im Gegenteil.

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Hermann Anders in genialer Verkleidung

Ich bin vor ein paar Jahren über diese skurrile Serie gestolpert, als ich gerade in Damaskus lebte und pleite war. Irgendein syrischer Fernsehsender hatte ein Kontingent alter DDR-Produktionen aufgekauft und brauchte jetzt jemanden, der die deutschen Dialoge für Untertitel übersetzen konnte. Und so kam es, dass ich mehrere Tage lang in einem Zimmer mitten in der Altstadt von Damaskus saß und in die aufregende Welt kommunistischer Spione, grausamer SS-Offiziere und skrupelloser Westspitzel eintauchte.

Das ist nämlich das Erste, was Front ohne Gnade so völlig anders als die westlichen Techno-Spionage-Klamotten macht: Die Serie spielt nicht in der Gegenwart, sondern spannt in ihren 13 Folgen einen weiten Bogen quer über die gefährliche erste Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Wir begegnen dem Helden Anders (gespielt von Jürgen Zartmann, der später auch mal bei Verbotene Liebe war) und seinem Team aus "Kundschaftern" (so nannten sie bei der KPD wohl ihre Spione) zuerst im Jahr 1934, wo sie gerade versuchen, dem eben aus der Taufe gehobenem Nazi-Staat möglichst viele Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Dabei werden sie nicht nur von dem erzbösen SS-Obersturmbannführer Maas (Alfred Struwe) gejagt, sondern geraten auch noch mitten in den blutigen Machtkampf zwischen SA und SS.

Alfred Struwe spielte den SS-Obersturmbannführer Maas (einer von den Bösen)

Nach vier Folgen macht die Serie einen Zeitsprung, und jetzt verfolgen wir Anders, wie er im spanischen Bürgerkrieg die deutsche Legion Condor nach allen Regeln der Kunst sabotiert. Wieder ein paar Folgen später und unsere Helden kraxeln plötzlich in der Kaukasus-Offensive der Wehrmacht herum. Weil der auch hierher versetzt wurde, geht das Katz-und-Maus-Spiel mit dem SS-Mann Maas jetzt mitten im Weltkrieg weiter. Im letzten Viertel schließlich hat sich das Blatt gewendet, der Krieg ist vorbei, Maas spioniert jetzt für die CIA, und Anders und seine Leute müssen seine Sabotageversuche in der sowjetischen Besatzungszone verhindern, damit die Sowjets in Ruhe Uran für ihre Atombombe abbauen können.

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Anders und Partner spionieren etwas aus

Ordentlich Material also, und weil vieles davon auf den Memoiren echter Personen basiert, ist das historisch tatsächlich ziemlich interessant. Die Kostüme und Geräte sehen echt aus, die Landschaften auch, und technisch wurde das Ganze von dem verdienten DDR-Regisseur Rudi Kurz auf einem ziemlich hohen Niveau umgesetzt. Außerdem ist es spannend: Dauernd wird geschlichen, geschossen und irgendwas in die Luft gesprengt, aber weil die Action ziemlich realistisch gemacht ist, wirkt das alles viel echter als das westliche Pendant.

Das funktioniert leider immer nur so lange, bis die Schauspieler ihre Münder aufmachen. Aus irgendeinem Grund hielt man in der DDR nämlich offenbar realistische Dialoge und dreidimensionale Charaktere für genauso überflüssig wie explodierende Füllfederhalter. Hermann Anders zum Beispiel sagt eigentlich grundsätzlich nur Sätze wie "Nur weiß ich nicht, ob die versteckte Höhle groß genug ist für unser Vehikel" oder "Die Liste muss von uns aufgespürt werden, sie ist für uns der wichtigste Angelpunkt", und die anderen Kommunisten sind auch nicht viel besser. Das kann aber auch daran liegen, dass man in die Serie, die ja immerhin nur fünf Jahre vor dem Mauerfall gesendet wurde, noch einmal richtig viel Propaganda quetschen wollte, so dass sie den Figuren praktisch aus den Ohren quillt.

Anni (Petra Blossey) ist das Stubenmädchen und wird bald eine wichtige Rolle spielen!

Das alles hat aber den ziemlich schrägen Effekt, dass man den Bösen viel lieber zuschaut als den Guten: Während die Kommunisten hölzerne, eindimensionale, praktisch nie an irgendwas zweifelnde Robotermenschen sind, haben die Nazis und anderen Bösewichter die ganze Bandbreite niederträchtiger Emotionen zur Verfügung: Sie sind trinksüchtig, jähzornig, hinterlistig und vulgär, und man freut sich wie ein Schneider, wenn sie wieder im Bild sind.

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Natürlich ist Maas ein grundböser SS-Obersturmbannführer—aber er ist eben auch der einzige in der Serie, der mal einen Witz machen, rauchen und dazu Champagner trinken darf. Weil er die ganze Verkommenheit der nicht-kommunistischen Lebensweise darstellen soll, sieht sein Leben automatisch deutlich spaßiger als das der braven Kommunisten aus. Für die ist das höchste der Gefühle ein "Arbeitersekt" (Bier mit Limo, glaube ich) im Tiergarten—an dem sie aber nur nippen, weil sie für die Mission einen klaren Kopf behalten müssen, versteht sich. Heiner und Anni, das junge Liebespaar in der Serie, scheinen sich überhaupt nur verliebt zu haben, damit sie einander andauernd gequält und trotzdem entschlossen versichern können, dass der Auftrag vorgehe und sie ihre Zuneigung jetzt nicht ausdrücken könnten. Und selbst wenn sie mal Zeit hätten—man hat das deutliche Gefühl, dass Orgasmen, genau wie jede andere Art von Spaß, irgendwie inhärent unkommunistisch sind.

Der edle Genosse Pablo, gespielt von Gojko Mitic

Abseits von all der ermüdenden Propaganda ist der Perspektivwechsel dann aber doch ziemlich interessant: Zuerst einmal, weil die kommunistischen Widerständler gegen das NS-Regime in der westlichen Geschichtsschreibung allzu oft eher als Randnotiz behandelt wurden.

Und auch, weil man eben einen anderen Blick auf die Genese des Kalten Krieges bekommt: In der DDR-Serie sind die westlichen Mächte im Grunde genauso skrupellos wie die Nazis. Sie schaffen die schlimmsten Nazi-Verbrecher und gewissenlosesten deutschen Wissenschaftler straffrei aus dem Land, nur um sich einen Vorteil gegenüber der eigentlich noch verbündeten Sowjetunion verschaffen. Und zumindest das mit den Wissenschaftlern—nun ja, das ist halt wirklich so passiert. In einer Szene erklärt ein MI6-Agent dem Ex-SS-Mann auch ganz nonchalant, dass die Alliierten eigentlich kurz davor gewesen waren, die Atombombe auf Deutschland abzuwerfen, obwohl dabei auch die Nachbarländer an den Folgen gelitten hätten—und auch das ist nicht ganz unwahr.

Alles in allem lohnt es sich ganz ungemein, sich alle Folgen dieses Juwels ostdeutscher Filmkunst anzuschauen (die Vorgänger-Serie Archiv des Todes soll sogar noch besser sein). Die Mischung aus packender Action, geschichtlicher Detailverliebtheit und ausnahmslos unfreiwilliger Komik verspricht stundenlangen Spaß. Und ihr bekommt Einblick in eine Denkweise, die es so wohl nie mehr geben wird: Voller kameradschaflticher Pflichterfüllung, festem Glauben an ein besseres System und tiefer, abgrundtiefer Verachtung für jede Art von Lebensfreude oder Humor. Ein Juwel, wie gesagt.