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Hart aber Fair: Beim zweiten Mal ist auch nichts besser

Die Gender-Debatte im Clickbait-TV.
Bild: © WDR/Oliver Ziebe

Im März lief in der ARD eine Hart aber Fair-Sendung mit dem Titel „Nieder mit den Ampelmännchen – Deutschland im Gleichheitswahn", zu Gast waren Wolfgang Kubicki (FDP), weil er ein Mann ist, Sophia Thomalla, weil sie eine Frau ist, Birgit Kelle, Autorin von Dann mach doch die Bluse zu und GenderGaga, Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, und Anne Wizorek, Feministin, Autorin und Initiatorin von #Aufschrei. Die Sendung war, wie man sich bei den Teilnehmern denken kann, schwierig. Kubicki und Kelle pöbelten gegen Wizorek und Hofreiter und wurden persönlich, Thomalla erfuhr live im Fernsehen, dass Frauen weniger verdienen als Männer, und Frank Plasberg, der Moderator, witzelte sich durch Unisex-Toiletten, die Ungleichverteilung der Geschlechter in den Gender Studies und Fotos von weiblichen Hirschen in der Eifel, alles eher auf „Haha, schau mal diese Emanzen. Wollen doch tatsächlich Hosen tragen."-Niveau. Die Sendung wurde im Nachhinein schwer kritisiert, der WDR-Rundfunkrat bewertete sie als „unseriös" und sie wurde nach sechs Monaten aus der Mediathek gelöscht. Daraufhin wurde dem WDR vorgeworfen, vor Frauenverbänden einzuknicken, die Empörung schwappte höher und jetzt ist die Sendung wieder verfügbar. Vorher wurde dann aber beschlossen, die gleichen Gäste nochmal einzuladen, diesmal unter dem Titel „Der Gender-Streit: Was darf zu Mann und Frau gesagt werden?" Und die lief dann Montagabend.

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Zusätzlich hatte man noch den WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn dazu gebeten, der versuchte, die Löschung und Wiederherstellung der Sendung in der Mediathek zu rechtfertigen, von Hofreiter zu Recht als eine „ungewöhnlich ungeschickte Reaktion" bezeichnet. Antworten auf die grundsätzliche Frage, inwieweit die Löschung dieser Sendung jetzt Zensur sei oder nicht, gingen im Meinungsfreiheitsschreien von Kubicki und Kelle unter. Dass die Mediathek kein Archiv ist, in dem alles für die Ewigkeit vorgehalten wird und auch Redaktionen Fehler machen können, ist egal. Kubicki war sich nicht zu schade, das Ganze mit der Situation in Russland und China zu vergleichen, und Kelle sah sich als Opfer einer Verschwörung von Genderisten und „irgendwelcher Minderheiten, die denken, sie würden unterdrückt."

Anne Wizorek wurde schon wie in der ersten Sendung immer wieder unterbrochen, hatte aber diesmal mit Sybille Mattfeldt-Kloth vom niedersächsischen Frauenrat immerhin Unterstützung. Zusammen mit Hofreiter diskutierten sie aber leider auf komplett unterschiedlichem Niveau als Kelle und Kubicki. Weder Plasberg noch Kelle und Kubicki schienen die Unterschiede zwischen Gender, Gender-Mainstreaming und Gender Studies bewusst zu sein oder zu interessieren. Die „angeblich unterdrückten Minderheiten" waren Kelle jedenfalls ein wirklich großer Dorn im Auge, den sie immer wieder erwähnte. Anscheinend ist dieser Feminismus nämlich nur ein Portal, mit dem die guten alten Geschlechtergrenzen aufgeweicht werden sollen (Genderismus!). Kelle hat recherchiert, dass Menschen denken, es gäbe unzählige andere Geschlechter (Genderismus!) und eigentlich geht es ihrer Meinung nach ohnehin nur um sexuelle Orientierung (Genderismus!) und wahrscheinlich die schreckliche Homolobby (Genderismus!). Die Zusammenhänge sind zugegebenermaßen unklar.

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Thomalla verbrachte den Großteil der Sendung damit, sich ihre Haare zu ordnen, von Kubicki angehimmelt zu werden und als Anlass einer Diskussion über Expertenrunden zu dienen. Es stellt sich nämlich heraus, dass es reicht, eine „Betroffene" zu sein, um an einem Expertengespräch über Gleichstellungspolitik teilzunehmen. Wizoreks Einwand, dass sie in der Schule Physik hatte, aber trotzdem nicht zu Podiumsdiskussionen über Kernspaltung eingeladen wird, wurde deswegen auch eher verlacht. Dass man damit auch die Wissenschaftlichkeit von Gender Studies und Feminismus verlacht, ist keinem aufgefallen. Immerhin durfte Thomalla noch erklären, dass sie keine Quote braucht, weil „wir eine Frau an der Spitze der Politik haben". Das Playboy-Modell in zweiter Generation war dann für Kelle auch ein Beispiel für die Generation junger Frauen. Wizorek, die ein Buch zum Thema geschrieben hat, natürlich nicht. Die Kritik, dass jemand wie Thomalla, die überhaupt nicht qualifiziert ist, schon zum zweiten Mal zu einer Sendung über Gleichstellungspolitik und Gender-Mainstreaming eingeladen wird, statt ihren Platz an eine tatsächliche Expertin oder einen Experten zum Thema zu vergeben, ging demenstprechend auch unter. Immerhin hatte sie bereits in der letzten Sendung gelernt, dass Frauen weniger als Männer verdienen und dass das generische Maskulinum existiert. Vielmehr wurde die Kritik an Thomalla auf persönlicher Ebene umgedreht und Wizorek und Mattfeldt-Kloth mussten sich plötzlich dafür verteidigen.

Und dann kam der Moment, an dem Frank Plasberg wirklich ernst wurde. Betroffenheit machte sich breit. Nicht weil Kubicki und Kelle behaupteten, der Gender Pay Gap würde nicht existieren, Frauen würden also nicht wenigstens 7% weniger als Männer verdienen, wie es OECD und das Statistische Bundesamt angeben (Genderismus!), sondern weil Sybille Mattfeldt-Kloth behauptete, es würde sich bei Hart aber Fair um eine Unterhaltungssendung handeln. Eine Unterhaltungssendung! Dem Moderator stiegen Zornestränen auf. Deswegen war er auch so gut darin, Frau Mattfeldt-Kloth zu erklären, dass es sich bei diesem TV-Analog zu Clickbait vielmehr um eine ernsthafte politische Expertenshow handele, in der aber auch mal gelacht wird. Über Feminismus.

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Titelfoto: © WDR/Oliver Ziebe