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Ganz und gar kein „Tschiller“: Die Wahrheit über Til Schweiger

Der nervös erwartete Auftritt des Universalunterhaltungsgenies Til Schweiger als neuer Komissar im unkaputtbaren deutschen Lieblingswochenausklang Tatort ist zu einer unfreiwilligen Offenlegung seiner schizophrenen Karriere geworden.

© NDR/Marion von der Mehden

Der nervös erwartete Auftritt des Universalunterhaltungsgenies Til Schweiger als neuer Komissar im unkaputtbaren deutschen Lieblingswochenausklang Tatort ist zu einer unfreiwilligen Offenlegung seiner schizophrenen Karriere geworden.

Kein noch so unterstützenswerter Versuch, dem teutonischen Sonntagabendpublikum irgendetwas Abwechslungsreicheres als altbekannte, ewig wiederbelebte forensische Ermittlungen zu präsentieren, hat jemals funktioniert oder wird jemals funktionieren. Offensichtlich braucht der Germane nach einem allzu kleinen Häppchen Freiheit am Wochenende schnell wieder den vertraut ernsten Wachrüttler für das erneute Funktionieren an den folgenden Werktagen. Aber keine Angst, liebe arbeitsamen Bundesbürger: Der nächste Tatort kommt bestimmt. Und wenn ganz Europa bereits im Chaos versunken ist. Die steten Quoten beweisen nicht weniger: Um hierzulande das disziplinierte Wesen, an dem immerhin der Südeuropäer mindestens genesen soll, aufrechtzuerhalten, braucht es einige Felsen in der Brandung des Wochenendes. Fußball etwa. Der Geruch von frisch gemähtem Rasen. Eine früh im Frühling abgeschickte Steuererklärung. Und eben den Tatort. Keine nicht-zielführenden Telenovelas—wie sie dem schwärmerischen mediterranen Gustus zu entsprechen scheinen—, mehr ernste, menschliche Konflikte. Mord und Totschlag, aber im Rahmen des Gesetzes. Verbrechen und Strafe. Schuld und Sühne. Das ist ein zutiefst deutsches Thema.

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Und was könnte all das noch toppen? Tatort UND Til Schweiger. Wie wir gesehen haben, schaltet fast jeder sechste Bundesbürger ein, wenn sich der immerjunge Nachwendevolksschauspieler Schweiger in Deutschlands Königsdisziplin und einzigem echten Quotengaranten (seit Gottschalks Wetten, dass..-Abschied) versucht. Til Schweiger ist Nick Tschiller, aber vor allem: Nick Tschiller IST Til Schweiger. Der nuschelige kaputzentragende Komissar mit der harten Actionjobschale und dem weichen Papakern wurde zu einer Meditation über die zwiegespaltene Karriere des Deutschen, ohne dass seine Landsleute sie vielleicht bemerkt haben. Für das heimische Publikum ist er eigentlich nur noch bekannt als erfolgsverwöhnter Lieferant von belanglosen, menschelnden, moralisierenden RomComs. In die gehen die Deutschen am liebsten ins Kino, wenn nicht gerade Sonntagabend ist. Der omnipräsente Til hat also soeben die letzte Lücke geschlossen, die es für ihn hier gab.

Doch eine zweite Seele schlägt in der Brust des Tilman Schweiger aus dem ach so beschaulichen Freiburg i. Breisgau und sie konnte sich wie so oft erst in Hollywood Befriedigung verschaffen, durch diesen Karrieresprung, der endlich die beengenden nationalen Ketten sprengen lässt: Die dunkle Seite des Mondes, der um Tils Karriere trabantiert, läss ihn als eisenharte, kompromisslose, niemals lächelnde Testosteronschleuder aufgehen. In Filmen wie Die Ersatzkiller (1998), King Arthur (2004) oder Far Cry (2008) hat er sich einen amerikanischen Ruf aufgebaut, mit dem er endlich den ganz harten Hund rauslassen darf. Das zeigt auf, was ihm hier immer gefehlt hat. Doch langsam will er selbst vor den Deutschen nicht mehr so tun, als wären Plüschtiere sein ureigenes Interesse. Auch im Tatort sieht man bei Nick Tschiller die erste zwingende Gewaltbereitschaft aufblitzen, die sein Alter Ego Til Schweiger—ach nein, andersrum—sonst nur im Ausland ausleben darf. Auch schon bei Hugo Stiglitz, dem niemals zwinkernden, übergelaufenen Schlächter von Inglourious Basterds (2009). Die für weibliche Verehrerinnen des Kokowääh-Schweigers vielleicht schockierende Rolle war für US-Verhältnisse reines Typecasting. Noch viel wahrscheinlicher würde er und wurde er im anglophonen Raum als fieser namenloser Scherge besetzt, als ihm die Sentimentalitäten der eigenen deutschsprachigen Regieversuche jemals zu erlauben.

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Da die Schere der In- und Auslandswahrnehmung von Tils Persönlichkeit nicht mehr weiter auseinandergehen kann und er in Hin- und Hergerissenheit zwischen lukrativem Binnenschmalz und selbstverwirklichendem, internationalem Actiongewumme droht zu entzweien, ist mit dem Kommissar-Charakter eine erste Befreiung im Kompromiss geglückt. Doch dieser wird nur ein gut gemeinter, mit Vorsicht platzierter Übergang bleiben können, um auch die nationale Erwartungshaltung von irgendetwas, das mit „Dreiohr …“ beginnt, um Gottes Willen abzubringen und vorzubereiten für ambitioniertere Projekte mit mehr Durchschlagskraft. Death Toll heißt das Zauberwort, wie es schon in amerikanischen Actiondrehbuchanfängerkursen gepredigt wird. Und da hat auch der Tatort seine Schmerzgrenze. „Quo vadis, Til?“, mag der Deutsche nach dem Tatort nun sorgenvoll fragen. „Plus ultra“, muss Tils einzig konsequente Antwort bleiben: Darüber hinaus.

Uns steht also noch einiges bevor.

Illustrationen: Max Kersting