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Krebs ist ein Arschloch

Schadenfreude und Zynismus sind bei schweren Krankheiten meistens sehr effektvoll. Doch als ich Anfang Januar die Nachricht bekam, dass eine gute Freundin wirklich einen Gliom von beachtlicher Größe, mitten im Gehirn sitzen hat, lag die Unsicherheit...

Schadenfreude und Zynismus sind bei schweren Krankheiten meistens sehr effektvoll. Jedes bessere oder auch schlechtere TV-Format hat seine Helden schon mit einem Tumor als Accessoire auf die Bühne geschickt. Doch als ich Anfang Januar die Nachricht bekam, dass eine gute Freundin wirklich einen Gliom von beachtlicher Größe, mitten im Gehirn sitzen hat, lag die Unsicherheit bereits in meinem Bett.

Doch Nadine zeigte mir schnell, dass verstecken der falsche Weg ist. Von Anfang an hat sie dem Krebs eine klare Kampfansage gestellt (welche ich nützlicherweise gleich als Überschrift nutze) und damit auch mir ein wenig die Augen geöffnet. Als ich mit der Idee anklopfte, gern etwas über ihren Tumor zu schreiben, gab es kein Zögern. Also trafen wir uns zum Kaffee. Natürlich durfte sie aussuchen wo, sie hat schließlich Krebs.

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Vice: Es gibt doch diese Filme, in denen man mit einem eingerissenen Zehennagel ins Krankenhaus kommt und der Arzt sagt: „Das sieht sehr schlimm aus! Das haben wir uns schon fast gedacht! Sie haben Krebs!“ Lief es bei dir ähnlich ab?

Nadine: Im Nachhinein betrachtet lief es ähnlich verrückt ab. Ich habe mich lange Zeit mit Kopfschmerzen herum gequält, um die sich eine Chiropraktikerin gekümmert hat. Nie wäre mir die Idee gekommen, dass da ein Tennisball-großer Tumor in meinem Kopf heranwächst. Ich gab natürlich als erstes dem Stress die Schuld. Der ist doch immer an allem Schuld. Irgendwann traten in meiner linken Gesichtshälfte Lähmungserscheinungen auf, sogar meine Zunge wurde ganz taub. Da wurde es auch der Chiro-Tante zu heiß und ein MRT wurde angeordnet.

Ging es in der Praxis nicht ähnlich filmreif weiter?

Oh ja. Ich wurde zweimal in die Röhre geschoben. Beim ersten Mal ging es um meine Halswirbel. Alles lief normal ab. Rein in die Röhre, warten, wieder raus und ich durfte gehen. Beim zweiten Mal war mein Kopf dran und es dauerte ungewöhnlich lange. Ewig ließen die mich in diesem beklemmenden Ding. Dann wurde mir einfach eine Mappe mit den Bilder und ein Brief mitgegeben. Die haben mir wirklich einfach so die MRT Bilder, auf denen man sehen konnte, dass sich ein 5 mal 6 cm großer Tumor neben meinem Kleinhirn breit macht, in die Hand gedrückt. Ohne ärztliche Aufklärung oder Beratung oder wenigsten einem Taschentuch.

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Das klingt wirklich, wie in einem schlechten Film.

So habe ich mich auch gefühlt. Den ganzen Tag habe ich die „Krebs-Post“ mit mir herum getragen. Ich war erst auf Arbeit und habe sie später mit der Straßenbahn nach Hause gebracht. Dort warf ich zum ersten Mal einen Blick in den Umschlag und mir hat es wirklich den Boden unter den Füßen weggezogen. Natürlich habe ich kein Wort von dem medizinischen Fachchinesisch verstanden, nur das Wort „Tumor“. Ja, von dem kannte ich die Bedeutung.

Das sind wirklich keine guten Nachrichten. Scheiße, und wie ging deine Odyssee weiter?

Ich bin mit einer Freundin ins nächste Krankenhaus. Es fühlte sich alles so unreal an. Die können mir doch nicht einfach so einen Brief aufs Auge drücken. Das kann alles nur ein schlechte Scherz sein. Doch als die Ärztin mir erklärte wie verdammt ernst die Situation ist, wusste ich, dass das der Anfang einer verdammt beschissenen Geschichte wird.

Hast du schon einen Anschlag auf die Praxis geplant?

Naja es ist Zeit vergangen, ändern kann man an der Sache nichts mehr. Aber ich hätte mir schon gewünscht, dass mir irgend jemand sagt was Sache ist und mich nicht einfach mit dieser Monster-Diagnose allein nach Hause schickt. Vielleicht übertreibe ich auch nur und übertrage die Wut über den Krebs, einfach auf die Praxis.

Ich bin kein Arzt, aber deine Reaktion finde ich ganz und gar nicht übertrieben. Mit so einem Brief wäre doch jeder überfordert.

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Die haben bestimmt auch nur ihren Job gemacht, Ärzte sind da sehr rational. Das habe ich auch im Krankenhaus gemerkt.

War das die OP mit der jeder Arzt seine Referenzen ein wenig auffrischen wollte?

Da ist ein großer und dazu noch ziemlich seltener Tumor mitten in meinem Gehirn. Jeden Tag sind die mit ihren Studenten rein spaziert. Ich habe mich wie eine lebende Power Point-Präsentation gefühlt.

Klingt furchtbar und vor allem nervig.

Ja, irgendwann kam die Frage: „Und Frau … wie fühlen sie sich in unserem Krankenhaus?“ Das war wie ein Knopf, der endlich mal gedrückt werden musste. Alles kam aus mir raus und ich habe den Studenten einen schönen Vortrag gehalten, dass ich mich nur wie eine Nummer fühle und eigentlich gar keine Ahnung habe, was hier eigentlich mit mir passiert.

War dein „auf den Tisch hauen“ erfolgreich?

Ich glaube schon. Später kam der Chefarzt nochmal allein in mein Zimmer und hat mich mit in den Vorlesungssaal genommen. Dort wurde mir alles in Ruhe erklärt. Ich wurde sogar von ihm persönlich operiert.

Wie läuft so eine OP ab? Das muss doch Stunden dauern?

Sieben Stunden um genau zu sein, im Sitzen. Mein Gesicht war noch Tage danach ganz blau angelaufen. Als ich an dem Morgen aufgewacht bin, war ich so nervös wie noch nie. Die sollten mir nur schnell die Narkose geben, damit es endlich dunkel wird. Oder einfach wegrennen. Aber die OP verlief gut, ganz ohne Komplikationen. Ich verbrachte nur zwei Tage auf der Intensivstation und nach einer Woche durfte ich schon wieder nach Hause. Jung und nicht fett sind gute Voraussetzungen.

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Ich sollte anfangen Sport zu machen. Um welche Art Tumor handelte es sich bei dir genau?

Es handelt sich um ein Astrozytom, Grad III. Das bedeutet es ist ein bösartiger Tumor. Das Internet meint, dass es nicht gut aussieht. Doch um nicht völlig durchzudrehen habe ich aufgehört Statistiken im Netz zu lesen. Ich konzentriere mich jetzt nur auf mich, so schnell werde ich nicht sterben. Selbstmitleid ist nur kontraproduktiv. Wenn man nicht positiv denkt, kann man auch gleich aufgeben.

Das klingt wirklich tapfer.

Die Diagnose steht nun mal fest und es hat mein Leben wirklich komplett auf den Kopf gestellt. Aber ich habe die Krankheit anerkannt und blicke erstmal realistisch in die Zukunft. Am Anfang hieß es auch, ich müsste Chemo und Strahlentherapie machen. Doch mein Arzt meinte, es sieht gut aus und wir versuchen erstmal nur Strahlentherapie.

Warum musst du dich noch bestrahlen lassen?

Bei der OP konnte nur die Hälfte entfernt werden. Der Tumor wächst schon seit einigen Jahren in meinem Kopf vor sich hin. Das Kleinhirn hat sich, sagen wir mal, an ihn „gewöhnt“. Man hätte ihn nicht komplett entfernen können, damit wäre mein Gehirn nicht klar gekommen. Deswegen die Strahlentherapie, damit wird hoffentlich das restlich Ding zerstört.

Hast du dich schon mal mit Gedanken über den Tod auseinander gesetzt?

Bis zu dem Anruf, dass ich einen bösartigen Tumor dritten Grades habe, eigentlich nicht. Sicher schon ein paar kleine Gedanken, doch dieser Fakt macht die Sache sehr realistisch. Ich versuche etwas gutes im Tod zu sehen, damit er mir nicht so viel Angst macht. Zum Beispiel Ruhe und Frieden sind eine angenehme Sache, die man in ihm finden kann.

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Gab es Momente, in denen du dir gedacht hast: „Scheiße man“ ?

Ich musste so eine Vollmacht unterzeichnen, wer über mich bestimmen darf, wenn ich sterben sollte. Das war wirklich hart. So kalte Fakten schwarz auf weiß lesen zu müssen. Und diese Haar-Sache gefällt mir auch nicht. Klar sollte ich mir über sowas keine Gedanken machen, was sind schon lange Haare, gegen deine Gesundheit. Aber ich bin nun mal ein Mädchen und ich liebe sie. Es ist so ein äußerliches Kriterium, welches man nicht verstecken kann. Jeder kann sehen, was mit dir los ist.

Wie gehst du mit dem großen Berg Mitleid um? Besteigst du ihn mit Fassung oder erdrückt er dich eher?

Es ist ein schönes Gefühl, zu wissen dass man nicht allein da steht. Das es da jemanden gibt, den es wirklich interessiert wie es mir geht. Gelegentlich zieht es mich schon runter, wenn traurige oder hilflose Nachrichten kommen, doch selbst dann weiss ich es zu schätzen. Es ist nun mal ein heikles Thema mit dem nicht jeder umgehen kann.

Du hast bei Facebook sehr offensiv deinen Kampf gegen den Krebs angekündigt. War es dir ab diesem Zeitpunkt egal wer es weiß?

Ja, vollkommen. Obwohl ich glaube, dass man den Krebs nie wirklich besiegen kann. Wenn er einmal da war, kann er immer wieder kommen. Und egal welches Magazin man aufschlägt, überall kann man sie lesen, die ganzen Schlagzeilen, wer mal wieder den Kampf gegen den Krebs gewonnen hat. Alle haben Krebs, DIE neue Volkskrankheit. Trotzdem dachte ich immer „Mir passiert so was nicht!“

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Du liegst quasi voll im Trend?

Genau. Ich lag noch nie so im Trend wie jetzt. Mit meinem Outfit ist mir das noch nie gelungen.

Gibt es eigentlich irgendwas positives, was du aus der ganzen Geschichte mitnehmen kannst?

Was positives? Naja, das ist alles eine große Scheiße! Mir ist klar geworden, wie kurz das Leben ist. Ich hab viel zu wenig erlebt. Vieles habe ich mehr zu schätzen gelernt. Besonders wie wichtig das Pflegen von Freundschaften ist.

Was möchtest du als erstes Nachholen, wenn du wieder gesund bist?

Viele Partys und viel reisen. Mein größter Traum wäre Jamaika, aber dafür wird mir das Geld fehlen.

Ich finde nach Krebs kann man ruhig ordentlich den Dispo ausreizen.

Nein, das mach ich nicht. Ich möchte mir keine Schulden zulegen, da hab ich Angst vor. Mit oder ohne Krebs - kein Dispo!

Ich finde es gut, dass du deine Krankheit mit so viel Humor verarbeitest.

Viele können damit nicht umgehen, aber für mich ist es ein guter Weg solche Schicksalsschläge zu verarbeiten. Dafür gibt es schließlich keine Regeln. Ich finde es besser offen damit umzugehen, als alles tot zu schweigen oder zu verdrängen.