Olivia Jones hat der AfD ihr Kinderbuch vorgelesen

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Olivia Jones hat der AfD ihr Kinderbuch vorgelesen

Und sie hat uns erzählt, wie es war.

Foto: Maik Rietentiet | olivia-jones.de

"Wir machen hier keine schwule Propaganda, sondern kämpfen einfach für unsere Liebe", sagte Olivia Jones nach dem persönlichen Treffen mit André Poggenburg, dem AfD-Fraktionsvorsitzenden in Sachsen-Anhalt, vor einigen Tagen in die Kamera. Jones hatte im Landtag aus ihrem Kinderbuch über Homosexualität vorgelesen, zwei AfDler saßen im Raum.

Dass Poggenburg und Olivia Jones sich tatsächlich trafen, wirkt so ungewöhnlich wie der Anblick ihrer künstlichen Brüste neben Poggenburgs faltenlosem Anzug. Vor einigen Wochen erst hatte Olivia André Poggenburg wegen Volksverhetzung angezeigt.

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Die Vorgeschichte: Das Ministerium für Gleichstellung in Sachsen-Anhalt hatte eine Broschüre mit Kinderbuch-Empfehlungen für Kitas und Grundschulen zum Thema Homosexualität veröffentlicht—weil Erzieherinnen danach fragten, erfuhr VICE aus Landtags-Kreisen. Unter den empfohlenen Kinderbüchern war auch Olivia Jones' Buch Keine Angst in Andersrum. Die AfD Sachsen-Anhalt reagierte mit einer Collage auf Facebook. Darauf ein Buch mit Regenbogen, auf dem steht: "Heute: Warum Du in Wirklichkeit homo bist." Und: "Schreibe Deine 7 erotischen Szenarien mit einem Erwachsenen auf."

Olivia Jones lief zur Davidwache, der Polizeistation auf dem Hamburger Kiez—wo sie unter anderem einen Strip-Club für Frauen betreibt—, und zeigte Poggenburg an. "Homophobie mit Pädophilie gleichzusetzen, das geht zu weit", sagte sie uns anschließend. Sie würde der AfD gerne mal aus ihrem Kinderbuch vorlesen, sagte sie VICE außerdem, um ihnen die Angst vor Homosexuellen zu nehmen.

Das ist jetzt wirklich passiert—auf Einladung der Grünen reiste Jones nach Sachsen-Anhalt. Bei der Lesung saßen zwei AfD-Fraktionsmitglieder im Raum. Bei Olivia Jones' Lesung war André Poggenburg selbst nicht da, weil er Termine hatte. Er traf sich aber danach mit Olivia Jones zu einem informellen Zweiaugengespräch. Wir haben sie gefragt, wie es war.

VICE: Das letzte Mal hatten wir gesprochen, als du André Poggenburg gerade angezeigt hattest. Läuft die Anzeige gegen die AfD nach wie vor?
Olivia Jones: Ich habe noch nichts davon gehört, dass der Fall abgeschlossen ist. Ich warte auf Nachricht der Staatsanwaltschaft.

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Wie war es, Poggenburg nun zu treffen?
Das Treffen mit Herrn Poggenburg hat mir sehr zu denken gegeben. Ihm hoffentlich auch. Und ich hoffe, dass ich durch den ganzen Medienrummel noch mehr Menschen nachdenklich machen konnte. Auf jeden Fall hat der Termin in Magdeburg den Menschen, die vor Ort für Toleranz und Vielfalt kämpfen, Mut gemacht. Davon brauchen wir mehr. Mehr Mut. Weniger Wut.

Was bedeuten die Anfeindungen der AfD für dich als Drag-Queen und für die LGBT-Szene?
Es darf nicht noch mehr Öl ins Feuer der Diskriminierung gegossen werden. Toleranz ist kein Zustand. Toleranz muss immer wieder neu definiert und erkämpft werden. Es ist doch verrückt, dass es sogar Schwule gibt, die die AfD wählen, weil sie die Partei für ihre Beschützer halten. Ein schwulenpolitischer Arbeitskreis macht doch noch keine schwulenfreundliche Partei. Die AfD hat gerade ganz stolz eine Erklärung veröffentlicht, in der steht, dass homosexuelle Lebensgemeinschaften nicht als gleichwertig gelten. Also minderwertig? Auf diese Frage hatte Herr Poggenburg leider keine klare Antwort.

In der "Magdeburger Erklärung", welche Poggenburg initiierte, schlägt sich das Familienbild der AfD Sachsen-Anhalt nieder. Sie berufen sich auf das "Recht jedes Kindes auf seinen Vater und seine Mutter" und sagen: "Die traditionelle Familie soll Vorbild bleiben. Sie gehört zum Kern der deutschen Leitkultur." Kinder sollen vor "Frühsexualisierung" geschützt werden. Dass es etwas Derartiges aber überhaupt gibt, kann die AfD nicht belegen. Der Autor Stefan Niggemeier hat die Magdeburger Erklärung auf seinem Blog ausführlich kommentiert.

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Die AfD kritisierte, dein Buch sei Teil einer "Frühsexualisierung".
Ich habe ein Kinderbuch geschrieben, in dem es mit keinem Wort um Sex geht, sondern um Liebe, Toleranz und Vielfalt, und daraus lese ich auch in Kindergärten und Grundschulen vor. Erwachsene haben Hintergedanken, denken zum Beispiel beim Wort Liebe gleich an Sex. Aber Kinder können da nichts dafür. Toleranz ist eigentlich der natürliche Zustand, Intoleranz ist anerzogen. Das habe ich immer wieder erlebt.

Kommen denn Kinder in deine Shows?
Nein, und ich habe nicht vor, mit meinem Kiez-Ensemble demnächst auch in der KiTa um die Ecke aufzutreten. Aber an sich muss Travestie nichts Anzügliches sein und man sollte schon Kindern beibringen, dass es Menschen gibt, die andere Lebensformen gewählt haben. Dass es Menschen gibt, die großen Spaß haben, sich zu verkleiden—das verstehen Kinder natürlich. Bunt, Glitzer, gelber Plüschmantel, das finden sie lustig.

Was gibt es dir, dich als Frau zu verkleiden?
Es macht Spaß, weil ich meine weibliche Ader auslebe. Es ist ein Ablassventil und bin dadurch privat entspannt und relaxt. Das ist wie Psychopharmaka gegen mein Aufmerksamkeitsbedürfnis.

Was ist deine sexuelle Orientierung eigentlich?
Sex gibt es nur mit Oliver—Olivias Corsage würde auch schnell auseinanderfallen. Ich schlafe mit Männern, das gefällt mir einfach am besten und dabei bin ich erst mal geblieben. Aber man weiß ja nie: Das Ende ist immer offen.

Du warst schon im BDM-Kostüm (Nazi-Organisation "Bund Deutscher Mädels") auf dem NPD-Parteitag, jetzt warst du im Landtag in Sachsen-Anhalt bei der AfD. Was traut sich Olivia Jones nicht?
Sie traut sich alles, sie hat Narrenfreiheit.

Sie traute sich auch, Poggenburg nach St. Pauli einzuladen, nachdem er sie in die AfD-Fraktionssitzung einlud. (Ja, es ist OK, wir mussten auch lachen.) Dass eines dieser weiteren Treffen je passiert, bezweifeln wir. Allerdings dachten wir auch nicht, dass Olivia Jones wirklich irgendwann der AfD ihr Kinderbuch über Homosexualität vorliest. Also sagen wir jetzt: Alles ist möglich.