No Man’s Sky war zweifellos die am heißesten erwartete Gaming-Sensation des laufenden Jahres. Monatelang fieberten die Spieler weltweit auf Anfang August hin, als die epische Weltraumodyssee veröffentlicht werden sollte. Einige bedrohten sogar einen Journalisten mal eben mit dem Tod, als der es wagte, über die Verschiebung des VÖ-Datums zu berichten.
Als der Hype dann endlich zum Greifen nah war, warteten 18 Trillionen Planeten darauf, erforscht zu werden. Schlachten mussten geschlagen und Tiere benannt werden. Anstatt an die Ostsee oder in den Harz konnte man bald in 40 Spielstunden in die Mitte des Universums verreisen. Alles war so aufregend… und dann kam das Spiel raus.
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Ok, es war von vornherein angekündigt, dass es sich um keinen Multiplayer handelt. Klar, das Universum ist riesig. Logisch, dass die Reise zwischen den gravitationsähnlichen Welten doch mal etwas länger dauert. Aber auf die Realität war wieder mal keiner richtig vorbereitet. Es breitete sich also eine kleine Ernüchterung aus, als die euphorischen Gamer herausfinden mussten, dass No Man’s Sky einfach nur schnarchlangweilig ist. Und dann auch noch das: Wer doch einmal das Unmögliche schafft, sich in den Weiten des Universums am gleichen Ort wie ein anderer Spieler aufzuhalten, kann sich nicht mal gegenseitig sehen.
Doch des einen Leid ist des anderen Freud—und so fand die überbordende Ödnis von No Man’s Sky ihre wahre Vollendung in einer Welt, die das ewig Ereignislose zu ihrem Inhalt gemacht hat: ASMR.
Das Phänomen, das mit vollem Namen Autonomous Sensory Meridian Response heißt, beschreibt ein von zarten Sinneseindrücken, in erster Linie Geräuschen, verursachtes Kopfkribbeln. ASMR ist ein Kind des Internets und hat in diversen Youtube-Kanälen seine Anhänger gefunden. Viele nutzen die Sounds des stundenlangen Haarebürstens, der akustischen Rückenmassage, des meditativen Serviettenfaltens oder das Herabfallen des leichtesten Materials der Welt zum Einschlafen oder Entspannen.
„Dieser Mond ist sehr gepflegt und sehr hübsch. Ich genieße die Zeit richtig, die ich hier verbringe”, haucht The ASMR Nerd in sein binaurales Mikro.
Eine der soften Königinnen der ASMR-Videos ist der blonde Engel Maria mit ihrem Kanal Gentle Whispering, die ihre Fans sogar mit der geflüsterten Zubereitung eines gefüllten Kürbis ins Wellness-Nirvana begleitet. Natürlich gibt es auch einige absurde Ausreißer—wie die Frau, die ihr Gesicht hingebungsvoll in Brot reibt. Verbindendes Element ist die absolute Ruhe und geflüsterte, gerne weibliche, Stimmuntermalung.
Anstelle von actionerprobten Gamern, die interstellare Abenteuer bestehen, hat No Man’s Sky seine wahre Bedeutung nun also in der ASMR-Community gefunden. Flüsternd wandelt beispielsweise der YouTuber The ASMR Nerd über einen roten Mond und beschreibt gefühlvoll und sanft seine Eindrücke. Auch farblich ist No Man’s Sky mit seiner überzeichneten Fantasiekolorierung eine digitale Inkarnation von Bob Ross und seinen weichgezeichneten, farbstarken Kunstwerken.
„Dieser Mond ist sehr gepflegt und sehr hübsch. Ich genieße die Zeit richtig, die ich hier verbringe”, haucht The ASMR Nerd in sein binaurales Mikro. „Im heutigen Video wandern wir einfach ein bisschen auf dem Mond hier herum”, flüstert es in unsere Ohren, während sich der Wellnessgamer langsam durch die Landschaft bewegt. „Saftige Felder mit wehendem Gras”, „fliegende Kreaturen, die ich bis jetzt vielleicht oder vielleicht auch nicht entdeckt habe”, mäandert es aus dem Kopfhörer, während er die digitale Übersichtskarte hervorkramt und in gespanntem Beisein der Trancegemeinde die Spezies erklärt.
„Viele der Eigenschaften, die die Leute an No Man’s Sky kritisieren, machen das Spiel perfekt für ASMR.”
Knapp 40.000 Subscriber hat der YouTube-Kanal des ASMR-Nerds aka Nick, und ist ein fester Bestandteil einer millionenstarken Community, die sich durch ASMR im besten Fall sogar bis zu einer Art Gehirn-Orgasmus stimulieren lässt. In seinen Videos flüsterte sich Nick bislang in erster Linie durch das Fantasy-Universum des Rollenspiels Skyrim. Doch zum friedlichen Durchschleichen musste der Nerd dort zuvor noch jegliche Bösewichter ausradieren. Dank No Man’s Sky kann er sich diese Mühe ab sofort sparen:
Aufgrund der ausgesprochenen Ereignislosigkeit des Games laufen Erzähler und Rezipient dort wenig Gefahr, in größere Konflikte zu geraten oder anderweitig aus ihrem persönlichen Stand-By-Modus hochzuschrecken.
Auch MissFushi hat die unbestreitbaren Vorteile von No Man’s Sky erkannt und wandert mit uns, ihren „beautiful friends”, über einen nächtlichen Planeten.
„Viele der Eigenschaften, die die Leute an No Man’s Sky kritisieren, machen es perfekt für ASMR”, so Nick gegenüber Kotaku. „Es ist langsam. Es gibt keine Multiplayer. Es gibt kein Ziel. Normalerweise sind diese Sachen bei Games eher nicht so beliebt, aber für ein ASMR-Video bedeutet das: Du kannst das Tempo völlig herunterfahren und ohne Angst vor Unterbrechungen deines Zen-Zustands an den Weltraumrosen riechen.” Und so waren die vielen Millionen Euro Entwicklungskosten ja doch nicht ganz umsonst.