Vielleicht kommt euch folgende Geschichte bekannt vor: Mitten in der Hauptstadt Deutschlands hausen Menschen, die bei unseren Nachbarn um Asyl bitten und in notdürftig zusammengeschusterten Zelten vor sich hin vegetieren—ohne die Aussicht auf ein würdevolles Leben. Das passt natürlich der NPD am allerwenigsten, sie will die Asylbewerber am besten a lá 1933 in Ghettos außerhalb der Stadt verbannen. Am Wochenende hat die NPD daher Kundgebungen an verschiedenen Orten in Berlin angemeldet, um ihren Lösungsvorschlag publik zu machen.
Die NPDler sind von Location zu Location gefahren, um ihre Message zu propagieren. Und ich im Bus mit den linken Gegendemonstranten hinterher. Während der Tour und den Stopps hatte ich Gelegenheit, mit vielen verschiedenen Teilnehmern und Zuschauern zu sprechen—auch mit der NPD und ihrem Berliner Chef. Aber erstmal fing es eher ruhig an:
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Die Tour sollte auf dem Moritzplatz in Berlin beginnen. Hier versuche ich, mit ein paar Leuten ins Gespräch zu kommen.
Schmidtkes Gerede bleibt aufgrund des extremen Lärms der Gegendemonstranten ungehört. Nachdem die Rechten ihr Zeug wieder einpacken, wird ein Mann aus der Masse der Gegendemonstranten gefischt und von der Polizei festgenommen. Ich gehe zurück zum Bus, um zum nächsten Kundgebungsort in Reinickendorf zu gelangen. Im Bus sitzend, sehe ich den Kerl wieder, der mit der NPD auf Wahrheitssuche geht und uns beim Vorbeifahren den Mittelfinger rausstreckt—seine Aktion wird mit Pfiffen und Beleidigungen quittiert.
Der junge Kerl mit der Sonnenbrille kommt aus dem Niger. In gebrochenem Englisch erzählt er mir, was er und seine Freunde erlebt haben. „Wir sind erst nach Libyen gegangen, weil es dort ruhig war. Aber dann ist der Krieg ausgebrochen und wir mussten nach Italien flüchten“, sagte er und fügte hinzu, dass sie dort wie Tiere behandelt wurden. Deshalb seien sie dann nach Deutschland gegangen. Ich fragte ihn daraufhin, ob sie im Refugee Camp leben und dort glücklich sind, denn schließlich gebe es auch in Deutschland Menschen, die sie nicht wollen. Seine Antwort war eindeutig: „Weißt du, das ist alles besser als zu sterben.“
„Hellersdorf ist eine Rechten-Hochburg“, erzählt mir Norbert, ein 50-jähriger Hellersdorfer. „Die ködern die Kids mit Bier und rufen heftige Naziparolen. Gestern Abend wurde sogar ,Sieg Heil’ gerufen. Als ich daraufhin die Polizei rief und sie die Anwohner befragte, ob sie das gehört haben, sagten die meisten nur, dass bloß ,Sport frei’ gerufen wurde“, sagt er sichtlich empört. „Manchmal fühl ich mich im wie im Dritten Reich. Ich weiß nicht, wo die Leute ihre Bildung gelassen haben“, fügt er hinzu.
Bei der nächsten Station bleiben die Eier und Pissebomben aus. Es ist wesentlich weniger los. Auch wenn der Lärm, der die Hetze von Maria Frank, dem Bundesvorstand vom „Ring Nationaler Frauen“, übertünchen soll, wieder enorm ist, so kann ich diesmal einige Worte verstehen. Maria Frank erzählt zum Beispiel, dass Ausländer gerne Kinder vergewaltigen oder ihnen Drogen verkaufen. Viele Fans scheint sie aber nicht zu haben. Außer einer Familie in zerschlissenen Jogginganzughosen gibt es auch in Reinickendorf kaum Menschen, die sich offen zur NPD bekennen. Ich beschließe, mit Sebastian Schmitdke zu reden.
Als ich auf den LKW zugehe, werde ich gleich von drei Kerlen umstellt. Ich sage ihnen, dass ich gerne ein paar Fragen stellen würde, und werde zum „Kopf“ der Veranstaltung eskortiert. Nach anfänglicher Skepsis will Schmidtke doch mit mir reden. Auf meine Frage, ob er denn zufrieden damit sei, was er und seine Anhängerschaft heute erreicht haben, antwortete er: „Natürlich, heute haben wir Hunderte Berliner und die Presselandschaft erreicht. Wir sind jetzt über Tage in den Medien.“ Auch oder weil mir dieser Satz ein schlechtes Gewissen bereitet, frage ich ihn, was die konkreten Forderungen der Veranstaltung sind. „Asylbewerberheime müssen, wenn sie denn gebaut werden sollen, außerhalb der Ballungszentren und Wohngebiete gebaut werden. Weit draußen.“ Meine Bedenken, dass dadurch Ghettoverhältnisse geschaffen werden würden und dass das automatisch zu Kriminalität führen würde, beeindrucken ihn nicht. Voller Stolz und als ob es sein persönlicher Verdienst ist, sagt er: „In Marzahn-Hellersdorf hat sich die Ghettoisierung ja zurückgebildet, weil da nicht so viele Ausländer sind.“ Warum es dann aber noch Rechte braucht, wollte mir keiner beantworten.
Fotos von Grey Hutton