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Menschen, die Angst vor dem Erbrechen haben, leiden unter Emetophobie

Acht Prozent der Bevölkerung leiden unter der Kotzphobie, von der mehr Frauen als Männer betroffen sind.
Ashwin Rodrigues
Brooklyn, US
​Bild: Shutterstock

Eine kleine Warnung vorweg: falls du ein Problem hast, dich über Erbrechen, Kotzen, Speien, Spucken, Göbeln, Übergeben, Würgen, Reiern oder „sich etwas noch einmal durch den Kopf gehen lassen" auszutauschen—dann lies jetzt lieber den Artikel über die  ​sowjetischen Zukunftsvisionen über ein Leben auf dem Mond oder den über die ​Müllinsel in den Malediven. Wir wenden uns nun nämlich ausführlich dem spannenden Thema der Emetophobie zu, der Angst vor jeglicher Art des Erbrechens.

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Allein der Gedanke an Kotzen, daran, dass sich jemand anders übergibt oder die schlichte Existenz des Speiens generell triggern die Phobie, welche viel weitreichender ist als ein normales, verständliches Unbehagen gegenüber dem Würgreflex.

Neben diesen internen Auslösern gibt es natürlich noch eine Menge externer Stimuli—wie exzessiver Alkoholkonsum, große Mengen stark gewürzten Essens oder extreme körperliche Anstrengungen—die zu einem Erbrechen führen können. Es liegt daher auf der Hand, dass Emetophobiker diese Trigger meiden wie der Teufel das Weihwasser.

viele Menschen vermeiden das Wort 'kotzen' und versuchen sich mit der Variation 'K*en' zu behelfen

Ist nicht eine fürchterliche Vorstellung, wenn du jede Situation, die dich zum Erbrechen bringen könnte, meiden musst?! Deine Freunde laden dich zur Feier des Tages auf ein, zwei, drei Bier in der Kneipe neben an ein? Denk lieber noch mal darüber nach, bevor du zusagst. Die Tage des Wettessens sind gezählt (und bei Null angekommen), deine Chancen für einen Sieg beim nächsten Marathon schwinden ebenso.

Die Symptome sind die gleichen wie bei anderen Ängsten und kommen leider oft einer selbsterfüllenden Prophezeiung gleich. Panik vor dem Übergeben kann zu Schwindel, Beklemmungsgefühlen, Ohnmacht und.. nun ja… Erbrechen führen.

Wie bei vielen Phobien sind die wahren Ursachen und ursprünglichen Auslöser nicht immer völlig klar. Doch die meisten Abhandlungen zur Emetophobie gehen davon aus, dass eine unschöne Kotzerfahrung, meistens aus der Kindheit, als Ursache anzusehen ist.

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Für einen Artikel im  Indian J​ournal of Psychiatry wurde der Fall eines 10-jährigen Mädchens untersucht, das sich auf Grund einer Blinddarmentzündung oft übergeben musste und seit dem unter der permanenten Angst vor einem weiteren Erbrechen litt:

„Sie dachte permanent daran, ohnmächtig zu werden. Sie aß weniger und vermied den Besuch von Restaurants. Sie machte sich Sorgen über den scharfen Geruch von Erbrochenem in der Toilette und bat ihre Mutter, diese öfter zu reinigen. Langsam aber sicher wurde die Angst größer und erreichte ein Stadium, in dem das Mädchen nicht mehr mit anderen Kindern spielen wollte, aus Angst, sie könnte vor ihnen erbrechen.

Gleichzeitig nahm auch die Qualität ihres Schlafes ab. Ihre Ruhephasen waren kurz und nicht erholsam, da sie die ganze Nacht von Gedanken und Sorgen über das Erbrechen geplagt wurde und sich nach dem Essen über Ohnmacht und saures Aufstoßen beklagte."

Zum Glück geht es dem Mädchen nun besser. Doch nicht für jeden geht die Geschichte glimpflich aus.

Emetophobie wird auch als SPOV bezeichnet, ein Akronym, das sich selbst schon wie ein Euphemismus für Kotze anhört. Es steht in diesem Fall aber für Specific Phobia of Vomiting. Das führt uns zu einer wichtigen Differenzierung: Die meisten Menschen empfinden dem Kotzen und kotzähnlichen Situationen nämlich mehr oder weniger stark ausgeprägtes Unbehagen—ganz einfach, weil sie es eklig finden.

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Davon abgesehen, ist die intensive und oftmals auch einschränkende Störung der Emetophobie eine gar nicht mal seltene Angelegenheit: Eine niederländische Studie fand heraus, dass acht Prozent der Bevölkerung unter dieser Krankheit leiden, und dass Frauen viel häufiger davon betroffen sind als Männer. Genauer gesagt waren in der Untersuchung die Frauen mit einem Verhältnis von 4:1 im Vergleich zu den Männern in der deutlichen Überzahl.

„Obwohl nur sehr begrenztes klinisches und wissenschaftliches Wissen über diese Phobie zur Verfügung steht, ist sie in der klinischen Praxis durchaus kein seltener Zustand", schreibt Viljo van Hout, der Autor der Studie.

Menschen, die Angst vor dem Erbrechen haben, leiden unter Emetophobie.

Es gibt verschiedene Ausprägungen der Emetophobie, welche sich auch nicht gegenseitig ausschließen: „Manche Patienten haben eine ganz besondere Angst vor dem Erbrechen an sich, während andere hauptsächlich fürchten, dass Menschen sich in ihrer Gegenwart übergeben könnten", schreibt van Hout.

„Die Furcht vor dem Erbrechen anderer könnte stark mit der Gefahr einer Kontaminierung zusammenhängen. Doch die schlimmste Angst ist das Erbrechen an einem öffentlichen Ort oder in einer sozialen Situation in der Gegenwart Anderer."

Schwere Fälle der Phobie können zu ungesunden Verhaltensweisen wie extremen Diäten führen, einer Maßnahme, die Patienten ergreifen, um jede Möglichkeit des Erbrechens zu vermeiden. Manchen Studien zufolge verschiebt oder verhindert die Hälfte aller betroffenen Frauen eine Schwangerschaft—aus Angst vor der Morgenübelkeit.

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So wie bei vielen Phobien gibt es massig Online-Hilfesangebote für die Opfer der Störung. Emetophobia.org hat beispielsweise tausende Mitglieder und eine sehr aktive Online-Community.

Ganze Unternehmen kümmern sich ausschließlich um Hilfsangebote für die Emetophobiker.

Viele Forenmitglieder vermeiden tunlichst das Wort „kotzen" und umschiffen diese heikle Phrase mit Varianten wie „k*en". Genauso werden die Emetophobiker (oder „emets", wie sie sich häufig online nennen) vor einem Kinobesuch sicherlich nochmal schnell PhobiasAtTheMovies.com checken, um sicherzugehen, dass der Film, sie nicht direkt ihrem Trigger ausliefert.

Wie bei den meisten Phobien erfolgt die Behandlung einer Emetophobie mit der langsamen, kontrollierten Wiedereinführung von Stimuli (das Mädchen, das ich oben beschrieben habe, begann langsam damit einfach nur das Wort zu lesen). Darüberhinaus durchlaufen die Patienten eine kognitive Verhaltenstherapie. Das bedeutet, rationales Denken bewusst zu üben, um Ängste oder Phobien zu überwinden. Sollte die Phobie von einem Trauma herrühren, könnte auch Hypnotherapie eine Option darstellen.

Falls es dir jedoch problemlos möglich war, bis hier unten zu lesen ohne jegliche  Beklemmungen zu spüren bist du wohl nicht von der Emetophobie betroffen. Es könnte aber natürlich sein, dass du dich fühlst, als müsstest du dich gleich übergeben. So geht es mir zumindest.

​Psychomaniaist eine Motherboard-Kolummne über Neurosen des Alltags. Schließlich gibt es keinen Wahnsinn, den es nicht gibt—und die Grenzen zwischen gesund und pathologisiert sind fließend.