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Von Schlangensuppe wird dein Blut heiß

Eine Schüssel Suppe mit dem Fleisch der gefährlichen Tiere ist perfekt, um dich im kalten Winter zu wärmen.
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Der Winter kommt—na gut, zumindest die subtropische Version von Winter—und das heißt, es ist Zeit für Schlangensuppe.

Damals, vor 20 Jahren, führte mich der Weg von der Schule nach Hause an einem Markt vorbei, wo abgetrennte Ochsenschädel von den Haken der Metzger hingen und Fischhändler lebendige Meeresfrüchte vertickten—die Gliedmaßen von Tintenfischen spritzten alles voll und hin und wieder rannte eine Krabbe umher, die sich verirrt hatte. An manchen Tagen gab es auch einen „Schlangenkönig", der seinen Stand mit den beinlosen Reptilien zierte. So köderte er die Passanten, damit sie seine dickflüssige Schlangensuppe probieren.

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Diesen Markt gibt es heute immer noch, aber die Schlangen sind mittlerweile verschwunden. Deshalb ging ich in den Arbeiterbezirk Sham Shui Po auf der Suche nach einer guten Schüssel Suppe. Se Wong Heep (wörtlich „Schlangenkönig Heep") ist in der Nachbarschaft ein beliebtes Lokal für Schlangen, nur sieben Gehminuten von einem anderen beliebten Lokal entfernt, dem billigsten Michelin-Restaurant der Welt, dem Tim Ho Wan. Se Wong Heep versteckt sich ganz unscheinbar hinter Straßenständen, die Elektrowerkzeug, Militärkleidung und billige Elektrogeräte verkaufen.

Irgendwie haben Restaurants, die nur eine Handvoll verschiedene Gerichte servieren etwas Verlockendes. Wenn sie immer und immer wieder das Gleiche kochen, kannst du dir sicher sein, dass die tausenden Arbeitsstunden, die sie in die Perfektionierung dieser Gerichte gesteckt haben, auch mit einer verdammt guten Schüssel Suppe belohnt werden.

Se Wong Heep gibt es schon seit 1965 und seither hat sich in diesen vier Wänden nicht sehr viel verändert. Grelles Licht, Fliesen an den Wänden und die Tische werden mit anderen Gästen geteilt. Bestellungen werden innerhalb von wenigen Minuten serviert, die Kellner müssen einfach nur ein paar Kellen dieser dickflüssigen Suppe in eine Schüssel leeren und fertig. Im Speiseraum stehen zwei große Holzschränke. Jede Schublade ist mit zwei blutroten chinesischen Zeichen versehen, die für „giftige Schlangen" stehen.

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Sie streckte ihre Hand in eine der Holzschubladen und zog eine chinesische Kobra hervor. Die Schlange ließ die Zunge einmal in meine Richtung schnellen und zog sie wieder ein. Wahrscheinlich war sie angepisst, weil sie jemand beim Schlafen gestört hat.

Das Gericht steht zwar meist das ganze Jahr auf der Karte, aber im Kontext der traditionellen chinesischen Medizin heißt es, Schlangenfleisch wäre eine Suppe mit Yang-Charakter, der den Körper wärmt—perfekt, um gegen die Yin-Effekte eines kalten Winters anzukämpfen. Scheinbar ist es gut für Haut und Blut.

Das Rezept ist ganz simpel. Schlangenknochen werden mit Schweineknochen, Hähnchen und dem beliebten chinesischen Räucherschinken jinhua huotui in einen Topf geworfen. In einem großen Behälter wird die Suppe über Nacht eingekocht und dann mit Schlangenfleisch serviert. Wenn die Schüssel zum Tisch gebracht wird, geben die Restaurantgäste ihre eigenen Einlagen dazu: frittierte Teigtaschen (so ähnlich wie Wan Tan), damit es ein bisschen knuspert und dünn aufgeschnittene Zitronenblätter für das besondere Aroma. Komplett ohne Glutamat.

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Schlangensuppe gibt es schon seit dem dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, wurde aber damals hauptsächlich im Südosten Chinas konsumiert. Erst im 18. Jahrhundert wurde das Gericht im ganzen Land populär, vor allem unter den Wohlhabenden und Angesehenen. Aristokraten liebten das Gericht, weil es mehrere Zutaten beinhaltet und die Zubereitung einen ganzen Tag dauerte, so dass es sich nur die Reichsten leisten konnten. Durch Verbesserungen im Bereich der Logistik im 20. Jahrhundert wurde das Gericht doch noch im ganzen Land beliebt und auch für das Fußvolk erschwinglich.

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Se Wong Heep importiert seine Schlangen aus Malaysia und Indonesien. Ich fragte, ob es in Hongkong Schlangenfarmen gibt, aber Chau Ka Ling, die Besitzerin, lachte und sagte: „Alle Schlangen in Hongkong zusammen würden uns wahrscheinlich nicht mal einen Tag lang reichen." Sie streckte ihre Hand in eine der Holzschubladen und zog eine chinesische Kobra hervor. Die Schlange ließ die Zunge einmal in meine Richtung schnellen und zog sie wieder ein. Wahrscheinlich war sie angepisst, weil sie jemand beim Schlafen gestört hat.

Eine Kellnerin murmelte: „Iiih! Was zur Hölle macht sie?" Schließlich packte sie eine Chinesische Nasenotter und trug sie durchs Restaurant. Ein recht ungewöhnlicher Anblick in diesem Restaurant. Obwohl die Reißzähne der Schlangen entfernt wurden, haben manche Mitarbeiter trotzdem noch ein bisschen Angst davor. Chau tauchte die Schlange in die Glasauslage beim Eingang und alle widmeten sich wieder ihren dickflüssigen Suppen, zufrieden, dass alle Reptilien wieder sicher weggeschlossen wurden.

Dieses Gewerbe hat nichts Schändliches, zumindest nicht in Hongkong, und keiner der Schlangenarten, die gegessen werden, sind gefährdet. Aber die Society for the Prevention of Cruelty to Animals (SPCA) behauptet, dass „das Häuten von lebendigen Schlangen für ihre Galle und ihr Fleisch grausam und unnötig ist." Die Organisation ist überdies der Meinung, dass der Schlangenkonsum die Wildpopulationen unter Druck setzt, weil die Schlangen, die zum Essen bestimmt sind, in der Wildnis gefangen und auf Farmen gemästet werden.

In typisch chinesischer Manier wird die gesamte Schlange gegessen, einschließlich der Innereien. Besonders die Gallenblase und die Galle werden verwendet, um Wein herzustellen. Der amerikanische Tierschutzverein sagt, dass der Konsum von Schlangengalle ein hohes Risiko für die Infektion mit akuter Hepatitis und Parasiten birgt. Um Schlangenwein herzustellen, kann man auch die gesamte Schlange in Sorghumwein marinieren. Letztes Jahr wurde eine Frau von einer Giftschlange gebissen, die drei Monate lang im Wein überlebt hatte. Sie musste anschließend mit einem Gegengift behandelt werden. Aber nicht nur die Schlangen im Wein, sondern auch in der Küche können gefährlich sein. Wenn man einer Schlange den Kopf abschneidet, funktionieren ihre Reflexe weiterhin und sie können immer noch mir ihren scharfen Zähnen dem Koch in die Hand beißen.

Diese Risiko gehen aber nur Leute ein, die nach irgendetwas Superexotischen suchen wie Leonardo DiCaprio, als er in The Beach auf der Khao San Road einen Shot Schlangenblut trinkt. Die anderen Restaurantgäste im Se Wong Heep sind absolut zufrieden mit ihrer langsam gekochten, dickflüssigen Suppe mit Stücken von rosa Schlangenfleisch und dem gelegentlichen Hähnchenfleisch. Ich verschlang die Suppe bis auf den letzten Tropfen und stieg dann auf Klebreis mit lap cheong als Beilage um. Als ich aufgegessen hatte, war mir wirklich um einiges wärmer als zuvor.

Und die Rechnung? Gut acht Euro.