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naher osten

Hummus ist ein Spiegelbild des Nahost-Konflikts

Laila El-Haddad, Koautorin von The Gaza Kitchen, erklärt uns, warum wir uns auch an einem Dip die Finger verbrennen können. Und warum für viele Palästinenser in Hummus die Botschaft „Schaut her, es gibt uns tatsächlich!" steckt.

Im Rahmen einer 72-stündigen Waffenruhe hat Israel erklärt, dass es seine Bodentruppen aus Gaza zurückziehen werde, wo in dem nunmehr fast einmonatigen Konflikt 1.834 Palästinenser und 67 Israelis ihr Leben verloren haben.

Der Dank dafür könnte an Ägyptens Vermittlungsgeschick gehen, oder aber—zähneknirschend—an Hamas und Islamischer Dschihad für deren Entscheidung, einem Vorschlag endlich mal zuzustimmen. Aber definitiv nicht an #hummusselfies, ein neuer—und vor allem alberner—Social-Media-Trend, der Israelis und Palästinenser dazu auffordert, ihre Differenzen über einem Teller Mezze beizulegen.

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Wie bei den meisten anderen Hashtag-Stürmen sollen #hummusselfies das Bewusstsein möglichst vieler Leute erreichen, die allesamt eine Sache gemeinsam haben: Sie haben in dem Entscheidungsprozess fast nichts zu sagen. Anstatt etwa Spenden zu sammeln für die 260.000 Palästinenser, die im Zuge des Konflikts vertrieben wurden und keinen Zugang zu Wasser und Elektrizität haben, hat es sich die französische Facebook-Gruppe The Hummus Initiative zur Aufgabe gemacht, „Gemeinsamkeiten zwischen den sich bekriegenden Völkern aufzuzeigen, anstatt sich auf die Unterschiede zu konzentrieren."

Aber Hummus-Selfies sind nicht nur für sich genommen eine absurde Idee. Denn obwohl Hummus von Juden, Muslimen und Christen der Region gleichermaßen verehrt wird—und Hummus ein Gericht ist, dessen Ursprung, auch sprachlich, zweifelsohne arabisch ist (im Arabischen bezeichnet „hummus" sowohl Kichererbsen als auch den Dip, der aus ihnen hergestellt wird)—bleibt die Frage, wer wirklich Anspruch auf Hummus erheben kann, heftig umstritten.

Außerhalb der Region wird der Hummus-Markt weitgehend von israelischen Firmen dominiert: Sabra hat in den USA einen Marktanteil von 63 Prozent und liegt damit deutlich vor dem zweitgrößten Anbieter Tribe (7 Prozent). (Sabra stand auch im Fokus von einigen medienwirksamen Boykotts aufgrund der Verbindung des Mutterkonzerns zu den israelischen Verteidigungsstreitkräften.) Während Israelis die weltweite Hummus-Kampagne anführen, schreien Palästinenser vielerorts auf, da sie den Diebstahl von einem ihrer Kulturgüter beklagen.

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Aber hier geht es natürlich um mehr als nur einen Dip. Und die Slactivist-Kampagnen rund um ein Essen, das ein Spiegelbild von viel tiefergehenden kulturellen und politischen Spannungen ist, deuten darauf hin, dass die Leute weder den geschichtlichen Hintergrund noch die Empfindlichkeit beider Gruppen hinsichtlich kulturellem Erbe und Eigentum verstanden haben.

Um die Streitigkeiten besser nachvollziehen zu können, habe ich Laila El-Haddad, eine palästinensische Aktivistin und Koautorin von The Gaza Kitchen aus Maryland, darum gebeten, mir über die Wichtigkeit von Essen für die palästinensische Identität zu erzählen.

MUNCHIES: Hey Laila. Ist es möglich, mit Hummus eine Brücke zwischen Israelis und Palästinensern zu schlagen ? Laila El-Haddad: Dieses Thema kam während vieler Gespräche, auch zu meinem Buch, immer wieder auf. Meine Koautorin Maggie Schmitt und ich nennen das auch „Hummus-Kumbaya." So simpel ist es aber nicht. Man kann nicht einfach sagen: „Wir mögen Hummus, ihr mögt Hummus. Warum können wir nicht einfach Frieden schließen?" Wir lehnen den Gedanken ab, dass wir über Hummus zueinander finden sollen, aber dabei all die zugrundeliegenden Kernthemen ausblenden: also persönliche Grundrechte und Gleichberechtigung. Es geht hier um weit mehr als nur Hummus.

Obwohl Hummus sowohl in der israelischen als auch in der arabischen Küche ein fester Bestandteil ist, werden viele Personen bei dem Thema der Inbesitznahme äußerst dünnhäutig. Das Problem ist, wenn du einen Teil der Anderen, in diesem Fall der Palästinenser, anerkennst, aber den Rest komplett ignorierst. Du sagst also „Ja, ich akzeptiere diesen Teil von dir, diesen einen kulturellen Aspekt, da ich ihn mag, aber von deinen territorialen Ansprüchen, deinen Forderungen nach einem Platz in der Geschichte, nach Grundrechten, nach Freiheiten will ich nichts wissen. Aber hey, wir können doch alle zusammen Hummus essen, also ist alles gut." In einem anderen Zusammenhang haben die Leute meist kein Problem damit, ihr Essen—und den Besitzanspruch darauf—zu teilen, doch wenn du eben nur einen Teil anerkennst und den Rest willentlich ausblendest, gibt es ein Problem.

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Du hast im letzten Jahr **in Bon Appétit mit Yotam Ottolenghi über die palästinensische und israelische Küche gesprochen und gesagt, es gehe bei den politischen Fragen rund um *palästinensisches* Essen „nicht so sehr um Eigentumsansprüche, sondern vielmehr um ein abwertendes Auftreten, das die Geschichte verdreht**." Noch einmal: Das Problem entsteht dann, wenn du ausschließlich einen Aspekt eines Volkes akzeptierst und gutheißt, so wie etwa die ersten Zionisten. Ich denke in diesem Zusammenhang an Stewardessen von El Al, die in palästinensischen Kleidern ihrer Arbeit nachgingen. Und als die ersten Zionisten vor 1948 nach Palästina kamen, haben sie die Kultur und Küche des Landes übernommen, sich dem Rest gegenüber aber herablassend verhalten.

So ein Auftreten kannst du noch heute sehen. Die meisten Palästinenser fühlen sich beleidigt, wenn sie als die Anderen, als ein Haufen von Barbaren dargestellt werden. Das israelische Außenministerium twitterte vor ein paar Tagen, dass das jüdische Volk schon vor 3.500 Jahren von Kinderopfern Abstand genommen hat, im Gegensatz zu den Palästinensern. Der Stein des Anstoßes sind genau solche rassistischen und stereotypisierenden Karikaturen.

Aber auch der Anspruch auf Eigentum ist ein wichtiger Aspekt, was mich zu der Frage bringt, wann genau eine Essenskultur offiziell beginnt. Die türkische Küche beispielsweise entstand durch den Zusammenfluss vieler regionaler Küchen, die unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches standen und nach und nach integriert wurden. Wann kann eine Kultur den Anspruch auf eine eigene Küche erheben? Das ist eine sehr gute Frage. Du kannst nicht so leicht eine Grenzlinie ziehen, und darum geht es auch nicht wirklich. Denn die Leute sind stolz und glücklich darüber, wenn sie ihr Essen mit anderen Völkern teilen können. Aber bist du an unserem Essen und unseren Rezepten nur deswegen interessiert, weil du mich dadurch meines Besitzanspruchs und meiner Identität berauben willst? Oder tust du es, weil es dir wirklich am Herzen liegt, mehr darüber in Erfahrung zu bringen, und du zudem bereit bist, auch mich und meine Forderungen zu berücksichtigen?

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In dem Buch sprechen wir darüber, wie Palästina ein geographisches Kontinuum bildet, das sich bin in das alte Osmanische Reich erstreckt. In dieser Region treffen auch Einflüsse aus dem Mittelmeerraum, darunter Griechenland und Ägypten, und aus dem vorderen Orient aufeinander. Alles wird zusammengemischt, weswegen die Küche in Gaza schon sehr besonders ist. Du erkennst viele Parallelen—Gerichte und Zutaten, die so oder so ähnlich auch in anderen Ländern des vorderen Orients und bis in die Türkei vorkommen—aber auch solche, die du nirgendwo anders findest.

Es wird niemand sagen, dass dieses Essen nur uns gehört. Und selbst bei Essen, das nur für eine bestimmte Region sehr typisch ist, konnten wir feststellen, dass die Einheimischen ihre Gerichte gerne mit Fremden teilen. Viele Bekannte haben mich gefragt: „Hatten die Leute keine Bedenken, ihre Gerichte und Rezepte mit anderen zu teilen? Schließlich würde ihnen so auch noch das letzte verbliebene Eigentum weggenommen werden?" Aber ganz im Gegenteil. Die Palästinenser meinten zu uns: „Kommt, lasst uns zusammen essen! Und dann tragt diese Gerichte in die Welt und akzeptiert uns für die, die wir sind. Schaut her, es gibt uns tatsächlich und wir werden auch nicht aufhören zu existieren."

Das ist ein wichtiger Punkt. Einerseits wollt ihr, dass eure Küche viel mehr Menschen ein Begriff wird, andererseits birgt das natürlich auch das Risiko, dass sie dadurch an Ursprünglichkeit und Authentizität einbüßt. Es gab letztes Jahr einen Aufschrei, als ein Artikel *in der israelischen Tageszeitung Haaretz Za'atar „das Gewürz Israels*" nannte. Die Autorin hat ihren Artikel später *in The Atlantic* verteidigt, indem sie erklärte, die Überschrift sei vermutlich vom Redakteur verändert worden, auch weil er den Artikel für nicht so wichtig hielt. „Und warum sollten wir auch?", schreibt sie. Wir sprechen hier ja nicht von der Grünen Linie, sondern nur von ein paar grünen Kräutern."** Wir erwähnen genau diesen Artikel in unserem Buch. Wie ich mitbekommen habe, verwenden Food-Magazine immer häufiger die Formulierung „ein Gewürz aus dem Nahen Osten." Za'atarals israelisch zu bezeichnen, obwohl es auf eine mehrere Tausend Jahre alte Geschichte zurückblickt, ist—vor allem wohl für Palästinenser—sehr verletzend. Das fühlt sich beinahe so an, als würde man sie auf diese Weise auch ihrer Rechte, Ansprüche und Geschichte berauben. Fast so, als ob es hieße: „Wir sind auf dieses Land gestoßen und haben dabei dieses tolle Gericht entdeckt."

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Nun ist es nicht untypisch für eine vorherrschende Kultur, die Geschichte aus ihrer Perspektive zu schreiben, wobei Aspekte wie Essen oft unter den Tisch fallen. Ja. Doch gerade für Menschen in kolonisierten und besetzten Regionen gehört ihre Küche zu den wenigen Dingen, an die sie sich noch klammern können und über die sie sich identifizieren und der Welt mitteilen: „Wir existieren tatsächlich, löscht uns nicht aus. Hier sind wir."

Und noch ein Wort zu Za'atar. Es gibt eine Anweisung vom israelischen Militär, die es Palästinensern verbietet, Za'atar zu sammeln, das sie neben anderen Wildkräutern schon seit Jahrhunderten kultivieren. Bei Zuwiderhandlung erwartet sie eine Geldstrafe. Dasselbe gilt auch für das Pflücken von akoub, einer wild wachsenden Distel, die ebenso beliebt ist. Also sind Palästinenser gezwungen, heimlich auf die Jagd nach Za'atar zu gehen. Das ist rein politisch motiviert und dazu albern, weil es sich um ein winterhartes, schnellwachsendes Kraut handelt. Warum solltest du also das Sammeln verbieten und dazu noch behaupten, es sei bedroht, was nicht der Wahrheit entspricht?

Im letzten Jahr hast du mit Vered Guttman von der Washington Post über Essen und Kolonialismus gesprochen, der Folgendes geschrieben hat: „Das Problem liegt nicht im Hummus, sondern in der noch immer ungelösten Okkupation. Der palästinensische Einfluss auf die israelische Küche ist ganz natürlich, was vor allem daran liegt, dass sie darauf basiert, was das Land zu bieten hat." Nichts ist natürlich daran, ein Land zu besetzen und die Einwohner rauszuschmeißen, um sie dann in Ghettos zusammenzutreiben. Erst wenn du irgendwann all diese tieferliegenden Streitfragen lösen konntest und auch zu deinen Taten stehst und die einheimische Bevölkerung im Ganzen akzeptierst—ich glaube, die Punkte gehören zusammen—kannst du sagen: „OK, wir sind auf dem richtigen Weg."

Niemand sagt „Iss nicht das Essen", aber es ist schon ein emotionales Thema.

Danke für das Gespräch, Laila.