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Fußball

3 Gründe, warum niemand zu Schweinsteigers Abschied geht

Für die Partie gegen Finnland wurden nur etwas mehr als die Hälfte der Tickets verkauft. Diese mickrige Kulisse hat der verdiente Weltmeister der EM, dem DFB und der Bundesliga zu verdanken.
Foto: Imago

„Servus, Basti" steht auf den Plakaten für die heutige Partie der deutschen Nationalmannschaft gegen Finnland. Daneben ist ein siegesschreiender Bastian Schweinsteiger abgebildet, die goldenen Worte „Teamplayer. Leader. Vorbild. Kapitän." veredeln das Bild. Der Mittelfeldspieler verkündete nach zwölf Jahren im Trikot der deutschen Nationalmannschaft seinen Rücktritt und schnürt sich nun zum 121. und letzten Mal die Schuhe für die Nationalelf. Aus dem geplanten Freundschaftsspiel soll die große Abschiedssause für Bastian Schweinsteiger werden. Wie VICE Sports heute auf Nachfrage mitgeteilt wurde, wollen jedoch gar nicht so viele Fans bei Bastis letzten Tanz dabei sein: Bisher wurden nur 24.000 Karten für das Spiel im Mönchengladbacher Borussia-Park verkauft—43.000 Zuschauer hätten ins Stadion gepasst. Selbst sein Trainer Jogi Löw machte dieser Tage noch Werbung für das Spiel, weil es „ein bisschen schade für Bastian" sei, wenn „das Länderspiel nicht ausverkauft sein wird." Doch all das half nichts.

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„Servus, Basti" - @BSchweinsteiger bei #GERFIN ein letztes Mal im DFB-Trikot. Alle Infos https://t.co/ku8u0P7sJx pic.twitter.com/6rCCJjSSJW
— Die Mannschaft (@DFB_Team) 16. August 2016

Aber woran liegt es, dass ein Weltmeister, der über ein Jahrzehnt lang die Nationalmannschaft und den größten deutschen Verein prägte, vor solch einer mickrigen Kulisse seinen Abschied feiert? Drei Gründe könnten dafür den Ausschlag geben.

EM-Überdruss

Die diesjährige Europameisterschaft in Frankreich ist fast zwei Monate her, doch schon alleine der Gedanke an das Turnier lässt Magen und Darm Tango tanzen. Ein aufgeblähter Spielmodus, überspielte Spieler, Fan-Krawalle und die stetig wachsende Ablehnung für Mega-Events von schmierigen Sportverbänden machten aus dem EM-Turnier eine emotionslose Begleiterscheinung, die man nur guckte, weil man es immer schon getan hat. Das Schwenken einer Deutschland-Fahne fühlte sich quälend an, auf Public Viewings trafen sich nur Leute, die sich nach dem schönen Gefühl der Vergangenheit sehnten. Zudem gab es ohne Titel natürlich auch kein Sommermärchen. Neben Sympathieträgern wie der isländischen Nationalmannschaft wirkte „Die Mannschaft" zu steril, zu emotionslos, zu langweilig. Und wenn die EM schon so unnötig ist, was ist dann ein Freundschaftsspiel gegen den Weltranglisten-61. Finnland direkt nach dem geilen Vorspiel des ersten Bundesliga-Spieltags?

Lust auf Vereinsfußball

Die Nationalmannschaft ist eine Turniermannschaft und findet für die meisten Fans nur bei diesen statt. Wenn man nicht gerade stolzes Mitglied des Coca-Cola-Fanclubs ist, dann sind Quali- und Freundschaftsspiele eher eine Beschäftigungtherapie wie „Two and a Half Men" im Nachmittagsprogramm. Für den Fan überwiegt die Liebe zum Vereinsfußball. Hier kann der Deutsche seinen Lokal-Patriotismus unbekümmert ausleben und die Liebe zu Wappen und Farben fühlt sich noch nach Schmetterlingen im Bauch, zitternden Knien beim Anpfiff und bitterlichen Tränen nach einer Niederlage an. Man kann voller Inbrunst vom „geilsten Klub der Welt" singen—Nein, Deutschland ist das sicherlich nicht.

Viel voller wird es wohl nicht; Foto: Imago

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Kein Wunder, dass in einer Stadt wie Mönchengladbach, wo die Borussia der größte Stolz ist, das Stadion bei einem müden Freundschaftskick der DFB-Elf nicht voll wird. Es ist schon das dritte Spiel innerhalb von sieben Tagen im Borussia-Park. Die Stimmung der Gladbacher Fans ist selbst an schlechten Tagen immer noch besser als die beste Performance der „Drei-Lieder-Ultras" der Nationalmannschaft. Zudem beschwerten sich die Gladbacher Ultras zuletzt über die ihrer Meinung nach zu hohen Ticketpreise für die Champions-League-Spiele der Borussia. Für das Servus mit Basti und dem Testspiel gegen Fußballzwerg Finnland müssten sie happige Preise zwischen 25 Euro (ermäßigt 18 Euro) und 75 Euro zahlen. Das schreckt wohl auch die Nicht-Gladbach-Anhänger aus der Region ab. Da bezahlt man lieber ähnliche Preise für die schon ausverkauften Champions-League-Spiele gegen die Fußball-Leckerbissen Barca, ManCity und Celtic.

0815-Ikone Schweinsteiger

Bastian Schweinsteiger ist nicht irgendein Nationalspieler. Er ist nicht nur ein großartiger Fußballspieler, sondern auch ein sympathischer Kerl. Jeder denkt mit einem Lächeln im Gesicht an die Blondie-Twins Poldi und Schweini, das Sommermärchen und sein blutverschmiertes Kämpfergesicht nach dem WM-Finale in Rio. Vom dribbelnden Außenspieler wurde er zum 6er-Biest-Bastian, der die Fäden im Mittelfeld zog und neben lauter filigranen Künstlern „deutsche Tugenden" einbrachte. Schweinsteiger war wirklich „Teamplayer. Leader. Vorbild. Kapitän." Schweinsteiger war sicherlich einer der besten deutschen Fußballer der letzten zehn Jahre. Aber eben nur einer—und nicht der. Zwar wird er beim FC Bayern zurecht wie ein Heiliger verehrt, doch für viele Nicht-Bayern-Fans ist er keine Ikone, der man zu jedem Preis in einem Stadion noch mal zum Abschied huldigen will. Schweinsteiger ist schon seit Jahren auf Abschiedstournee. Seine ständigen Verletzungen ließen ihn bei fast jedem Testspiel der Nationalelf in den letzten Jahren fehlen, zwangen ihn dazu bei der EM nur noch Ergänzungsspieler zu sein und bringen ihm bei Manchester United wohl erstmal nicht mehr als einen gutbezahlten Tribünenplatz ein.

Nun bekommt er also ein halbherziges Freundschaftsspiel in Mönchengladbach zum Abschied geschenkt. Ein Abschiedsspiel in München hätte wohl einen emotionalen Charakter gehabt, wäre seiner Errungenschaften gerecht geworden und hätte die Arena gefüllt. Aber solch ein Spiel in Mönchengladbach guckt der 0815-Fußballliebhaber aus NRW wohl eher in HD auf der Couch—und sucht auf dem Secondscreen noch nach bezahlbaren Karten für Gladbach gegen Barca.

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