Ultras dürfen nicht trauern
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Polizeiwillkür

Ultras dürfen nicht trauern

Zu Ehren eines verstorbenen Freundes wollten Nürnberger Ultras ein Gedächtnisturnier veranstalten. Doch die Polizei im fränkischen Mellrichstedt versuchte systematisch, die Veranstaltung zu sabotieren. Ein Konflikt, der sinnbildlicher nicht sein könnte.

Vor mehr als einem Jahr kam Adrian „Adi" Fiedler bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Adi, Mitglied bei den Ultras Nürnberg, starb mit nur 23 Jahren, weil ihm die Vorfahrt genommen wurde. Adi war eine Frohnatur, ein besonderer Mensch. Kurz nach seinem Tod entschlossen sich seine Freunde dazu, ihm zu Ehren ein Gedächtnisturnier zu veranstalten. „Natürlich wollten wir das Turnier in seinem Heimatort Mellrichstadt veranstalten und alle gemeinsam zu seinem Grab gehen. Der Sportplatz mit Veranstaltungshalle ist nur wenige Minuten vom Friedhof entfernt", erzählt Manuel, der wie Adi Mitglied bei den Ultras Nürnberg, Sektion Unterfranken, und einer der Organisatoren des Gedächtnisturniers ist.

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Für das große Turnier am 20. Juni auf dem städtischen Sportplatz in Mellrichstadt war alles angerichtet. „Der Bürgermeister schrieb uns, dass wir unter Vorbehalt den Platz bekommen", erzählt Adis Freund Manuel. In dem Schreiben des Mellrichtstädter Bürgermeisters Eberhard Streit wird erklärt: „Vorbehaltlich deshalb, weil der Sportplatz nur genutzt werden kann, wenn es die Platz- und Witterungsverhältnisse zulassen […]"

Bremer Ultras und ihr Kampf gegen rechte Hooligans und die Staatsgewalt

Nach der Zusage wurden zahlreiche Einladungen an Freunde und Bekannte verschickt. Adi kannte über die Fanszene viele Menschen, sodass sich Weggefährten aus Nürnberg, Göteborg, Larissa, Wien, Gelsenkirchen und Brescia ankündigten. Den Organisatoren war aber vor allem wichtig, dass nicht nur Adis Freunde aus der Ultraszene, sondern auch seine Familie, die Nachbarn, die Freunde, der Motorradclub oder Adis Anglerfreunde eingeladen werden. Adis Eltern waren von der Idee des Turniers, dem Zuspruch und dem Gedenken an ihren verstorbenen Sohn so überwältigt, dass sie bei der Organisation mithalfen. Für jede der Mannschaften wurden in Anlehnung an Adis kroatische Wurzeln ein Trikotsatz mit Karomuster angefertigt. Adis Eltern orderten Fleisch zum Grillen. Andere Freunde und Familienangehörige wollten Kuchen backen.

Doch dann der Schock: Zwei Monate vor dem Turnier erreichte die Organisatoren die Nachricht, dass der Fußballplatz wegen Sanierungsarbeiten ausgerechnet an diesem Wochenende gesperrt sei! In einem persönlichen Gespräch mit Bürgermeister Eberhard Streit offenbarte der Politiker jedoch die wahren Begebenheiten der Absage und es schien so, als ob es sich bei den Sanierungsarbeiten nur um einen vorgeschobenen Grund handeln würde. „Er erzählte uns von einer Mail der Polizei, wo unter anderem ein 28-minütiges Video von unserem Freundschaftsspiel in Wien angehangen war", erzählt Manuel. „Man kann doch kein Fußballspiel, wo 800 Leute mit dem Sonderzug anreisen und 2000 Leute im Gästeblock stehen, mit einem Gedenkturnier vergleichen."

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Dem Bürgermeister sei zusätzlich mitgeteilt worden, dass sich wohl gewaltbereite und rechtsradikale Ultras aus dem In- und Ausland in Mellrichstadt treffen würden, eventuell sogar die Münchener Ultragruppierung Schickeria kommen werde und Mellrichstadt danach in Schutt und Asche läge. Die Beamten haben zudem Angst davor gehabt, dass das Flüchtlingsheim neben dem Sportplatz eventuell beschmiert wird oder es zu Konflikten kommen könnte. „Wir wissen nicht, woher sie diese falschen und rufschädigenden Behauptungen haben", schildert Manuel die Anschuldigungen.

Nach einem Blick auf die Einladung, welche unmissverständlich andere Worte als die Katastrophenvoraussagen der Polizei beinhaltete, teilte der Bürgermeister mit, dass er nochmals mit der Firma für die Sanierungsarbeiten reden würde. Wenige Tage später folgte in einem Schreiben von Bürgermeister Eberhard Streit jedoch eine Absage. Für die Eltern, Organisatoren und Freunde ein Schock. „Wir hatten schon Essen geordert, Trikots bezahlt und die Gäste aus ganz Europa hatten schon ihre Anreise gebucht", erklärt Manuel.

Die Polizei Unterfranken schrieb in ihrer Stellungnahme an VICE Sports, dass es im Vorfeld von Veranstaltungen immer zu einer engen Abstimmung mit den Kommunen vor Ort kommt. Es sei erforderlich, weil vor allem „jüngere Besucher durch Alkoholmissbrauch, Straftaten bei Festen und in deren Umfeld (Gewaltdelikte: Körperverletzungen und Sachbeschädigungen) auffallen." Sie selbst stellten aber fest, dass „derartige Ausprägungen sicher bei gewöhnlichen „Trauerfeiern" oder „Gedenkfeiern" nicht zu erwarten" seien. In diesem Fall wurde dies aber auf einmal erwartet, ohne überhaupt genauere Erkenntnisse über die Teilnehmer oder den Ablauf der Feier zu haben. Den Veranstaltern des Gedächtnisturniers wurde ohne eine Erklärung unter der falschen Tatsache der „Sanierungsarbeiten" einfach abgesagt.

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Laut der Polizei Unterfranken habe es „Hinweise darauf gegeben, dass es auch zu Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kommen könnte." Diese Einschätzung beruht auf „polizeilichen Erkenntnissen bezüglich der Gruppierung des Veranstalters und der mangelnden Kooperations- und Kommunikationsbereitschaft", so die Polizei. Die subjektiven Erfahrungen aus der Vergangenheit mit Ultragruppierungen oder den Ultras Nürnberg projizierte man also schon von Anfang an auf die Organisatoren. Man beharrte in der Stellungnahme noch, „dass die Polizei hier keinesfalls generalisieren möchte". Sie taten es trotzdem und vorverurteilten Adis Freunde. Warum die Polizei die angeprangerte Kooperations- und Kommunikationsbereitschaft nicht selber zeigte, wurde von ihnen nicht beantwortet. „Nicht ein Mal sprach die Polizei mit uns, sondern versuchte lediglich, mit lauter schwachen Indizien und offensichtlich falschen Informationen mit aller Macht die Veranstaltung zu verhindern", erzählt Manuel wütend und enttäuscht.

Während der Suche nach einem neuen Sportplatz erreichte die Organisatoren der Gedenkfeier die nächste Hiobsbotschaft. In einem weiteren Schreiben wurde mitgeteilt, „dass es sich bei der als „Gedenkfeier" gemeldeten Veranstaltung nicht um eine private Feier handelt", sondern „um eine Feier des Vereins „Ultras Nürnberg 1994 Sez. Unterfranken"". Der Säulensaal sei ausschließlich für Mellrichstädter Bürger und deren Feiern zu vergeben. „Für uns war das ein Schock", erzählt Manuel. Bürgermeister Eberhart Streit entschuldigte sich wenig später bei Adis Familie, beteuerte, keine Möglichkeit gehabt zu haben und sprach davon, dass die Polizei zu viel Druck aufgebaut hätte. „Das Ganze war ein Armutszeugnis für den Heimatort von Adi und seiner Familie", erzählt Manuel immer noch mit Wut im Bauch. Auf die Anfrage von VICE Sports, in der um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten wurde, meldete sich Bürgermeister Eberhard Streit bis heute nicht.

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Das offensichtliche Interesse der Polizei, diese Veranstaltung zu verhindern, ließ die Organisatoren umdenken. Egal, wo sie spielen würden, die Polizei würde dazustoßen. „Wir wollten auf keinen Fall, dass es zur Möglichkeit einer Eskalation kommen könnte, die im Nachgang die Polizei wiederum als Rechtfertigungsgrund für ihre Maßnahmen herangezogen hätte", erklärt Manuel. Eine Absage kam aber nicht in Frage. Adis Freunde wollten ihm, aber auch anderen Verstorbenen im Freundeskreis, gedenken. Um einem Konflikt aus dem Weg zu gehen, wurde abseits von Mellrichstadt—dieses Mal bewusst ohne den offiziellen Gang über die Behörden—nach einem neuen Veranstaltungsort gesucht. „Das haben wir gemacht, damit die Polizei möglichst außen vor bleibt und das Turnier in Ruhe stattfinden kann", erklärt Manuel. „Leider hatte dies auch zur Folge, dass wir den gemeinsamen Gang zum Grab, also den wichtigsten Teil, absagen mussten."

Nach den Umplanungen und dem erheblichen Mehraufwand an Arbeit für die Organisatoren sagte der Vermieter der neuen Location einen Monat vor dem Turnier, auf Anraten der Polizei, ebenfalls ab. Ein weiterer Schock. „Wir sind es ja gewohnt, von der Polizei schikaniert zu werden. Wir nehmen das sportlich nüchtern auf, aber diesmal war das ein wirklich persönlicher Angriff auf uns", schildert Manuel das Vorgehen der Polizisten.

Für die Polizei Mellrichstadt ist die Absage gerechtfertigt, da die Anmietung des Veranstaltungsortes nur über eine Privatperson vollzogen wurde und es so zu einer „Verschleierungstaktik oder bewussten Täuschung der Behörden" durch die Organisatoren kam. Hauptausschlagpunkt der Absage war neben den zahlreichen Vorwürfen von aufgezählten Delikten, die den Ultras Nürnberg vorgeworfen und einfach so den Veranstaltern zugeordnet werden, der Status der angemeldeten privaten Feier. Es ergaben sich hinsichtlich „der Größenordnung der „privaten Gedenkfeier" aus polizeilicher Sicht erhebliche Zweifel daran, dass es sich um eine nicht-öffentliche Veranstaltung handelt" und es wurde „offenbar gezielt versucht, den tatsächlichen Veranstaltungsablauf zu verschleiern, denn die Anmietung erfolgte als „Familienfeier mit Freunden" bzw. „Grillfeier" mit etwa 100 bis 150 ausschließlich geladenen Gästen". Es war eine Familienfeier mit Freunden zum Gedenken an einen verstorbenen Freund, wo die Eltern das Grillfleisch zum Grillen kauften. Die Polizei sieht dies bis heute nicht so.

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Manuel kennt die Vorwürfe der Polizei nur allzu gut. Er wundert sich, dass in der Stellungnahme der Polizei nichts von den Anschuldigungen steht, die an den Bürgermeister von der Polizei herangetragen wurde. „Im Nachhinein wird nur auf den Punkt eingegangen, dass wir scheinbar fälschlicherweise eine private Feier angemeldet haben", erzählt er. In dem Schreiben an den Bürgermeister von Mellrichstadt Anfang des Jahres sprachen die Organisatoren von der Teilnahme von acht bis zehn Mannschaften. „Im Januar konnten wir natürlich noch nicht abschätzen, wie viele Leute kommen würden", erklärt Manuel. Schließlich wurden es 16 Mannschaften, wovon zwei aus bestehenden Teams geschaffen wurden, um die Gruppen aufzustocken.

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Die Polizeivorwürfe einer „Verschleierungstaktik" weist Manuel zurück. „Hätte die Polizei uns darüber informiert, dass wir scheinbar eine öffentliche Feier wegen fehlenden Fluchtwegen, zusätzlichen Toiletten oder GEMA-Rechten hätten anmelden sollen, dann hätten wir das natürlich in die Wege geleitet", erklärt er. Die Polizei sprach jedoch nie mit den Veranstaltern. Manuel und seine Freunde sind wütend über diese Schikane. „Wir hätten nie damit gerechnet, dass sie uns Steine in den Weg legen. Uns kam es nie in den Sinn, dass das irgendwie ein Problem darstellen könnte, wenn man zu Anfang die Besucherzahl grob schätzt! Der dritte Veranstaltungsort mit Fußballplatz wurde dann bewusst in einem anderen Landkreis gesucht, in dem die Polizei Mellrichstadt nicht mehr verantwortlich ist. Eine Zusage bekamen sie kurze Zeit später. Dennoch versuchte die Polizeiinspektion aus Mellrichstadt weiterhin, das Turnier zu verhindern. Ausgerechnet an Adis erstem Todestag suchten die Beamten das erste Mal überhaupt Kontakt zu den Eltern und riefen bei ihnen an. Mit allen Mitteln wollten sie wohl verhindern, dass das Turnier ohne ihre Kenntnis doch irgendwo stattfindet. „Mit der üblichen Masche versuchten sie von Adis Eltern Informationen zu bekommen, damit man „sich doch einigen" könnte", schildert Manuel. Diese Informationen bekamen sie an diesem Tag natürlich nicht.

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In letzter Not rief die Polizei eine Woche vor dem Turnier die Szenekundigen Beamten (SKB) der Polizei Nürnberg und den 1. FC Nürnberg an. Diese hatten jedoch keinerlei Bedenken und sprachen eine „Empfehlung" aus, „das Turnier planmäßig durchführen zu lassen." Ihnen zu Folge war ein „mögliches Gefährdungspotenzial hier nicht zu erkennen." Die Fanbetreuung bedauerte zudem, „dass die verantwortliche Polizei und die Vertreter der Stadt hier im Vorfeld nicht den Kontakt mit dem Verein gesucht haben."

Das Gedächtnisturnier sollte endlich stattfinden. Adis Freunde und Familie konnten ihm gedenken. Die Beamten verhielten sich ruhig. „Die Polizeiverantwortlichen dort haben nur mal fünf Minuten vorbei geschaut und einmal kurz nachgefragt, was wir so machen", erzählt Manuel. „Die sind jede Stunde mal vorbei gefahren, aber haben uns in Ruhe gelassen." Das Turnier fand bei gutem Wetter und in familiärer Atmosphäre mit verschiedenen musikalischen Beiträgen und einer Lichtershow statt. „Es war eines der emotionalsten Tage meines Lebens", fasst Manuel zusammen. Die Feier blieb friedlich. Es kam zu keinen Gewaltdelikten, Sachschäden oder gar fremdenfeindlichen Übergriffen.

Die Polizei Unterfranken sieht sich in ihrer Stellungnahme dennoch mit den endgültigen und tatsächlichen Zahlen der Feier bestätigt. Laut ihnen wurden 300 Personen gezählt. „Darunter zahlreiche überörtlich oder aus dem Ausland Angereiste. Alleine 100 waren per Bus gekommen. Insofern wurde von den Veranstaltern auch diesbezüglich getäuscht", schreibt die Polizei in ihrer Stellungnahme. Zahlreiche Gäste aus dem Ausland? Bei einer Gedenkfeier mit Freunden und Familie in einem Europa mit offenen Grenzen ist dies wohl nicht nur bei Fußballfans etwas Normales. Die Polizei prüft dennoch mögliche Verstöße, „z.B. wegen Abbrennen von Pyrotechnik". Doch die Panik im Vorfeld der Veranstaltung war komplett übertrieben, denn „zu Sicherheitsstörungen kam es darüber hinaus nicht."

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Die Angst der Polizei vor Ausschreitungen, Sachbeschädigung und gar Fremdenfeindlichkeit sind bei einer Gedenkfeier kaum zu verstehen. Im Nachhinein spricht keiner der Beamten mehr über diese Punkte. Das Verhalten der Polizei soll durch Lappalien wie dem Status der „privaten Feier", der Tatsache, dass Ausländer mit Bussen zu der Veranstaltung anreisten, und dem Vorwurf, dass die grob geschätzte Teilnehmerzahl Monate vorher falsch geschätzt wurde, gestützt werden. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass ein einziges Gespräch von der Polizei mit den Veranstaltern diesen respektlosen Umgang mit Adi, seiner Familie, seinen Freunden und vor allem den normalen Bürgern hätte verhindern können.

Der Fall zeigt die massiven Mängel der vernünftigen und nachhaltigen Polizeiarbeit in Deutschland auf. Wieso versuchte die Polizei mit allen Mitteln, eine Gedenkfeier zu verhindern, ohne mit den beteiligten Personen zu sprechen? Fußt die bewusste Einflussnahme der Polizei gegenüber des Bürgermeisters der Stadt Mellrichstadt auf massive Unwissenheit oder auf bewusst gestreute und falsche Behauptungen? Warum wurden die Szenekundigen Beamten der Polizei aus Nürnberg erst so spät kontaktiert? Was haben diese Menschen verbrochen, dass vom Staat angestellte Menschen so mit ihnen umgehen?

Nicht nur in Mellrichstadt, sondern in ganz Deutschland gibt bei der Polizei scheinbar seit Jahren keine Gründe, das eigene Verhalten zu hinterfragen. Diese Tatsache ist eines der Hauptprobleme, wieso die Polizei, „unser Freund und Helfer", nicht nur in Kreisen von Fußballfans immer wieder auf Ablehnung stößt. „Ich habe in den letzten 15 Jahren so viele Vorfälle mit der Polizei mitbekommen, aber ich habe noch nie irgendeine Einsicht oder Entschuldigung erfahren", lässt auch Manuel tief blicken.

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Nun ist die Ultra-Bewegung in Deutschland auch nicht ohne Fehler. Oftmals werden Grenzen überschritten und Gewalt wird von vielen Mitgliedern zwar nicht verherrlicht, aber oft als Maßnahme ergriffen. Dennoch gibt es—wie natürlich auch bei der Polizei—nicht nur schwarze Schafe. Ein Generalverdacht ist völlig verkehrt. Die Aufgabe, in diesem Konflikt zu vermitteln und auf den Gegenüber einzugehen, liegt aber bei den Beamten. Dafür gibt es sie. Doch das Vertrauen zu ihnen ist gestört.

Die Ultras wissen oftmals um ihre Fehler und versuchen diese aufzuarbeiten. Das gelingt nicht immer, doch ist es der Anspruch. „Uns Ultras wirft man immer vor, dass wir keine Selbstreflexion zeigen können, dabei setzen wir uns viel öfter und kritischer mit unseren eigenen Fehlern auseinander als die Polizei", erklärt Manuel. „Wir versuchen das nicht nur intern, sondern auch öffentlich zu hinterfragen." Die Polizei tut dies nicht—zumindest nicht öffentlich. Stattdessen werden noch härtere Sanktionen für Fußballfans gefordert. Die Beamten sprechen davon, dass die Ultras nicht mit ihnen in einen Dialog treten. Das Problem ist, dass sich die Fans nicht ernst genommen fühlen. Zu oft spricht man über sie, aber nicht mit ihnen. Das weiß auch Manuel: „Es fehlt ein Dialog auf Augenhöhe mit uns!"

Bürgermeister Streit wurde ein Horrorszenario präsentiert. Er hatte Angst, dass ihm sein OK für die Gedächtnisfeier sein Amt kosten könnte. „Er hatte ja bisher keine Berührungspunkte mit Fußballfans oder Ultras. Sie kennen nur Videos oder die einseitigen Presseberichte", vermutet Adis Freund Manuel. „Der hat wohl gedacht, die Welt geht unter, wenn wir kommen!" Durch ständige und plakative Kritik von Staatsschutz, Polizeigewerkschaften und sich profilierenden Innenministern hat die Ultrabewegung auch in der Gesellschaft ein schlechtes Standing. Die Stimmung im Stadion und die aufwendigen Choreos werden gefeiert, die Bewegung dahinter gemieden.

Die Medien nähren das negativ behaftete Bild der Ultras in der Gesellschaft nur. Von Gewalt, Randale und Fremdenhass ist immer wieder die Rede. Das Synonym „Hooligans" fällt nur allzu oft. Ein Artikel über die Geschehnisse aus Mellrichstadt von der Mainpost, der größten Regionalzeitung im Umkreis, spiegelt mit seiner negativen und subjektiven Sichtweise das voreingenommene Bild über Ultras in den Medien und der Gesellschaft wider. Kein Ultra wird gefragt, die Polizei nicht hinterfragt.

„Es passieren natürlich manchmal Dinge, die Polizei und große Teile der Gesellschaft nicht verstehen oder nachvollziehen können", gibt Manuel zu. Dennoch: Die Ultrabewegung ist eine Bereicherung für unsere Kultur. Sie fördert zwischenmenschliches, soziales und auch politisches Engagement von Jugendlichen. Die jungen Menschen können Verantwortung übernehmen und für eine gemeinsame Sache einstehen. Ein Konsens auf Augenhöhe muss geschaffen werden, sonst werden diese sich weiter isolieren. „Die Leute sollten sich mal ein bisschen offener zeigen und sich ein eigenes Bild darüber machen", fordert Manuel. Auf Adis Gedenkturnier klappte dies. Die Menschen gedachten gemeinsam einem Freund und Nicht-Ultras konnten Adis Faszination für diese Subkultur kennenlernen.

Die Ultras, Freunde und Familie sahen den Tag des Gedächtnisturniers als ein Fest für ihren verstorbenen Freund, Angehörigen und Sohn an. Sie wollen auch im nächsten Jahr das Turnier wieder auf die Beine stellen. Dennoch überschattete die Herangehensweise der Polizei den guten Zweck dieser Veranstaltung. Bis heute hat sich auch Bürgermeister Streit bei Manuel und seinen Freunden weder entschuldigt noch sich zusammen mit ihnen an einen Tisch gesetzt. Die Polizei hat sich weder bei den Eltern noch bei den Organisatoren für ihr willkürliches und rufschädigendes Verhalten entschuldigt. „Mit dem Bürgermeister würden wir nochmal reden, damit wir das Turnier auch in Adis Heimatstadt verwirklichen können", verrät Manuel. „Nicht, dass das falsch rüberkommt. Mit der Polizei herrscht kein Wunsch auf ein Gespräch—die sind sowieso nicht erkenntlich." Vielleicht sollten die Beamten in Mellrichstadt damit mal anfangen und den ersten Schritt machen.

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