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Gastronomie

Das muss sich in deutschen Restaurants ändern

Ich war in über 1.000 Restaurants in Deutschland, aber erst im Ausland wurde mir klar: Der Küche fehlt es hierzulande an internationaler Klasse. Noch.
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Beim „Food on the Edge"-Festival in Irland mit 50 der besten Köchen der Welt, merkte ich, was der deutschen Küche fehlt. Denn die Köche dort hatten alle zwei Sachen gemeinsam: Sie gehörten ausnahmslos zu der weltweiten Elite der Köche und fast keiner von ihnen war bisher in Berlin. Es war kein einziger deutscher Koch vertreten, wie so oft wie bei internationalen Kochevents. Man muss sich zwangsweise die Frage stellen, ob Deutschlands Köche es nicht gerade verschlafen, die Zukunft mitzugestalten.

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Berlin ist im Moment Deutschlands kulinarischer Innovationsmotor und ich kenne die Stadt sehr genau, mehr als 1.000 Restaurants habe ich hier schon besucht. Manch einer (inklusive mir selbst) macht sich große Hoffnungen, dass sich Berlin in den nächsten Jahren vom hässlichen Küchenentlein in ein spannendes und international anerkanntes Gastro-Ziel entwickelt. Doch es bleibt viel zu tun.

Im Moment ist Berlin gastronomisch ziemlich isoliert und liegt weit hinter den großen Innovatoren der Food-Welt. Die findet man vornehmlich in den USA, Spanien, Dänemark, Schweden, Australien oder Südamerika. Sogar England hat in den letzten Jahrzehnt die Kurve elegant gekratzt und gehört heute zu den heißesten Food-Spots Europas. Dabei war es jahrzehntelang der Inbegriff der Deutschen für schlechtes Essen.

Food On the Edge - Christian Puglisi

Christian Puglisi vom Relæ auf dem Festival (rechts).

Zwischen Folk-Dance-Sessions mit Pierre Koffmans (französische-britische Kochlegende, ehemals mit 3 Sternen) Frau, Whisky-Wettrinken mit Matt Orlando aus dem Ammass in Kopenhagen und Cheeseburger Orgien mit aus „Mind of a Chef" Sean Brock habe ich gelernt, woran es in Deutschland fehlt:

1. Der Koche muss mehr Bauer sein
In Deutschland wird das Thema „regionale Zutaten" tatsächlich noch immer von einigen traditionellen Medien verhöhnt und die Benutzung von Zutaten aus aller Welt gepriesen. Was die meisten hier nicht verstehen, ist, dass es bei Regionalität in erster Hand um Qualität geht. Die Köche können an der Produktion mitwirken und die Zutaten besser verstehen. Christian Puglisi aus Kopenhagen ist Ex-Noma Koch und der heutige Besitzer von weltberühmten Restaurants wie Relæ, Manfreds und Bæst. Er erklärte mir das Ganze am Beispiel Mozzarella: „Ich wollte für mein Restaurant Bæst den allerbesten Mozzarella, aber da Mozzarella eine Frischware ist, die mit jeder Minute an Qualität verliert, konnte ich meinen Käse nicht importieren, sondern musste einen anderen Weg finden. Deswegen starteten wir letztes Jahr einen kleinen Hof außerhalb von Kopenhagen, in dem heute ein paar wahnsinnig glückliche Jersey-Kühe unglaubliche Milch produzieren, aus der wir im Restaurant frischen und einzigartigen Mozzarella machen und den Gästen sofort frisch servieren." Falls wir in der traditionell kargen Berliner und Brandenburger Region neue Qualitäts-Niveaus erreichen wollen, muss der Koch zum Bauer werden und selbst maßgeblich die Produktionsprozesse beeinflussen.

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2. Die Politik muss helfen
Viele der Länder und Städte, die heute als kulinarische Innovatoren gefeiert werden und Touristen aus aller Welt anlocken, hatten nicht immer diesen Status. Dann wurden sie aktiv von staatlichen Institutionen unterstützt. Niklas Ekstedt aus Schweden (Restaurant Ekstedt): „Die schwedische Regierung hat vor sieben oder acht Jahren eine Initiative ins Leben gerufen, die die schwedische Gastronomie und Lebensmittelindustrie mit Fördergeldern unterstützt hat. Das hat teilweise sehr gut funktioniert und acht bis zehn Jahre später ist Stockholm voll mit weltbekannnten Restaurants." In Berlin gibt es auf jeden Fall noch Luft nach oben, was die Unterstützung der Gastronomie durch das Land und den Senat angeht.

Food On the Edge -Irish Seafood

Food auf dem Festival.

3. Global netzwerken
Die Abwesenheit von Berliner und deutschen Köchen auf Konferenzen wie „Food on the Edge" zeigt, wie isoliert die Gastronomie-Szene hierzulande noch ist. Die Küchen Kopenhagens und Londons sind voll von einheimischen und ausländischen Köchen. Die haben sich durch quer durch Restaurants und Kontinente gearbeitet, auf der Suche nach Inspiration. Deutsche Köche sind sehr bequem und nur die wenigsten haben Arbeitserfahrungen im Ausland. Die kalifornische Kochlegende David Kinch mit seinem Restaurant Manresa brachte das Ganze auf den Punkt: „Man muss sich vom Fleck bewegen, um sich zu entwickeln. Wir leben in einer globalen Welt und ein Koch kann sich nicht weiterentwickeln, wenn er nur in einem bekannten und bequemen Umfeld bleibt." Jeder Berliner Koch sollte wenigstens einmal aus Deutschland raus und in einem anderen Land und einer anderen Küche arbeiten. Das inspiriert nicht nur, sondern baut auch wertvolle Kontakte für die Zukunft.

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4. Kochen ist ein Call to Action
Der große Name des Symposiums war der italienische Megastar Massimo Bottura, bekannt u. a. von seinem Restaurant Osteria Francescana in Modena. Das ist gerade Nummer eins auf der „World's 50 Best Restaurants"-Liste. Er hielt einen reißenden Vortrag über sein Soup-Kitchen-Projekt während der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Er kochte dort mit Resten aus dem Olympischen Dorf Mahlzeiten für ein Armenviertel. Dort traf er auf Kinder mit Maschinengewehren, alles war unglaublich kompliziert: Er schaffte es am Ende dennoch, Tausende von Mahlzeiten zu servieren mit Wille und Kreativität. Einmal machte er aus Bananenschalen Bacon für eine Carbonara. Massimo stellte sich auf die Bühne und riss den Arm seines T-Shirts hoch um ein Tattoo zu zeigen: „NO MORE EXCUSES" stand da. Er hatte es sich spontan in Brasilien stechen lassen, um zu betonen, dass die Zeit des Redens vorbei sei.

Lasst es uns angehen!


Per betreibt die Seite „Berlin Food Stories". Er will alles über die Berliner Küche wissen. Mindestens. Geschätzte Restaurants in Berlin allerdings: 10.000.