Die schwule Clubszene wird die Tragödie von Orlando überleben
New Yorkers mourn the victims of the Orlando shooting by laying flowers at the foot of Christopher Street's storied Stonewall Inn. Photo by Emilie Friedlander.

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Die schwule Clubszene wird die Tragödie von Orlando überleben

Clubs sind die Gemeindezentren der LGBTQ-Community. Das Attentat vom Wochenende wird daran nichts ändern.

Ich lebe in New York. Letzten Samstag war ich anlässlich der Brooklyn Pride auf einer Party im Analog BKNY. Das Analog ist ein kleiner Club in Gowanus, einem der gottverlassensten Industrieorte Brooklyns. Die kleinen Menschentrauben, die am Club eintrafen oder ihn verließen, waren das einzige Anzeichen menschlichen Lebens weit und breit—sonst gibt es in dieser Ecke einfach nichts. Vor der Tür stand ein Security und gleich im Durchgang noch einer. Beide trugen das klassische, schwarze Türsteheroutfit und hatten einen Knopf im Ohr. Keiner von beiden war bewaffnet.

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Ich blieb bis 3 Uhr morgens im Club und schaffte es gegen kurz nach 4 Uhr in mein Bett—erschöpft aber glücklich darüber, dass ich zumindest für ein paar Stunden mit den Menschen aus meiner erweiterten Feierfamilie feiern konnte. Am nächsten Tag erwachte ich zu den Nachrichten aus Florida: Bei einer Schießerei im Pulse, einem beliebten Schwulenclub in Orlando, hatte es 49 Tote und 53 Verletzte gegeben. Erschwerend zu meinem Schock und meiner Trauer kam noch hinzu, dass das Massaker genau zur gleichen Zeit stattgefunden hatte, als ich gerade hier in New York tanzte und feierte. Das, was den Menschen in Orlando passiert war, hätte auch mir passieren können.

Die Nachricht traf mich wie ein schwerer Schlag. So sehr mich die Terroranschläge in den Clubs von Bali und Paris auch erschrocken hatten, hatte ich keine derartig tiefsitzende Verzweiflung mehr verspürt, seit die Twin Towers eingestürzt waren. Das war ein direkter und zielgerichteter Anschlag—nicht nur auf diese armen Seelen in Orlando, sondern die ganze LGBT-Party-Community. Meine Community. Als schwuler Mann, der gerne tanzen geht und seit Jahrzehnten über das schwule Nachtleben schreibt, traf mich dieser Anschlag mitten ins Herz.

Das Pulse ist nicht der erste amerikanische Schwulenclub, der von denjenigen angegriffen wurde, die uns zerstören wollen.

In anderen Worten: Das, was als schlimmster Terroranschlag auf amerikanischem Boden nach 9/11 und die schlimmste Massenschießerei in der Geschichte dieses Landes seit den Massakern an den indigenen Amerikanern beschrieben wird, ist gleichzeitig ein Angriff auf die ältesten Institutionen der LGBT-Welt: unsere Bars und unsere Clubs. Wie Präsident Barack Obama es schon in einem öffentlichen Statement am Sonntag gesagt hatte: „Der Attentäter hatte einen Club ins Visier genommen, in dem Menschen zusammenkamen, um mit ihren Freunden zu sein, um zu tanzen, zu singen und zu leben. Der Ort, in dem sie angegriffen wurden, ist mehr als nur ein Club, es ist ein Ort der Solidarität und der Selbstermächtigung, an dem Menschen zusammenkamen, um Aufmerksamkeit zu schaffen, um ihre Meinungen zu äußern und um für ihre Rechte einzustehen."

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Das Pulse ist nicht der erste amerikanische Schwulenclub, der von denjenigen angegriffen wurde, die uns zerstören wollen. Der mit Abstand schlimmste Anschlag vor Orlando ereignete sich 1973, als jemand die Upstairs Lounge in New Orleans in Brand setzte und 32 Menschen tötete. Es gab noch zahlreiche weitere Vorfälle, wie der in The Ramrod, einer Bar nicht weit entfernt von Christopher Street in Greenwich Village, New York, wo ein bewaffneter Mann 1980 zwei Mensch tötete und sechs verwundete. 1990 ging eine selbstgebastelte Rohrbombe im Uncle Charlie's, ebenfalls in Greenwich Village, hoch.1997 zündete jemand eine Nagelbombe an der Otherside Lounge in Atlanta und verwundete fünf Menschen. 2000 schoss ein Scharfschütze auf das Backstreet Cafe in Roanoke, Virgina, tötete eine Person und verletzte sechs weitere.

Ein junger Mann bei einer der spontanen Gedenkveranstaltungen am Ufer des Lake Eola in Orlando. Foto: Dylan Flynn

Seit dem 19. Jahrhundert sind Schwulenbars ein wichtiger Treffpunkt für diejenigen, die aus Furcht den grundlegendsten Aspekt ihres Daseins zu verstecken: wen sie lieben. Vor den Stonewall Riots waren Schwulenbars nicht nur der einzige Ort, an dem man sich nicht nur treffen sondern auch organisieren konnte; über mehrere Jahrzehnte hinweg waren sie oft der erste Ort, an dem Männer und Frauen erkannten, dass es, ja, noch andere gibt, die so sind wie sie. Sie waren unsere Begegnungsstätten—und in vielen kleineren Städten haben sie diese Funktion noch immer. Selbst in einem Zeitalter der LGTBQ-Zentren, queeren Gotteshäusern, schwulen Studentenverbindungen und professionellen Vereinen bilden sie noch immer einen zentralen Mittelpunkt des modernen lesbischen und schwulen Lebens.

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Meinen erste Schwulenbar habe ich Mitte der 70er besucht, nachdem ich mich bereits geoutet hatte. Ich verstehe die Gefühle, die L.A. Times Journalistin Noelle Carter empfunden hat, als sie—in den 90ern und bereits über 20—zum ersten Mal einen Fuß, in eine lesbische Bar setzte: „Ich war gleichzeitig nervös und begeistert bei dem Anblick", schrieb sie. „Das war die erste Lesbenbar—der erste offen queere Ort überhaupt—, in dem ich jemals gewesen war und sie war voll mit Frauen, die genau so waren wie ich. Ich werde dieses Gefühl niemals vergessen."

Gleichgeschlechtliches Tanzen war immer schon ein wichtiger Bestandteil des Zugehörigkeitsgefühls und Teil der mühselig erkämpften Freiheiten der queeren Community, die eigenen Gefühle offen ausdrücken zu können. Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle einen Artikel darüber geschrieben, wie der Wille auf ein Recht auf gleichgeschlechtliches Tanzen einer der Hauptauslöser für die Unruhen in New Yorks Stonewall Inn von 1969 war—den Unruhen, die allgemein als Beginn der modernen Schwulenbewegung wahrgenommen werden. „Es war die einzige Bar, in der wir eng miteinander tanzen konnten", berichtete mir Thomas Lanigan-Schmidt, der damals dabei gewesen war, über das Stonewall. „Das war unglaublich revolutionär. Die Möglichkeit, mit jemandem vom gleichen Geschlecht tanzen zu können, änderte dein ganzes Selbstbild. Indem du einen solchen zärtlichen Moment ausleben konntest, hast du dich total vermenschlicht gefühlt."

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Erschwerend zu meinem Schock und meiner Trauer kam noch hinzu, dass das Massaker genau zur gleichen Zeit stattgefunden hatte, als ich gerade hier in New York tanzte und feierte. Das, was in Orlando passiert war, hätte auch mir passieren können.

Über die Jahre ist das schwule Nachtleben mit dem steigenden Vermögen der Veranstalter gewachsen. Während meiner Jahre als Berichterstatter der internationalen queeren Partyszene habe ich von der ersten Reihe aus miterleben können, wie sich Schwulenclubs von zwielichtigen Hinterhoflofts zu glamourösen Großveranstaltungen gemausert haben. Gleichzeitig habe ich mich oft genug dabei in der Position wiedergefunden, die Bedeutung davon, sich mit so vielen anderen Personen in einem geteilten Gefühl der Freude in einem großen Raum zusammenzufinden, zu verteidigen. Mein 2002 in der Village Voice erschienener Artikel über die Black Party, einer alljährlichen Zelebration männlicher Sexualität in New York, sorgte sowohl unter schwulen als auch heterosexuellen Lesern für einige Kontroversen, da ich offen über die hemmungslose, oftmals kondomfreie, sexuelle Atmosphäre der Party berichtet hatte.

Einige der schärfsten Kritiker des Artikels—wie auch der jährlich stattfindenden schwulen Megapartys wie der Black Party, gemeinhin auch als „the Circuit" bekannt—sind seit jeher schwule Männer gewesen, die davon überzeugt sind, dass diese Veranstaltungen die schlimmsten Aspekte der Schwulenwelt feiern: offenen Drogenkonsum, wahllosen Sex und Oberflächlichkeit. Was diese Beobachter jedoch nicht erkennen, ist, wie wichtig solche Zusammentreffen für den Gemeinschaftssinn sind. Mehrere Jahre später beschrieb ich in einem weiteren THUMP-Artikel, was ich damit gemeint hatte, als ich von der „Spiritualität" der Black Party und anderer, ähnlicher Zusammenkünfte gesprochen hatte: Dieses besondere Gefühl der Transzendenz, das aufkommt, wenn wir zusammenkommen, um unsere sexuelle Identität und Sexualität zu feiern.

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Vielleicht hatte mich meine Begeisterung für den Glamour und den Spaß der schwulen Partyszene gegenüber der Tatsache blind gemacht, dass im Schatten ständig das Gespenst des Hasses lauerte. Am Sonntagmorgen postete ein Freund von mir folgenden Status auf Facebook: „Ich bin bestürzt und schockiert, aber nicht überrascht." Dieser Satz brachte für mich die Erkenntnis auf den Punkt, dass mit erhöhter Sichtbarkeit und Fortschritt auch die Gefahr steigt. Als Antwort auf den Anschlag hat der Bürgermeister von New York angekündigt, dass er in den kommenden Tagen die „Polizeipräsenz vor einigen Schlüsselinstitutionen der LGBT-Community" verstärken wird—also die gleiche Art von Schutz, die Synagogen und anderen Treffpunkten des jüdischen Lebens nach 9/11 erfahren hatten.

Eine spontane Gedenkfeier in Orlando am Sonntag. Foto: Dylan Flynn

In einem Interview mit der New York Times fasste ein New Yorker ein Gefühl zusammen, das viele amerikanische LBGTQs gerade empfinden: „Schwulenbars und Clubs sollten unser safe space, unser Schutzraum, sein. Ich habe mich hier nie bedroht gefühlt, aber jetzt schaue ich über meine Schulter."

Wird der Attentäter am Ende damit erfolgreich sein, einen Keil zwischen uns und unsere Treffpunkte zu treiben? Wird die Angst uns zurück an die Tage der abgeklebten Barfenster, Zugangspasswörter und Underground Clubs führen? Oder werden wir sogar eine solche Angst haben, dass wir uns gar nicht mehr vor die Tür trauen?

Auf keinen Fall!

Wir sind ein unverwüstlicher Haufen—nicht zuletzt, weil wir das immer sein mussten.

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Bereits am Sonntag, selbst als ich der Verzweiflung nah war, begann ich nach und nach Benachrichtigungen verschiedener Pride-Organisatoren zu bekommen. Auch wenn die für diesen Freitag angesetzte Benefizveranstaltung für Orlandos LGBT Center of Central Florida verständlicherweise abgesagt werden musste, kündigten Masterbeats Brett Henrichsen und Justin David Presents beide an, dass ihre L.A. Pride Partys wie geplant stattfinden werden. In New York sagte ein Sprecher von Heritage of Pride, dass der große Pride-Umzug und Pier Dance sehr wahrscheinlich wie geplant am 26. Juni stattfinden werden. Die Mahnwachen und Demonstrationen werden unverzichtbar dabei sein, um gemeinsam über die Geschehnisse des Wochenendes zu trauern, aber genau so werden die Partys voller Männer und Frauen sein, die trotzig von ihrem Recht gebrauch machen werden, sich zu treffen und miteinander zu feiern.

Nach Orlando hat der Akt des Ausgehens und des Tanzens noch mehr den Charakter eines politisches Statements bekommen. Schwule Männer und ihre Verbündeten haben schon mehrere Wellen des Hasses überlebt und wir werden einen Teufel tun, uns jetzt von einem mordenden Fanatiker aufhalten lassen.

Was machst du nächstes Wochenende? Ich weiß jedenfalls, wo ich sein werde: auf der Tanzfläche.

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