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FIGHTLAND

Wie der neue kanadische Premier in den Boxring stieg und vom Schönling zum Anführer wurde

Vor drei Jahren galt Justin Trudeau noch als Schönling und Weichei. Dann zog er die Boxhandschuhe an und polierte einem konservativen Senator ordentlich die Fresse.

Am 31. März 2012 standen sich ein kanadischer Abgeordneter und ein Senator in einem Charity-Boxkampf in der Hauptstadt Ottawa gegenüber.

Der Senator und Mitglied der Konservativen, Patrick Brazeau, wurde als klarer Favorit gehandelt. Brazeau war ein früherer Reservist der kanadischen Armee und brachte eine Menge Kampfsporterfahrung mit. Über seinen politischen und faustkämpferischen Kontrahenten sprach er recht respektvoll, ganz im Gegensatz zu seinen Parteifreunden, die lautstark verkündeten, dass ihr Mann den verweichlichten liberalen Abgeordneten nicht nur schlagen, sondern ihn wahrscheinlich auch verletzen werde.

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Selbst der betreffende Abgeordnete, Justin Trudeau, sah sich in der Rolle des Underdogs. Oder war zumindest bemüht, sich als solcher im Vorfeld des Kampfes zu inszenieren. Dass auch er nicht ohne Kampfsporterfahrung war—so hatte er früher zusammen mit seinem Vater, dem ehemaligen Premierminister Pierre Trudeau, Judo trainiert und seit seinem 20. Lebensjahr immer wieder mal in einem Boxring gestanden—spielte er geschickt herunter.

Doch ganz so wie bei MMA-Kämpfer Georges St-Pierre, der ebenso aus Montreal kommt, sollte sich auch bei Trudeau herausstellen, dass er—anstatt große Reden zu schwingen—lieber im Ring seine Fäuste sprechen lässt. Sein Gegner Brazeau legte in der ersten Runde stark los, schaffte es aber nicht, Trudeau zu gefährden, und verlor rasch an Schwung. Schon ab der zweiten Runde hatte Trudeau eindeutig die Oberhand und und landete eine Serie von etwas unbeholfen wirkenden, aber dennoch wirkungsvollen Schwingern. In der dritten Runde musste der Ringrichter einschreiten und brach den Kampf völlig zurecht ab. Justin Trudeau hatte Brazeau nicht einfach nur besiegt, er hat ihm einen glasklaren technischen K.o. zugefügt.

Am Tag nach dem spektakulären Kampf schrieb die kanadische Tageszeitung Ottawa Citizen einen Leitartikel, in dem sie die Leistung beider Politiker lobte. „Als Fazit des Abends kann man sagen, dass der Abgeordnete und der Senator mehr Mut, Sportsgeist und gegenseitigen Respekt an den Tag gelegt haben, als die meisten ihrer parlamentarischen Kollegen jemals zeigen werden. Das sind nicht nur Werte, die im Ring zählen, das sind Werte von allgemeiner Führungsstärke."

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Und dann zeigte der Journalist hinter dem Artikel überraschende Hellseherfähigkeiten: „Werden Justin Trudeau oder Patrick Brazeau schon bald ihre jeweilige Partei anführen? Wird einer von ihnen vielleicht sogar mal Premierminister unseres Landes werden? Wer weiß? Fest steht nur: Sollten sie auf der Karriereleiter ein paar Stufen nach oben klettern, wäre wohl der Anfang dafür im gestrigen Boxkampf zu suchen."

Nur ein Jahr später wurde Trudeau zum Anführer seiner Partei gewählt.

Und vorgestern hat Kanada Trudeau zum neuen Premierminister auserkoren und damit zehn Jahre konservative Regierungszeit unter Premier Harper beendet. Und der Boxkampf aus dem Jahr 2012 könnte Trudeau dabei tatsächlich geholfen haben.

Das ist zumindest das Ergebnis einer Analyse von 200 englischsprachigen Zeitungsartikeln vor und nach dem Kampf, durchgeführt von Wissenschaftlern der Universität Toronto.

„Bevor er gegen den konservativen Senator Patrick Brazeau in den Ring stieg, galt Justin Trudeau als politisches Leichtgewicht, dem es an Führungsstärke fehlen würde", so Peter Boisseau von der Universität Toronto in seiner Analyse. „Nach dem Kampf wurde er für die Medien zu einem echten Mann, gelobt für seine Stärke, Ehre und seinen Mut."

Zusammenfassend lässt sich wohl sagen, dass Trudeaus Zusage zu dem Boxkampf die bisher beste Entscheidung seines Lebens war.