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Musik

Licht und Visuals als Erweiterung der Sounderfahrung: Interview mit Marcel Weber (MFO)

Der Berliner Licht-Designer und Videokünstler entwickelte für Ben Frosts Gig auf dem Unsound 2014 eine spezielle Software, die es ihm erlaubte über ein MIDI-Interface Licht und Visuals wie ein Instrument zu spielen.

Ben Frost ist ein Meister brachialer Klänge. Seine musikalischen Collagen aus Industrial, Noise, Ambient und Drone Sounds bohren sich eindringlich in die Gehörgänge, schmerzhaft und faszinierend zugleich. Wie ein gewaltiges Naturschauspiel packen sie dich, setzen rohe, archaische Energien frei. Unheilvoll polternde Passagen kontrastieren mit sphärischen Flächen und wie nach dem kreischenden Chaos eines stürmischen Gewitter blinzeln auch auf Frosts aktuellem Album Aurora immer wieder zaghafte Sonnenstrahlen aus dem wolkenverhangenen Himmel hervor.

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Zerstörerisch und majestätisch, meist angetrieben durch einen subtilen energetischen Beat, ergreifen sie Besitz–von jedem, der kühn genug ist, sich auf sie einzulassen. Live entfesselt der 34-jährige, in Island lebende Australier diese düsteren, kosmische Energien besonders eindrucksvoll. So geschehen beim Festival für experimentelle elektronische Musik Unsound, das vom 12. bis 19. Oktober im polnischen Krakau die Grenzen künstlerischen Ausdrucks ein mal mehr neu definierte.

Ben Frost auf dem Unsound 2014 (Fotos: Camille Blake)

Der Berliner Licht-Designer und Videokünstler Marcel Weber alias MFO, langjähriger Weggefährte des Unsound und hauptverantwortlich für Licht und Visuals beim Berliner Festival Atonal, zeichnete bei Frosts Gig verantwortlich für die optische Komponente des Konzerts. Der 36-jäjhrige entwickelte dafür spezielle Projektoren, die er mit der Steuermotorik von Scannern kombinierte und schrieb eine Software, die es ihm ermöglicht, Licht und Visuals per MIDI-Controller zu steuern. Wir wollten wissen, was es bedeutet eine Lichtshow für Ben Frost beim Unsound zu kreieren und haben den in Berlin zum Interview getroffen.

The Creators Project: Hi Marcel, kannst du kurz den groben Aufbau der Licht-Show skizzieren?

Marcel Weber: Ich habe mit drei Komponenten gearbeitet. Da wären zunächst einmal die drei Videoprojektoren [am Anfang des Videos sehr gut zu sehen]. Sie hängen über der Bühne und schießen mit Hilfe beweglicher Spiegel, sogenannten Scannern, Lichtstrahlen ins Publikum. Ich habe dafür eigens eine Haltekonstruktion entwickelt, in die ich umgebaute Scanner eingesetzt habe. Aus den Scannern habe ich die Lampe entfernt und stattdessen die Projektoren eingesetzt. Steuereinheit und motorisierte Spiegel der Scanner habe ich behalten. Außerdem kamen Stroboskope und klassische Visuals zum Einsatz.

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Warum der aufwendige Umbau von Projektoren und Scannern?

Es gibt bereits kommerzielle Anbieter, die eine ähnliche Technik, so genannte Moving-Head-Projektoren, anbieten. Das Problem ist, dass die sehr langsam sind. Und ich suchte nach einer Möglichkeit, Lichtstrahlen schnell durch den Raum zu schicken. Der Gesamteindruck meiner Show ist der einer Lasershow. Mit dem Unterschied, dass Laser einen sehr harten und hellen Strahl erzeugen. Ein Projektor dagegen erreicht zwar nicht die Helligkeit eines Lasers, ist dafür aber auch nicht so kalt und präzise. Und ich habe den Vorteil, ein ganzes Lichtfeld rausschicken und so komplexere Strukturen kreieren zu können. Um eine Linie herum, die ich in den Raum schicke und so eine weiße Fläche erzeuge, kann ich zum Beispiel eine blau Aura kreieren. Oder Ich kann dir als Zuschauer im Publikum einen Lichtstrahl über den Kopf schicken und chromatische Abberationen und Spektralfarben kreieren. Laser dagegen sind immer einfarbig.

Du musstest dir für die Umsetzung deiner ästhetischen Vorstellungen also erst das notwenige Equipment selber bauen?

Genau. Projektoren machen das Licht wärmer und strukturierter. Sie erzeugen eine spacige Atmosphäre. Ich mag es, Sachen tendenziell schwarz-weiß zu halten, sie dann aber mit Spektralfarben aufzubrechen. Eine meiner Ideen war es, Wände aus Licht zu erzeugen, die im Raum stehen, sie miteinander zu schneiden und schnell wieder zu ändern. Eine Art dekonstruktivistisches Design also.

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Wie gehst du generell an die Konzeption einer Show? 

Die Grundherangehensweise ist immer etwas egoistisch: 'Was fasziniert mich?' In diesem Fall kam ich irgendwie auf die Idee mit den Projektoren, pumpte einen kleinen Raum im Studio mit Nebel voll und probierte ein paar Sachen aus. Es spielt bei so einer Show natürlich auch immer eine Rolle, welche Technik zu welchen Preisen im Verleih erhältlich ist. In diesem Fall habe ich mich ein paar Wochen vor der Show mit Ben in Berlin getroffen. Er mag es nicht, wenn auf der Bühne klassisches VJing stattfindet und er vor einer Leinwand spielen muss. Tendenziell ist das auch mein Ansatz. Ich mag es, den Raum zu gestalten, statt alles statisch und zweidimensional zu halten. Wir wollten also beide der Musik noch eine weitere Dimension hinzufügen und sie in den Raum ausdehnen, so dass ein räumliches Konzerterlebnis entsteht.

Wieso hast du trotzdem noch normale Visuals eingebaut?

Meine Idee war es, die Musik dahingehend zu unterstützen, dass bei ruhigen Passagen die Lichtelemente im Raum runtergefahren werden und gleichzeitig Visuals auf der Bühne ins Zentrum der Aufmerksamkeit springen. Sobald die Musik wieder an Fahrt aufnimmt, explodieren auch die Lichtelemente wieder. Solche Dynamiken sind viel wichtiger, als das Publikum zwei Stunden lang mit Visuals zuzuballern. Das ist so ein klassischer Fehler von Vjs. Ben wollte auch nicht, dass in ruhigen Phasen das Licht einfach erlischt, weil dann die Spannung im Publikum verloren geht. Also habe ich die Visuals genutzt, um in ruhigen Phasen, die Anspannung zu halten. Ganz ruhige Visuals mit einem subtilen Flackern.

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Wie intensiv hast du dich vor der Show mit Ben Frosts Album Aurora auseinander gesetzt?

Wenn ich an einem Projekt arbeite, ist es immer wichtig, dass ich die Musik im Schlaf kann. Ich lerne sie auswendig, um auf Dinge reagieren zu können. Man muss wissen, wie der Musiker in etwa arbeitet. Wenn du den Musiker nicht kennst, weißt du nicht, was er als Nächstes macht.

Das heißt, es gab dann auf dem Gig von Ben Frost keine musikalischen Überraschungen mehr für dich?

Nein, ganz im Gegenteil. Das Konzert war total anders als das Album. Aber es war hilfreich zu wissen, wie er die Akzente setzt. Er hatte Greg Fox als Live-Drummer mit auf der Bühne. Die Beats waren viel komplexer als auf dem Album. Aber ich hatte mein Lichtdesign und die Visuals generell auf die Emotionen von Bens Musik übertragen. Es ist quasi meine Lesart der Emotionen, die seine Musik freisetzt. Wenn ich Bens Musik höre, denke ich an die Kräfte des Universums, Sonnen, Nebel, spektrale Strhlungsenergien, die unglaublich stark und überwältigend sind. Ich arbeite oft figurativ, aber bei diesem Projekt wollte ich keine konkreten Bilder verwenden, sondern ausschließlich mit Lichtstrukturen, Strahlungen und Stroboskopblitzen, die den Raum deformieren, arbeiten.

Wie sind Musik und Visuals verknüpft? Welche Automatismen laufen ab und wie reagierst du spontan?

Ich habe für den spontanen Einsatz der Stroboskope extra eine Software geschrieben. Die Software erlaubt es mir, die Stroboskope klassisch als Stroboskope zu bespielen, aber auch mit einzelnen Flashes. Ich kann einzelne Lichtflashes rausschießen und dafür auch Rhythmussequenzen anlegen. Ich kann für jedes Stroboskop einen anderen Loop verwenden, die Stroboskope also wie ein Drumset bespielen. Ich habe im Vorfeld der Show einige Drum-Rhythmen des Albums nachgebaut, die ich dann live einspielen und von der Geschwindigkeit her anpassen kann. Die Flashes laufen dann automatisch synchron mit dem laufenden Sound.

Ansonsten mag ich es, die Visuals wie ein Instrument zu spielen. Um das tun zu können, habe ich die Software geschrieben. Mir war es wichtig, dass die Software im Hintergrund läuft. Ich kann über die Software und den MIDI-Controller Frequenzen triggern, Helligkeit und Geschwindigkeit der Projektoren und Stroboskope steuern und den Takt neueinstellen. Die Software gibt mir gleichzeitig Informationen über die Frequenzen an den MIDI-Controller zurück. Ich spiele also nur noch mit dem MIDI-Controller und gucken nicht mehr auf den Bildschirm. So kann ich intuitiv spielen und schnell reagieren. Geschwindigkeit, Sequenzen und Intensität lassen sich so spontan ändern.

>> Hier geht es zur Website von Marcel Weber

>> Besucht auch die Website von Ben Frost