Das Berghain, das Volksreporter Moritz von Uslar in seiner ZEIT-Kolumne "Morgens, halb 10 in Deutschland" mal „neben Kölner Dom, Münchner Viktualienmarkt, Loreley und Berliner Museumsinsel" als einen der fünf Orte in Deutschland bezeichnete, "die man wirklich gesehen haben sollte" ist weltweit bekannt und omnipräsent. Manch eine(r) fühlt sich längt genervt vom "Mythos Berghain".Dabei ist die Kritik an der medialen Aufmerksamkeit rund um das Berghain mitsamt seinem Fotoverbot und den vielen Geschichten nicht neu. Schon im Mai 2010 kritisierte Berghain-Flyer-Texter Timon Engelhardt im damaligen Flyer, dass sich Medien auf jedes Detail aus dem Club-Inneren stürzen würden. In den vergangenen Jahren kamen allerdings unzählige Meme-Macher und Instagram-Babes und -Boys dazu, die das Berghain entblößen, herausfordern oder instrumentalisieren wollen. Und sie prägen die Wahrnehmung des Clubs als "Dance Music's Biggest Meme" heute entscheidend mit.
Aber Stichwort: Underground. Das Berghain hat eine größere Kapazität als viele Mega-Park-Diskotheken auf dem deutschen Land und lässt Künstler auftreten, die in einer gut vernetzten Szene weltbekannt sind. Aber die Dynamik eines Besuchs gibt vielen Besuchern immer noch das Gefühl, einer Underground-Veranstaltung beizuwohnen. Wenn man wissen will, warum das Berghain seit zwölf Jahren so gut funktioniert und fasziniert, muss man also zunächst das dekonstruieren.Wo sich die beiden interviewscheuen Berghain-Besitzer Michael Teufele und Norbert Thormann im Stillschweigen üben, erzählt sich der Club vor allem über die Besucher, die sich oftmals gedrängt sehen, die Gedanken mittels cooler Posen nach außen zu bringen: Jede Erzählung aus dem Club klingt wie ein modernes Märchen, dem man in all seinen mystischen Komponenten sein Ohr schenken möchte.Das mag wohl an den Codes liegen, die es seit dem Ausruf des Berghains zum besten Club der Welt im Jahre 2009 immer stärker zu kennen gilt. Das Verhalten und vor allem das Äußere erscheinen durch die Vielzahl an Erzählungen vorgegeben, ritualisiert. In der heutigen Wahrnehmungen tragen Berghain-Gänger stets Schwarz.Auf dem September 2016-Flyer des Clubs beschreibt Musikproduzent Stefan Goldmann das vibrierende Mimikry-Verhalten so: "Es gibt die Legende, man käme ins Berghain, wenn man komplett schwarz gekleidet ist. Seither sind das 95% der Schlange.""Wenn jetzt immer künstlich dieser Underground-Begriff hochgehalten wird, ist das peinlich. Das [Berghain] ist eine funktionierende Firma, wie jede andere auch."—Michael Aniser
Bei einem Telefongespräch sagt er: "Der Vorgänger-Club Ostgut war aus der Not geboren, einen Ort für die Snax-Partys zu finden, die zuvor vor allem im Technobunker in Mitte stattfanden. Dort konnten junge, schwule, vor allem ostdeutsche Männer das tun, worauf sie Lust haben. Dabei war das Ostgut immer illegal, es gab keine GmbH dahinter, keinen Mietvertrag. Nach der Schließung 2003 mussten die Macher eine sehr bewusste Entscheidung fällen. Das Berghain war nicht mehr ein rein idealistisches Kunst-Projekt, sondern wurde ein angemeldetes Vorhaben. Techno wurde weltweit ein Geschäft. Der schwule Underground professionalisierte sich.""Nach der Schließung 2003 mussten die Ostgut-Macher eine sehr bewusste Entscheidung fällen. Techno wurde weltweit ein Geschäft. Der schwule Underground professionalisierte sich."—Daniel Wang
Wer etwas nach außen trägt (Getränkekarte, Claire Danes, der nächste Medienbericht), wird online für viele zum "Klassenfeind". Denn die erste Regel des Fight Clubs Berghain lautet: Du sprichst nicht über das Berghain.
Dabei bleibt die These im Raum, dass das Berghain selbst Teil des verhassten Establishments geworden ist.Vom Modus der Rebellion und Subversion ausgegrenzter, ostdeutscher Schwuler ist der Clubgänger in den Modus der Affirmation eines liberalen Wertekanons gewechselt, nach dem es innerhalb des eigenen Umfelds gängige Normalität sein sollte, dass kein Mensch wegen seiner Hautfarbe, seines Geschlechts und seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden darf. Ob Berliner, Schwuler, Tourist, Mann oder Frau—jeder hat im Berghain Platz (wenn er die Codes kennt).Jede Generation pocht aufs Neue die Ideale und Werte einer Institution auf die eigenen ab. Die Clubkultur ist erwachsener geworden und Memes sind in diesem Prozess die gegenwärtigen Katalysatoren von Kritik und Adoration.
Die Kommunikations-Expertin Luisa Leopold, die in ihrer Veröffentlichung "Nischen der Prominenz" über Meme-Kultur schreibt, erzählt THUMP: "Das Berghain ist extrem spannend für Memes, da man durch die strengen Codes und Verbote zum Spiel eingeladen wird. Der Export der Verbote aus dem Club und der Import von Memes in den Medienalltag sorgt für eine Erosion der Autorität", nimmt also dem Club die Luft raus."Das Brechen der Regeln ist eine Form der Annäherung: Die Zerstörung des Codex lässt uns Teilhaben an dieser Clubkultur und ist Teil einer modernen Fanpraxis, die sich durch unbefriedigte Sehnsüchte ausdrückt." Berichte, Memes, Facebook Check-Ins und Instagram-Fotos füllen die Lücken der Begierde. Leopold sieht insbesondere Memes als "eine Art von Fan-Fiction, die wesentlicher Bestandteil des Fanseins 2016 ist."Dass alle Veröffentlichungen am Image kratzen und einen fortschreitenden Wandel des Publikums ermöglichen, ist für sie dabei ein gewöhnlicher, kontemporärer Prozess: "Interessant ist die Vielzahl der Veröffentlichungen als digitales Archiv, aus der sich eine neue Gemeinschaft gebildet hat, die außerhalb des Berghain existiert. Sozusagen eine fremdbestimmte Anomalie in der Geschichte des Clubs, die die Außenwirkung des Clubs mit beeinflusst", so Leopold.Übertragen kann man das auf alle Erzeugnisse und redefreudigen Clubgänger: Ob das Berghain als nicht enden wollender Strom von digitalen Produktionen abgebildet, imitiert, beobachtet oder überdreht wird, oder Club-Toiletten in Piotr Nathans Arbeit zu Appropiation Art ausgerufen werden, die er auf der vergangenen Ausstellung im Berghain ausgestellt hat: Wir remixen das, was wir verehren, und das, was uns abstößt, und zeigen damit, wonach wir uns sehnen und wie unsere Welt funktioniert.Getanzt, gefickt und wie auch immer wird aber immer noch drinnen.*Name von der Redaktion geändert.Daniel twittert. Folge zudem THUMP auf Facebook und Instagram."Das Brechen der Regeln ist eine Form der Annäherung: Die Zerstörung des Codex lässt uns Teilhaben an dieser Clubkultur und ist Teil einer modernen Fanpraxis, die sich durch unbefriedigte Sehnsüchte ausdrückt."—Luisa Leopold