Ö3 verlor Marktanteile. Warum? Angeblich wegen der Österreich-Quote

Foto via Flickr | Roman Pfeiffer | CC BY 2.0

Vor einer Woche erschien der halbjährliche Radiotest—der Standard berichtete. Die ORF-Radios erreichten einen Marktanteil von 72 Prozent. Die ORF-Cashcow Ö3 verlor bei den „Hörern ab 10“ etwas an Anteil. Er fiel von 36,4 Prozent auf 34,9 Prozent—laut der Kalkulation des Privatradiovermarkters RMS. Der Kurier befragte Ö3-Senderchef Georg Spatt zum Ergebnis. Spatt zum Kurier: „Wir kennen intern die Gründe für die aktuellen Marktbewegungen sehr genau. Das hat sehr viel mit inhaltlichen Auflagen zu tun, die wir im letzten Jahr neu dazubekommen haben.“ Der Ö3-Senderchef spielt damit auf die, seit 1. Juli 2015 geltende, Selbstverpflichtung an, 15 Prozent heimische Musik zu spielen. Vor einem Monat gab es zu dieser Zahl eine weitere Kontroverse: Ein Linzer Student wollte herausgefunden haben, dass Ö3 in Wahrheit nur sieben bis acht Prozent österreichische Musik spielt. Wir berichteten. Spatt relativierte seine Aussage mit „Diese Innovationen sollen langfristig den großen Erfolg von Ö3 absichern, kosten aber erwartungsgemäß kurzfristig Reichweite.“ Der Auswertungszeitraum des Radiotests fällt genau mit dem Beginn der selbstverpflichteten 15 Prozent zusammen. Es sieht so aus, als wäre dem Sender die Österreich-Quote immer noch ein lästiger Dorn im Werbeauge.

Die Schlussfolgerung, dass die Österreich-Quote Schuld an den Verlusten ist, liegt nahe, ist aber etwas vorschnell. Zum einen hat FM4 etwas an Anteil gewonnen, zum anderen haben die Privatsender in Wien Anteil verloren. Dass auf FM4 noch viel mehr österreichische Musik gespielt wird, als auf Ö3 ist auch zu erwähnen. Die Privatsender fielen von 28,3 Prozent auf 24,6 Prozent Tagesreichweite in Wien gegenüber dem zweiten Halbjahr 2014, in welchem es noch gar keine Österreich-Quote gab. Es sieht so aus, als würden die Hörer zwischen den ORF-Radios migrieren und nicht zur direkten Konkurrenz abwandern, da Ö1 und FM4 komplett andere Zielgruppen bedienen als Ö3. Vielleicht hört deine Mutter beim Bügeln jetzt lieber HVOB statt Rihanna? Natürlich kriegt ein Sender gewisse Zielvorgaben von oben und ein Wettbewerb unter dem ORF-Dach ist vielleicht sogar gewünscht, jedoch sollte es niemanden im ORF groß ärgern, wenn Hörer zu anderen ORF-Angeboten abwandern.

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Desweiteren ignoriert diese Argumentation auch jegliche Veränderung in der globalen Musiklandschaft. Unser Konsumverhalten ändert sich seit der Industriellen Revolution andauernd. Jedes Jahr betreten neue Hörer die sogenannte „Werberelevante Zielgruppe“ und andere verlassen sie wieder in Richtung baldiger Pension. Die neuen Hörer sind mit dem Internet und Streaming-Services aufgewachsen. Die dauernde Verfügbarkeit von so gut wie jeder Stilrichtung an Musik ist das Normalste der Welt. Das führt vorallem dazu, dass Radiosender mit einer starken Content-Profilierung, man könnte es auch „Charakter“ nennen, mehr Zulauf erfahren als ein Sender der „eh ein bisserl von Allem“ sendet. Die Aufgabe eines Radiosenders ist nicht mehr das Verfügbarmachen von Musik, sondern die Auswahl von Musik. Früher war das terrestrische Radio die einzige Möglichkeit, wie man Abseits von Tonträgerkäufen Musik hören konnte. Heutzutage kann jeder mit einem Smartphone und einem Datenvertrag überall alles hören, was er oder sie will. Das Problem verlagert sich von „Wie kann ich hören?“ zu „Was will ich hören?“. Ö1 steht für Klassik, FM4 für Alternatives, und Ö3 für Top 40-Pop. Ö3 muss realisieren, dass „sich möglichst breit aufstellen“ (Diversifikation) nicht zu mehr Hörern führt, sondern dazu, dass Zuhörer in Richtung eines Senders mit mehr Profil abwandern.

Ö3 ist hier gefragt, sowohl dem klassischen Geschäftskonzept, als auch den modernern Verwürfen der Medienlandschaft und der Parteipolitik Rechnung zu tragen. Wir verstehen, dass es nicht einfach ist, auf dieser dünnen, roten Linie zu laufen. Es ist jedoch nicht die Österreicher-Quote Schuld und es ist auch nicht unmöglich. Die britischen BBC-Sender sind höchst erfolgreich damit, frische neue Musik aus ihrem Land zu senden. Bevor Zane Lowe von Apple abgeworben wurde, waren seine BBC-Programme ein Ort, an dem sich Menschen aus ganzer Welt die neueste Musik anhörten. Bei einem britischen Staatssender.

Der Autor hat vor Ewigkeiten um vier Uhr nachts einmal Behemoth auf FM4 gehört: @igrpp

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