Was wurde eigentlich aus dem Österreich-Hype?

Grafik: VICE Media

2015 war ein spektakuläres Jahr für österreichische Musik. Jeder, vom Feuilleton bis zum Nebenbeihörer, hat mitbekommen, dass plötzlich etwas passiert ist. Etwas, das wir im Bereich Musik in Österreich schon lange nicht mehr hatten: internationale Aufmerksamkeit. Auch wenn sich das Adjektiv “international” großteils auf den deutschsprachigen Raum beschränkt—wir waren stolz drauf. Neben den bereits etablierten Acts wie Nazar, Parov Stelar oder Belphegor wurden vor allem Wanda und Bilderbuch vom Underground in den Mainstream hochgepusht—die einen ein bisschen mehr als die anderen. Es regnete Platin links und rechts, ihre Namen fand man in Festival-LineUps ganz weit oben und die YouTube-Klicks kamen an so manche Katzenvideos heran. Wir lagen uns in den Armen, endlich dürfen wir wieder mit etwas angeben. Das passierte alles 2015, ging unglaublich schnell, war aufgebaut auf jahrelanger Arbeit und ein bisschen Glück. Darauf werden andere Bands aufbauen können, dachten wir. Denn es wurde auf Österreich geschaut und von der Musikpresse nach mehr gelüstet. So viel Hoffnung, so viele Erwartungen.

Spricht man noch über österreichische Musik?

Ein Teil des Hypes. Screenshot via Youtube

Jetzt haben wir 2016 und fragen uns: Was ist von der österreichischen Offenbarung übrig geblieben? Haben die Labels und Bands ihre Chance genutzt, noch mehr nachzulegen? Redet man in Deutschland, dem Markt, auf den es die Bands meist abgesehen haben, immer noch über uns? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir in Berlin beim Musikexpress angerufen und Chefredakteur Albert Koch gefragt, wie er das sieht. “Letztes Jahr bist du ja nicht daran vorbeigekommen”, sagt er “Die Facebook-Wall war voll mit Wanda. Jetzt könnt ich gar nicht sagen, ob sie überhaupt auf Tour sind. Eigentlich hätte ich ja erwartet, nachdem Bilderbuch so gehypet worden sind, dass die Plattenfirmen reagieren und jede österreichische Band unter Vertrag nehmen. Ich hab zumindest unterbewusst ein bisschen damit gerechnet, dass es damit losgeht und ein halbes Jahr nur noch österreichische Bands umgehen. Davon ist nichts passiert.” Das ist etwas harsch formuliert, denn ganz untätig waren die österreichischen Labels nicht. Wanda füllten letztens die Wiener Stadthalle und Bilderbuch sind zum Beispiel Headliner am Frequency. Aber auch außerhalb der Wanda-Bilderbuch-Blase haben Labels daran gearbeitet, Acts wie Leyya oder Crack Ignaz über Österreichs Grenzen hinauszubekommen.

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Um herauszufinden, wie österreichische Labels mit dem Hype umgehen, haben wir Walter Gröbchen, Musikjournalist und Chef des Labels monkey., befragt: “Nun: An sich können wir uns als Label über Aufmerksamkeit in Deutschland nicht beklagen. Die letzten Releases von Ernst Molden, Der Nino aus Wien usw. wurden und werden wahrgenommen.” Aber Gröbchen gibt dem Musikexpress-Chef auch recht, denn wie aus dem Maschinengewehr könne die vergleichsweise kleine österreichische Indie-Label-Landschaft nicht ballern. Ein ‘Hype’ (den er eher als zufällige Ballung gewachsener Themen sieht) bedarf gewisser Hebel und diese Hebel haben meist auch mit Marketing- und Promo-Budgets zu tun. Hier fehle es an Investment, sagt Gröbchen. Einer der Gründe, warum diese Budgets fehlen, sei ganz einfach das fehlende Return-on-Investment. Also nicht genug Gewinn für die eingesetzte Kohle. Wie haben es dann Wanda geschafft aus dem “Indie-Loch” zu kommen und das anfangs ohne Major-Label-Support? Es gibt billige und effiziente Wege, die Bands nutzen können und einer davon ist das gute, alte Radio.

Du kumm ma Ham, mit deine Hits!

Seiler & Speer. Screenshot via Youtube

Eine Band, der das Radio genutzt hat, ist Seiler & Speer. Ihren Durchbruchs-Hit “Ham Kummst” gibt es schon seit 2013, aber erst mit dem Einstieg in die Ö3-Charts ist er österreichweit bekannt geworden. Ist also der Reichweitenkönig der Radios dafür verantwortlich, österreichische Musik groß zu machen? Das Thema wurde in den Medien schon ausführlich behandelt und lässt sich mit dem klassischen Jein beantworten. Natürlich hat Ö3 als öffentlich-rechtlicher Sender den Auftrag, heimische Musik zu spielen und kommt dem leider nur sehr schleißig nach, aber Bilderbuch—und anfangs auch Wanda—wurden nur zu den undankbarsten Zeiten gespielt und haben es dennoch über die österreichische Grenze geschafft.

Wie sieht es mit den sehr viel austropoppigeren Seiler & Speer aus? Anfang des Jahres schrieb die SZ noch, dass sie zu Unrecht nicht in Deutschland bekannt seien. Ob sie es noch schaffen, ihren Erfolg aufs Nachbarland zu übertragen, wird sich Ende des Jahres, nach ihrer Deutschlandtour, zeigen. Im selben Artikel werden übrigens immer noch ausschließlich Bilderbuch und Wanda als Aushängeschilder österreichischer Musik genannt. Rüdiger Landgraf, Programmchef von Kronehit, sagt Noisey im Interview, “Ham Kummst” sei eine Ausnahmeerscheinung beim privaten Radiosender. Der Song funktioniere, obwohl ihr Publikum hauptsächlich Mainstream-Pop und R’n’B hören will. Auch Österreicher wie Julian LePlay, Tagträumer und Filous kommen bei den Kronehit-Hörern ausgesprochen gut an. Wanda, so Landgraf, sei gar nicht angenommen worden. Brauchen österreichische Bands also die Unterstützung der Radiosender oder Musikpresse, um vom deutschen Publikum angenommen zu werden und somit den Hype aufrecht zu erhalten?

Niemand erwartet die Radio-Inquisition

Leyya live in Basel. Foto von Niels Franke

Die oberösterreichische Band Leyya hat bereits jeweils mehr Hörer in London, den Niederlanden und Deutschland als in Österreich. Die beiden Mitglieder Marco und Sophie sehen vor allem im deutschsprachigen Raum den Vorteil von Radio und allen voran der Sender FM4. “Man merkt, wie wichtig so ein Sender wie FM4 ist, wenn man durch Deutschland fährt. Es gibt da nichts Vergleichbares. Du hörst die selben drei Songs, die den ganzen Tag auf den verschiedenen Sendern laufen. Es ist ein cooler Radiosender, man muss froh sein, dass es ihn gibt. Das ist gar nicht so selbstverständlich”, sagt Marco. Dass ein Sender wie FM4 also auch in (Süd-)Deutschland österreichische Musik weiterhin pusht, sieht auch Walter Gröbchen. “Die beste—weil auch billigste und effizienteste—grenzüberschreitende Drehscheibe ist übrigens ungebrochen FM4, das zum Beispiel in München gern gehört wird.” Er plädiert auch für einen paneuropäischen öffentlich-rechtlichen Jugendsender, der zum Beispiel durch ein gemeinsames Radioprojekt von ORF und BR gestartet werden könnte. Ob so ein Projekt je zustande kommen kann, ist fraglich. Ein interessanter Vorschlag ist es allemal. Wie effektiv Radio sein kann, zeigt eben das Beispiel FM4.

Hannes Eder, ehemaliger Chef von Universal Music Austria, sieht im Noisey-Gespräch den Hype noch nicht als gestorben: “Egal, ob ein Crack Ignaz im HipHop oder Leyya, da sind einige Acts auf ihrem kontinuierlichen Weg nach oben. Das inkludiert auch zum Teil euphorische Presse-Reviews im Ausland und Festivaleinsätze in ganz Europa. Also wenn so die Phase nach dem Hype aussieht, kann man in der ganz gut weiterleben.” Dass zumindest ein bisschen was vom letzten Jahr übrig geblieben ist, merkt Marco von Leyya in Interviews: “Mir fällt das schon auf. Wenn es um österreichische Musik geht, geht es schon meistens um Wanda und Bilderbuch. Das sind halt Bands, bei denen es funktioniert, darum ist das immer auch die Referenz, wenn es um das Thema Hype geht.”

Also was ist jetzt mit dem Hype?

Der zweite Teil des Hypes. Screenshot via Youtube

Der Hype lebt noch. Irgendwie. Wirklich profitiert haben aber nur die beiden Auslöser des Hypes. Vielleicht weil niemand als Abklatsch von ihnen dastehen will, wahrscheinlicher aber, weil die nötige Infrastruktur fehlt, um konstant österreichische Musik zu unseren Nachbarn zu pumpen. Wie zum Beispiel ein etabliertes Radio, das unsere Künstler auch in Deutschland regelmäßig promotet. An guten, frischen Bands fehlt es Österreich nicht. Von der großen Euphorie letzten Jahres zehrt allerdings kaum jemand mehr. Acts wie Leyya und Crack Ignaz machen ihr eigenes Ding, ohne sich auf den Erfolg von Bilderbuch und Wanda berufen zu müssen. Bis von der nächsten Neuen Österreichischen Welle gesprochen wird, müssen wir wohl aufs nächste Bilderbuch-Album warten.

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Benji sagt dir auf Twitter, wann es den nächsten Hype gibt: @lazy_reviews